Berlin. Das Café Niesen sorgte mit einem kinderfreien Bereich für Aufsehen. Nun schließt es wegen einer Mietsteigerung von 55 Prozent.

Lange bevor es Mode wurde, kinderfreie Zonen einzurichten, war Christine Wick mit dieser Idee schon da. 2010 sorgte die Nachricht, dass ihr „Café Niesen“ in Prenzlauer Berg einen Ruheraum für Erwachsene einrichtet, für Furore. Erst recht, weil es sich direkt gegenüber dem Moritzhof befindet, wo die Jugend des Prenzlauer Berg am Wochenende Ziegen streichelt.

Jetzt hat das „Café Niesen“ für immer geschlossen. Am 13. Geburtstag des Lokals verriegelte Wick die Türen. Mit einer Mischung aus Resignation und Selbstironie spricht sie über die Gründe. Den Streit mit dem Eigentümer. Die Kapitulation vor einer Mietsteigerung in Höhe von 55 Prozent. Es war die einzige Bedingung, unter der sie den Betrieb auch 2019 hätte weiterführen können. Stattdessen stieg Wick aus ihrem Vertrag, der bis zum Jahresende läuft, nun vorzeitig aus und wird damit ihre Sorgen los. Die Malerin widmet sich nur noch ihrer Kunst.

Delikat: Das Haus mitsamt des Ladenlokals befindet sich nach Informationen der Berliner Morgenpost im Besitz eines viel bekannteren Künstlers: Rammstein-Sänger Till Lindemann. Wick wurde über die Hausverwaltung in Kenntnis gesetzt, dass die Gewerbemiete pro Quadratmeter von 12,85 pro Quadratmeter auf 20 Euro steigen soll – wenn sie die Option für eine Vertragsverlängerung wahrnehmen will. „Die Verwaltung hat mir schon vor zwei Jahren ausrichten lassen, dass sie den Vertrag eigentlich nicht verlängern will. Es hieß, ich könne mir Renovierungsmaßnahmen sparen“, sagt die Gastronomin. Für eine Stellungnahme waren das Management von Rammstein und die Hausverwaltung nicht zu erreichen.

Anwohner "bedanken" sich bei Rammstein

Am Montag sind die letzten Verhandlungen gescheitert. Am Dienstag gab es eine Abschiedsparty. Am Mittwoch war das „Café Niesen“ zu. Eine friedliche Kapitulation. Wick legt Wert darauf, dass sie üble Nachrede gegen Rammstein ablehnt. Sie sagt: „Ich will keine Rache, nur meine Ruhe.“ Trotzdem klebten die Menschen im Kiez am Mauerpark in den vergangenen Wochen Aushänge mit der sarkastischen Bemerkungen an die Wände. „Danke, Rammstein!“ stand dort geschrieben. Wick war es am Ende leid, sie wieder abzureißen. Till Lindemann dürfte die Zettel trotzdem gesehen haben. Denn er lebt selbst im Kiez.

„Ich empfinde Trauer – und freue mich zugleich auf mein neues Nest“, beschreibt Wick ihre Gefühle. Mit dem neuen Nest meint sie Räume in der Nachbarschaft, die ihr Bekannte zur Verfügung stellen. Hier will Wick ihre künstlerische Ader ausleben – und der Community des „Café Niesen“ einen neuen Anlaufpunkt geben. Auch für die neun Mitarbeiter des Lokals ist die Betreiberin optimistisch. Viele von ihnen hätten ein Studium und stünden mit beiden Beinen fest im Leben - „auch für sie wird es weitergehen.“

Trotz seines Rufs war das „Café Niesen“ mehr als ein kinderfreier Ort. Im größeren der beiden Räume konnten sich Familien nach Belieben tummeln. Im „Niesen“ hatte jeder die Wahl. Mit Kind oder ohne – hier ging beides. Ärzte, Schauspieler, Journalisten und Arbeitslose hielten abends Weingläser in der Hand. Man las Gedichte, sprach über das Kiezgeschehen, Malerei und Politik.

Großer Ausverkauf am Sonntag

Selbst Eltern nahmen den abgeschiedenen Bereich in Anspruch - „denn die wollten ab und zu besonders stark ihre Ruhe“, fand Wick heraus. Den Bedarf an „schnullerfreien Zonen“ erkannte sie im Bekanntenkreis. „Mir fiel auf, dass es nicht alle lustig finden, wenn ihnen Kaffee in den Schoß geschüttet wird.“ Dass Wick vor 13 Jahren überhaupt ein Café eröffnete, geschah im übrigen auch ihrer Familie wegen - „ich hatte selbst ein Kind bekommen. Und wollte der Familie eine finanzielle Sicherheit bieten, die man in der Kunst allein nicht findet.“ In dieser Woche hat sich der Traum, mit der Gastronomie ein sicheres, zweites Standbein aufzubauen, zerschlagen.

Und nun? Wick hofft darauf, sich am Sonntag ein kleines Startkapital für ihr neues Leben zu verdienen. Dann veranstaltet das „Café Niesen“ in der Schwedter Straße 78 ab 10 Uhr einen Ausverkauf. Im Angebot sind Tische, Stühle, Geschirr, Kuchentheke, Kaffeemühlen und Kühltruhen. Auf diese Weise wird ein Stück „Niesen“ in vielen Küchen weiterleben, freut sich Wick. So wird das „Niesen“ in vielen Küchen weiterleben, freut sich Wick. Und vielleicht mahlen die Kaffeemühlen bald in einem Lokal, dem eine längere Lebenszeit beschieden sein wird als die 13 Jahre ihres eigenen Cafés.