Nachtleben in Berlin

"Ohh, ahh, mmhh" - So läuft Porno-Karaoke in Prenzlauer Berg

| Lesedauer: 7 Minuten
Sarah Borufka
Gut gestöhnt ist halb gewonnen

Gut gestöhnt ist halb gewonnen

An Karaoke-Nächten gibts im "Toast Hawaii" keine schnulzigen Popsongs. Stattdessen werden auf der Bühne skurrile Pornofilme synchronisiert. Pro Runde stöhnen drei Teams gegeneinander um die Wette. Kreative Künstlernamen dürfen dabei nicht fehlen.

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Wild Bingo, Burlesque und Porno-Karaoke: In den Bars „Zum starken August“ und "Toast Hawaii" fühlen sich Gäste wie zu Hause.

Auf der Bühne steht Travestiekünstlerin Gisela Kloppke (35), eine Erscheinung im Papageiendress, mit glitzerndem Make-up in Regenbogenfarben, roter Kurzhaarperücke, pinkfarbenen Lippenstift, Leopardenstiefeln. Gisela wird gleich die Regeln des „Wild Bingo“ erklären, das sie moderiert. Aber erst mal fragt in die Runde: „Wie geht es Euch, meine Lieben? Wer hat heute arbeiten müssen? Und wer muss sich deswegen jetzt betrinken?“ Schallendes Gelächter. Bingo für Gisela.

Es ist ein ganz normaler Montagabend in der Bar „Zum Starken August“ an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten bis Mitte der Neunzigerjahre war in diesen Räumen die legendäre Nachtbar „Lolott“. Vor dem Eingang bildeten sich damals häufig Schlangen. Ganz so überrannt ist es heute nicht, aber der Laden ist voll. Die meisten Tische sind schon Tage vorher reserviert.

Die Kneipe, die das Team um Sebastian Kulka (34) im September 2015 eröffnet hat, sieht aus wie eine bunt zusammengewürfelte Zirkuswelt. Die Entscheidung, die Bar so zu gestalten, war kein willkürlicher Deko-Gag. Kulka kommt aus einer Schaustellerfamilie. Der „Zirkus Atlantik“ seines Opas war einer der ersten im Nachkriegsberlin. Viele der Requisiten, die Kulkas Bar schmücken, stammen aus der Familie. „Das Holzpferdchen an der Wand gehörte meiner Mutter und die Bilder hinten im Gang sind alte Familienfotos. Das ist mein Onkel, der da mit seinem Kopf im Maul eines Löwen steckt“, sagt Kulka.

Die Bar ist fotogen: Vor der Tür lässt sich eine Touristin in einem ausgemusterten Autoscooter-Wagen fotografieren. Das bunte, schräge Berlin, dieser Mythos, dem die Party-Touristen hinterherreisen. Würde man es in Form einer Bar destillieren wollen, so wäre man wohl ziemlich nah dran mit diesem Starken August.

Wo Stammgäste zu Freunden werden

Wie erklärt sich der Erfolg einer Bar? Wieso brummen manche Läden, während in anderen der Tresen leer bleibt? Eine eindeutige Antwort fällt schwer. Fest steht: Die Gäste lieben den Ort, den Kulkas Team geschaffen hat. „Es ist authentisch. Weder schicki-micki noch völlig abgeranzt. Die Bar zieht Menschen an, die außergewöhnlich sind. Ich fühle mich immer herzlich willkommen“, sagt die Marketing-Studentin Annabelle Cummerow (25).

Als sie über die Events redet, die hier stattfinden, redet sie, ohne es zu merken, in der Wir-Form. „Wir haben montags das Bingo, mittwochs den stillen Zirkus, freitags die Burlesqueshow“, sagt sie. Als Stammgast fühlt sie sich als Teil der August-Familie. Auch Kulka sagt ganz am Anfang des Interviews sofort den Satz: „Wir haben keine Gäste, wir haben Freunde.“ Es mag kitschig klingen. Aber Kulka glaubt man das. Einer, der in drei Monaten harter Arbeit eine Bar fast im Alleingang renoviert und seine Familienerbstücke an die Wand montiert hat, sagt das nicht einfach nur, weil es gut klingt.

Bei Schnapszahl gibt es für die richtige Antwort Alkohol

Auf der Bühne ist Gisela Kloppke mittlerweile mit den Regeln durch: Wenn ein neuer Gast zur Tür hereinkommt, sollen alle den Neuankömmling mit tosendem Applaus begrüßen. Immer, wenn eine Zehnerzahl genannt wird, muss eine aus dem Publikum bestimmte Assistentin mit jedem einzelnen Gast in der Bar anstoßen und bei Schnapszahlen stellt Kloppke ihrem Publikum eine Frage aus dem Klatsch-Magazin „In Touch“. Für die richtige Antwort gibt es, klar, Schnaps. Wer fälschlicherweise „Bingo“ ruft, muss sich ausziehen, zumindest ein bisschen. „Ich finde, das ist für alle die schönste Strafe“, sagt Gisela.

Und wer ein echtes Bingo hat, muss seinen Preis (Modeschmuck-Ohrringe oder Freigetränke) in einer Aktion gegen einen Herausforderer verteidigen. Beim „Hoppelbingo“ tritt der Gewinner von Runde eins, Michael Riech, gegen seine Freundin Anna beim Sackhüpfen auf Zeit an. Immer wieder kommen neue Gäste in die Bar. Alle klatschen, schon ganz automatisch. Es fühlt sich jetzt wirklich an wie eine gute Party bei Freunden zu Hause.

Reihen wie das „Wild Bingo“ sind ein Teil des Erfolgsgeheimnisses der Macher. „Wo sonst kann man in Berlin an einem Montagabend schon Transen­bingo spielen und sich gepflegt mit seinen Freunden betrinken“, sagt Gisela. Früher füllte noch eine weitere, besonders ausgefallene Veranstaltung die Bar: Die monatliche „Porno-Karaoke“ bescherte dem Starken August viele neugierige Gäste und zog Kamerateams aus ganz Deutschland an. Sogar dem sonst eher bodenständigen Bayerischen Rundfunk war diese Veranstaltung einen Beitrag wert.

Das Konzept ist einfach: Gäste synchronisieren unfreiwillig komische Pornofilme mit teils absurden Handlungen, mimen anrüchig-alberne Dialoge und stöhnen mit. Der Film läuft auf einer großen Leinwand, die Synchronisierer sitzen mit Mikros auf einem Sofa auf der Bühne, das Publikum schwankt zwischen Scham und Begeisterung. Mittlerweile findet die Veranstaltung in der neuen Bar statt, die das Team des Starken August am Osterwochenende offiziell eröffnet hat, das „Toast Hawaii“, dreihundert Meter entfernt, an der Danziger Straße.

Das Konzept ist ein Publikumsmagnet

Grund: Mehr Platz und ein bisschen Promotion für den neuen Standort. Das Konzept ist schließlich ein Publikumsmagnet. Zwei Wochen vor der Eröffnung testen die Macher den Standort schon mal. Am Einlass wird Besuchern statt des sonst üblichen Stempels mit Edding ein Phallus auf das Handgelenk gezeichnet. Kulka zieht sich in einem Abstellraum um und beantwortet meine Fragen. Am Ende des Interviews trägt er Augen-Make-up, eine große Goldkette, ein wild gemustertes Hemd und sieht aus, als könne er selber in einem Siebzigerjahre-Porno mitspielen.

Warum sein Team so erfolgreich ist? „Ich glaube, weil wir uns nicht so ernst nehmen. Beim Porno-Karaoke geht es auch nicht in erster Linie um Sex, sondern um Spaß, um das Albernsein“, sagt er. Sein Outfit steht, nun geht es mit Co-Moderatorin Donna Domingo auf die Bühne. Die beiden frotzeln wie alte Freunde.

Vor der Bühne ist kein Platz frei. Alle johlen, als die Moderatoren auf die Bühne treten. Der Laden ist mal wieder voll. Aber was Kulka und sein Team machen, ist kein clever kalkulierter Marketing-Trick, um die Kneipe zu füllen.

Vielleicht ist das das Geheimnis: Die Bar ist für alle, die hier auftreten, arbeiten oder mitmachen, ein Herzens­projekt. Und Liebe ist nun mal ansteckend.