Berlin. “Morgenpost vor Ort“ mit Hajo Schumacher zu Problemen und Perspektiven in Pankow. Wichtigstes Thema: Folgen des Wachstums.

Einen geradezu revolutionären Gedanken äußerte Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) am Dienstagabend gleich zu Beginn des Leser­forums „Morgenpost vor Ort“. In Pankow kursiere immer mal wieder die Idee, den Bezirk nach Brandenburg zu verlegen. Dann wäre man eine selbstständige Kommune und hätte, anders als ein Berliner Bezirk, die Kontrolle über den eigenen Haushalt.

Wenn diese Idee auch eher scherzhaft verfolgt wird, verweist sie doch auf ein großes Problem, mit dem Pankow als stark wachsender Bezirk zu kämpfen hat: Die zweistufige Verwaltung sorgt oft für Verzögerungen und Verdruss in der Bau-, Verkehrs- und Schulplanung. Darüber klagt die Verwaltung ebenso wie engagierte Bürger, die sich mit ihren Anliegen im Dickicht unklarer Zuständigkeiten verlieren.

„Pankow – Probleme und Perspektiven eines Bezirks“ lautete der Titel des Leserforums im voll besetzten Großen Ratssaal des Pankower Rathauses. Mit dem Bezirksbürgermeister diskutierten Thomas Brandt, Vorsitzender des Vereins „Für Pankow“; Juliane Bartel, Vorsitzende des Bezirkselternausschusses Pankow; Thomas Zoller, Vorsitzender des Vereins für nachhaltige Verkehrsentwicklung, und Thomas Schubert, Pankow-Reporter der Berliner Morgenpost. Hajo Schumacher, Autor und Kolumnist dieser Zeitung, moderierte den Abend. Auf seine Frage, wer gegen den „Brandenburg-Plan“ sei, hob sich im Publikum keine Hand. Man sei zuerst Pankower, erst dann Berliner, erläuterte Sören Benn. Die wichtigsten Themen der Diskussion:

Wachstum und Stadtentwicklung

Wäre Pankow mit seinen rund 406.000 Einwohnern eine eigene Stadt, würde diese im deutschen Ranking Platz 16 einnehmen. In Brandenburg, um den Gedanken ein letztes Mal aufzunehmen, wäre Pankow mit Abstand die einwohnerstärkste Kommune und könnte geradezu Anspruch auf den Titel der Landeshauptstadt anmelden, wie Hajo Schumacher süffisant anmerkte. Im Ernst: Pankow war bis 2017 der am stärksten wachsende Bezirk Berlins. Inzwischen ist das zwar Lichtenberg, aber Pankow wächst weiter auf sehr hohem Niveau.

"Das Pankower Tor muss viel schneller entwickelt werden, denn wir brauchen dringend Wohnraum und die zwei geplanten Schulen." Sandra von Münster (44), Rechtsanwältin aus Weißensee © Sergej Glanze | Sergej Glanze

Sören Benn veranschaulichte das mit einigen Zahlen. 2001, zum Zeitpunkt der Bezirksgebietsreform, zählte Pankow rund 70.000 Einwohner weniger als heute. Das zeigt sich auch an den Schülerzahlen. 2010 waren es rund 25.000 Mädchen und Jungen. Heute sind es 36.000, in wenigen Jahren werden es 44.000 Schüler sein. „Es kann nicht überraschen, dass da Infrastruktur-Engpässe auftreten“, sagte der Bezirksbürgermeister. Und betonte: „Wir müssen neu bauen.“ Diese Aussage war auch an diejenigen Gäste gerichtet, die meinen, bei ihnen im Ortsteil werde schon zu viel gebaut.

19 Baugebiete mit insgesamt 30.000 neuen Wohnungen bis zum Jahr 2030 – so umriss der Linke-Politiker die Perspektive für Pankow. Hinzu kämen derzeit 2500 bis 3000 Wohnungen pro Jahr durch die Schließung von Baulücken. Thomas Brandt kritisierte die Bauplanung von Senat und Bezirk, insbesondere in den äußeren Ortsteilen: „Man versucht, aus einer Vorstadt mit Einfamilienhauscharakter eine Stadt mit Fünfgeschossern zu bauen.“ Brandt sprach sich für eine „organische Entwicklung“ aus, plädierte für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Stadtvillen zwischen Buch und Innenstadt.

Anders als Bezirk und Senat würde Brandt aber die Elisabeth-Aue bebauen und hält 3000 Wohnungen dort für verträglich. Er erntete Protest der Gäste. „Wir müssen wirtschaftlich und kompakt bauen“, konterte Sören Benn. Es könnten nicht alle Menschen in Stadtvillen ziehen, dazu fehle das Geld und der Platz. „Wir müssen die Stadt weiterbauen“, betonte Benn. Dabei müsse man Projekte entwickeln, die an den Bestand anknüpfen. Sie müssten ihn aber nicht immer eins zu eins spiegeln. Benn sprach sich dafür aus, „intelligent“ zu bauen, nicht nur „Masse zu machen“. Grünflächen seien wichtig, um die hohe Lebensqualität in Berlin zu erhalten.

Grünplanung

"Wir haben kein Theater mehr, außer ein privat betriebenes Haus in Prenzlauer Berg. In der Kultur sehe ich dringenden Nachholbedarf." Helmuth Hampel (82), Rentner aus Pankow © Sergej Glanze | Sergej Glanze

Auch die Frage, ob sich Grün und Neubauten miteinander vereinbaren lassen, war ein wichtiger Debattenpunkt. „Nein, das kann man nicht überall zu 100 Prozent“, betonte der Bezirksbürgermeister. Notwendig sei eine Interessen- und Güterabwägung. „Und da wird manchmal das Grün gewinnen und manchmal der Beton. Man kann auf jedem Quadratmeter nur das eine oder das andere machen“, so Benn.

Er sprach sich dafür aus, die Zahl und Gesamtfläche der Kleingärten zu erhalten. Sie seien auch als Kaltluftschneise und wegen der Artenvielfalt unverzichtbar. Nicht alle Parzellen könnten aber am jetzigen Ort erhalten bleiben. Morgenpost-Reporter Thomas Schubert begrüßte die Untersuchung des Bezirksamtes zu Frisch- und Kaltluftschneisen. Fragwürdig sei aber, warum sie so spät komme. Möglicherweise müssten nun Planungen der Neubaugebiete verändert werden.

Pankower Tor

Wieso dauert die Planung für das Neubaugebiet an der Prenzlauer Promenade so lange? Diese Frage beschäftigt viele Morgenpost-Leser. Immer wieder seien die Konzepte verändert worden, nun aber solle bis 2021 das Baurecht verabschiedet sein, hofft der Bezirksbürgermeister. In den vergangenen Jahren habe sich der Bedarf an Wohnungen, Schulen und Kitas sehr dynamisch entwickelt, das hätten die jeweils politisch Verantwortlichen berücksichtigen müssen. Thomas Schubert monierte, dass bei der neuen Einigung zwischen Senat, Bezirk und Investor Kurt Krieger strittige Punkte wie die Zukunft der alten Lokschuppen oder der Radschnellweg Panketrail ausgeklammert worden seien.

Verkehr

"Ich bin viel mit dem Fahrrad unterwegs. Den Radschnell-weg Panketrail begrüße ich. Denn er würde das Stadtbild lebenswert machen." Nicolas Liem (25), Student aus Gesundbrunnen © Sergej Glanze | Sergej Glanze

Thomas Zoller vom Verein für nachhaltige Verkehrsentwicklung kritisierte, dass zwar viel vom Verkehr geredet werde. Er beobachte aber eine große Diskrepanz zwischen dem, was öffentlich von Vertretern des Bezirks und des Senats verlautbart wird, und der praktischen Politik. Verkehrsprobleme ließen sich nur mittel- und langfristig lösen, das erfordere Konzepte und weitsichtige Planung. „Die vermisse ich in Berlin in hohem Maße“, so Zoller.

Bürgerinitiativen hätten es schwer, in Verwaltung und Politik Gehör zu finden. Als Beispiel nannte Zoller die Kastanien­allee in Rosenthal. Dort seien die Bürger nicht beteiligt worden. Erst wenn es ein Konzept etwa für Pendlerströme und Schwerlastverkehr gebe, sollte über einen Autobahnzubringer entschieden werden, forderte der Vereinsvorsitzende. Mit Hajo Schumacher war er sich einig, dass der Autoverkehr reduziert werden müsse. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Radwegenetzes gehe in Berlin zu langsam voran. Auch Thomas Schubert wünschte sich eine Tramverbindung von Pankow nach Weißensee – und nicht erst in sieben Jahren.

Schulen und Kitas

Juliane Bartel vom Bezirkselternausschuss begrüßte, dass inzwischen bei Neubaugebieten auch der Bedarf an Schulen und Kitas berücksichtigt werde. Das sei vor allem auf Druck der Eltern geschehen. In der Schulbauoffensive des Landes Berlin seien für Pankow mehr als 20 Neubauten, gut 20 Ergänzungsbauten und 37 Sporthallen vorgesehen.

Allerdings seien viele weitere Belange wie Schulhöfe, Verkehrsanbindung, Ampeln und Zebrastreifen noch nicht berücksichtigt. Auch die Beteiligung des Bezirkselternausschusses an der Schulbauoffensive sei noch nicht geregelt. „Pankow ist dicht, die Schulen sind überfüllt“, umriss Bartel den Platzmangel. 1600 bis 1800 Schüler weiterführender Schulen würden in anderen Bezirken unterrichtet. In etlichen Gymnasialklassen säßen mehr als 30 Kinder.

Bürgerbeteiligung

Sören Benn war kürzlich auf Dienstreise in Spanien und hat sich angesehen, wie etwa in Madrid oder Barcelona Stadtplanung und Bürgerbeteiligung organisiert werden. Sein Fazit: Angesichts von sehr guten Online-Plattformen zur Bürgerbeteiligung, die Barcelona über Open Source auch bereits mit Buenos Aires, New York, London und vielen anderen Städten verbindet, sei Berlin „Entwicklungsland“.

"Ich finde die Wohnungsbauprojekte wie zum Beispiel in Karow super. Aber die Infrastruktur muss in die Planung einbezogen werden." Imke Deden (31), kaufmännische Angestellte aus Karow © Sergej Glanze | Sergej Glanze

In Pankow, so Benn, sollen nun Stadtteilkonferenzen in allen Ortsteilen stattfinden, die im zweiten Schritt zu einer dauerhaften Struktur entwickelt werden sollen. Der Bezirksbürgermeister mahnte aber auch, dass Bürgerbeteiligung nicht nur dann stattfinde, wenn Bürger sich mit ihren Ideen durchsetzen. Vielmehr gehe es um vier Stufen: Information, Anhörung der Bürger und Meinungsaustausch, Mitwirkung sowie Mitentscheidung. Benn räumte ein, dass die Verwaltung nicht immer hinreichend klarmache, auf welcher Stufe der Bürgerbeteiligung ein Format, etwa ein Forum, stattfinde. „Da werden Erwartungen erweckt, die wir nicht erfüllen können“, sagte er.

Auf Hajo Schumachers Frage, wie gut denn das Bezirksamt informiere, gab es unterschiedliche Antworten. Während Thomas Schubert keinen Anlass zur Klage sah, hielt Thomas Brandt die Pankower Vereine für nicht gut informiert. Der direkte Draht fehle. Morgenpost-Leserin Ines Weber sah ein anderes Problem beim Thema Bürgerbeteiligung: Sie habe es schon mehrfach erlebt, etwa in Buchholz und Blankenfelde Süd, dass das Bezirksamt für Bürgerforen viel zu kleine Räume gewählt habe. Offenbar wird die Neigung der Pankower, das Wachstum mitgestalten zu wollen und sich selbstbewusst für ihre Belange einzusetzen, oft unterschätzt.