Berlin. Der Prozess um den mutmaßlichen Fall von Kannibalismus in Pankow geht in die Verlängerung. Eigentlich war für Freitag der letzte Verhandlungstag vor dem Berliner Landgericht geplant. Nun hat die 32. Strafkammer drei weitere Termine für den Dezember angesetzt, bei denen auch der Gerichtsmediziner Michael Tsokos erneut aussagen soll. Der hatte zuletzt den Angeklagten Stefan R. belastet, wonach die Verteidigung Zweifel an seiner Sachkunde äußerte.
Stefan R. ist wegen Mordes angeklagt. Dem 42 Jahre alten Lehrer für Mathematik und Chemie wird vorgeworfen, am 6. September 2020 den Monteur Stefan T. aus Lichtenberg in seiner Pankower Wohnung umgebracht, die Leiche des 43-Jährigen zerteilt und die Teile an verschiedenen Orten im Nordosten Berlins abgelegt haben. R. hat laut Staatsanwaltschaft getötet, um Teile der Leiche zu verspeisen.
Stefan R. soll auf einschlägigen Internetforen unterwegs gewesen sein, weist die Mord- und Kannibalismusvorwürfe aber von sich. Er räumte im Prozess ein, Stefan T. über eine Datingplattform kennengelernt und sich mit ihm am betreffenden Abend in seiner Wohnung zum Sex getroffen zu haben. Dann habe er ihm angeboten, auf der Couch zu übernachten. Am nächsten Morgen sei der 43-Jährige tot gewesen und er habe in Panik die Leiche zerteilt, um sie verschwinden zu lassen.
Tsokos: Opfer hat kurz vor dem Tod K.o.-Tropfen genommen
Laut Rechtsmediziner Tsokos starb Stefan T. jedoch durch massiven Blutverlust infolge einer Verletzung etwa an Hals- oder Beckenschlagader. Das deckt sich nicht mit den Aussagen des Angeklagten, demnach der 43-Jährige einfach „im Sitzen umgekippt“ sei. Außerdem hat die toxikologische Untersuchung laut Tsokos ergeben, dass Stefan T. kurz vor seinem Tod die Droge GHB konsumiert haben muss – besser bekannt als K.o.-Tropfen. Laut der Verteidigung habe sich das GHB auch nach dem Tod im Zuge des Fäulnisprozesses bilden können.
Tsokos leitet das Institut für Rechtsmedizin der Charité und gilt als einer der renommiertesten Experten auf seinem Gebiet. Die Verteidigung forderte zuletzt einen zweiten Gutachter, was die Kammer unter Vorsitz von Richter Matthias Schertz jedoch ablehnte. Am Mittwoch kündigten Stefan R.’s Anwälte dann Befangenheitsanträge an, die sie am Freitag nun doch nicht stellten.
Kannibalismus-Verdacht: Knochen ohne Fleisch gefunden
Stefan T. verschwand am späten Abend des 5. September 2020 aus seiner Wohngemeinschaft. Knapp zwei Monate später am 8. November fanden Spaziergänger am Buchholzer Graben menschliche Knochen, von denen das Fleisch vollkommen abgetrennt war und die später dem Vermissten zugeordnet wurden. Spürhunde führten die Ermittler schließlich auf die Spur von Stefan R., in dessen Wohnungen Tiefkühltruhen mit weiteren Teilen der Leiche von Stefan T. sowie entsprechendes Werkzeug zum Zerteilen gefunden wurden.
Seit dem 18. November 2020 sitzt der als unscheinbar geltende Lehrer in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Stefan T. nicht sterben wollte. Am 10. August begann vor dem Landgericht der Prozess, in dem unter anderem ein früherer Sex-Partner berichtete, der Angeklagte hätte zuvor Tötungsfantasien geäußert.
Bislang wurde Stefan R. Mord aus niedrigen Beweggründen vorgeworfen, da er getötet haben soll, um seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen. Am Freitag erging der rechtliche Hinweis, dass er außerdem eine Verurteilung wegen Heimtücke in Frage komme. Der Prozess soll am 9. Dezember fortgesetzt werden. Mit einem Urteil wird am 22. Dezember gerechnet.