Berlin. Beim Paracelsus-Bad kochen die Emotionen hoch. Es war bei seiner Eröffnung 1960 der erste Berliner Hallenbad-Neubau seit den 1930er Jahren. Ein Prachtbad mit 25-Meter-Becken, Sprungturm, Nichtschwimmerbecken, Zuschauertribüne und Saunalandschaft. Viele Reinickendorfer haben dort schwimmen gelernt. Doch nach mehr als einem halben Jahrhundert wurde eine grundsätzliche Sanierung fällig. Die Arbeiten begannen 2019, bis Ende 2024 sollen sie andauern und mindestens 20 Millionen Euro kosten.
Das Bad ist den Reinickendorfern so lieb und teuer, dass es im Rahmen der Sanierung auch gleich ein Außenbecken bekommen soll. Ganz außer acht gelassen wird dabei aber, dass dort eine Modulare Unterkunft für Flüchtlinge (MUF) vorgesehen war. Als der Senat 2018 die Bezirke aufforderte, Orte zum Bau von MUF zu nennen, reichte Reinickendorf die Flächen um das Paracelsus-Bad ein.
Das Becken soll ans westliche Ende des Grundstücks
„Jeder Eingriff muss mit dem Denkmalschutz abgestimmt werden.“ Dieser Satz steht auf den Transparenten, die am Zaun über die Bauarbeiten informieren. Er ist wohl als Erklärung und auch Entschuldigung zu verstehen in Richtung der wartenden Reinickendorfer Wasserfreunde.
Er musste aber auch als Begründung dafür herhalten, warum dort kein MUF entstehen solle. Aber nun soll es einen erheblichen Eingriff ins Ensemble geben: Auf dem Platz am westlichen Rande des Grundstücks, neben der früheren „Sonnenterrasse“ soll ein neues Außenbecken entstehen. Aktuell stehen an diesem Ort noch Baumaterialien und die Fahrzeuge der Arbeiter.
Sportsenatorin bringt die Entscheidung fürs Außenbecken
Bei einem Ortstermin im Herbst zauberte Reinickendorfs SPD-Kreisvorsitzender Jörg Stroedter, ein ausgewiesener Gegner der Flüchtlingsunterkunft an diesem Ort, eine Lösung aus dem Hut: Sport- und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) schaute bei der Baustelle vorbei und verkündete, dass die Finanzierung gesichert sei, eine modulare Unterkunft für Geflüchtete werde es am Paracelsus-Bad nicht geben. Der Ort wäre von Anfang an falsch gewesen, es gebe Alternativen im Bezirk. Noch heute sagt Stroedter zufrieden: „Das Becken steht auf der Prioritätenliste der Senatorin.“
Wenn Stroedter von Iris Spranger spricht, nennt er sie „die Senatorin“. Er könnte auch sagen: meine Ehefrau. Die beiden sind seit 2019 verheiratet. Die Frage, ob das Paracelsus-Bad denn über den kurzen Dienstweg gelaufen sei, überhört er erst, kommt dann aber doch drauf zurück. „Wir sind beide ewig in der Politik, natürlich haben wir zu Hause auch politische Themen.“
Anwohner hatten gegen eine MUF am Paracelsus-Bad protestiert. Und auch Stroedter findet: „Hier wäre sie falsch.“ Die Lage im Kiez sei angespannt genug, und auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel sei doch mehr als genug Platz, man könne ja auch das aufgelassene Hotel Mercure am Flughafen Tegel nutzen und nicht ausgerechnet die Fläche am Paracelsus-Bad. In Reinickendorf gebe es ohnehin zu wenig Schwimmfläche.
46 Prozent Nichtschwimmer bei Drittklässlern
Da gibt ihm Guido Kersten uneingeschränkt Recht. Es gebe sonst nur noch das Stadtbad im Märkischen Viertel, sagt der Präsident der Berliner Wasserratten und schlägt Alarm: „46 Prozent aller Kinder bis zur dritten Klasse in Reinickendorf können nicht schwimmen.“ Er wünscht sich am Paracelsus-Bad ein 1,30 Meter tiefes und 25 Meter langes Außenbecken, zugangsfreundlich auch für Mobilitätseingeschränkte – im Bestandsgebäude sei Barrierefreiheit wegen des Denkmalschutzes nur sehr eingeschränkt zu realisieren. „Die Erfahrung zeigt, dass es oft die Großeltern sind, die mit ihren Enkeln im Sommer ins Schwimmbad gehen, während die Eltern arbeiten.“
Mittlerweile liegt den Berliner Bäder-Betrieben die Machbarkeitsstudie zum Außenbecken vor. Die Ergebnisse wollen sie demnächst präsentieren. Noch davor wird die CDU Reinickendorf bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwoch ebenfalls einen Beschlussantrag für das Außenbecken einbringen.
Die Linke findet die Entscheidung „wohlfeil“
Die Rolle des Spielverderbers in der einigen Runde kommt Felix Lederle zu. Der Vorsitzende der Linksfraktion in der BVV Reinickendorf erinnert daran, das Reinickendorf seiner Verpflichtung, Unterkünfte für Geflüchtete zu schaffen, „auf Kosten der anderen Bezirke“ nicht nachkomme. Er hatte Bezirksbürgermeister Uwe Brockhausen (SPD) bei der letzten BVV daran erinnert.
„Wenn man die MUF am Paracelsus-Bad bekämpft, muss man sich auch der Verantwortung stellen und einen Ersatzstandort benennen“, fordert er in Richtung Brockhausen und Stroedter. Die Vorschläge von letzterem seien „wohlfeil“. Wie lang das ehemalige Flughafengelände in Tegel weiter zur Verfügung stehe, sei unsicher, das Anmieten von Hostels oder Hotels sei viel teurer als MUF, die später auch Wohnungssuchende nutzen könnten. Und dass Berlin angesichts steigender Flüchtlingszahlen handeln müsse, steht für Lederle außer Frage. „Sonst kommt es bald wieder soweit, dass wir Turnhallen beschlagnahmen müssen.“