Berliner Museen

Das sind die Gewinner des Neuköllner Kunstpreises

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Katrin Starke
3. Preis: „Retreat“.

3. Preis: „Retreat“.

Foto: Ralf Deves

Neukölln ist ein lebendiger Standort der Kunstszene Berlins. Die Gruppenausstellung in der Galerie im Saalbau zeigt dies deutlich.

Berlin. Hunderte filigrane Spitzendeckchen zu einem Turm ­übereinandergestapelt. In einer Reihe aufgestellte kaputte Grabvasen, gestapelte Verkehrs­pylonen. Gebogene Geodreiecke, so ­drapiert, dass sie wie Bischofsmützen aussehen. Dahinter eine Leinwand mit der Unterschrift des Diktators Josef Stalin, nachgezeichnet von der Künstlerin Katharina Reich, zweckentfremdet und auf den Kopf gedreht. Mit ihrer Installation „Depot 2022–2023“ hat Katharina Reich den Neuköllner Kunstpreis 2023 gewonnen. Zu sehen sind die Arbeiten aller Preisträger und Nominierten nun in der Galerie im Saalbau.

Jährlich vergibt der Fachbereich Kultur des Neuköllner Bezirksamts in Kooperation mit dem Kulturnetzwerk Neukölln und der Wohnbauten-Gesellschaft „Stadt und Land“ den mit insgesamt 6000 Euro dotierten Kunstpreis. Damit will man im Bezirk ansässige Künstler unterstützen, aber auch darauf aufmerksam machen, dass Neukölln mit seiner Vielzahl an Ateliers ein lebendiger Standort der aktuellen Kunstszene ist.

Mehr als 180 in Neukölln ansässige Künstler hatten sich in diesem Jahr um den Preis beworben. Sieben von ihnen nominierte die Jury für die Auszeichnung, vergeben wurden letztlich drei Preise und ein von „Stadt und Land“ gestifteter Sonderpreis.

Ein persönliches Statement zur ­aktuellen politischen Situation

Die Installation von Katharina Reich ist eindeutig ein Hingucker. In ihrem Werk setzt sich die 1987 in Westsibirien geborene und seit 1996 in Deutschland lebende Künstlerin mit ihrer Herkunft auseinander. Sie ­ordnet Objekte der Größe nach an, bildet daraus Stapel und Türme und schafft damit flüchtige Ordnungs­systeme. „Depot 2022–2023“ lese sich als persönliches Statement zur aktuellen politischen Situation, begründet die Jury, warum sie Katharina Reich den ersten Preis zuerkannt hat. Die Jury überzeugte vor allem, „wie die Künstlerin Alltagsgegenstände neu zusammensetzt und so die Schrecken von Krieg, Militarismus und Totalitarismus bloßlegt“.

Den zweiten Preis sicherte sich ­Silvia Noronha. Aufgewachsen in Minas Gerais, einem der größten Bergbaugebiete Brasiliens, lernte ­Noronha früh die Auswirkungen einer stark vom Menschen beeinflussten, industrialisierten Welt kennen. Für ihre Installation „Shifting Geologies“ fügte sie Zivilisationsmüll, auf den sie zufällig stieß, wie Plastik, Glas oder Elektroschrott, mit natürlichen Materialien wie Erde oder Ton unter extremer Hitze und teils hohem Druck zusammen. Das Ergebnis sind Skulpturen in Form geologischer Körper. Die Jury lobte die begehbare Präsentation der Artefakte als eine „Zukunftsarchäologie in ästhetischer Perfektion“.

Auch den dritten Preis vergab die Jury für eine Installation, für ­„Retreat“ von Sarah Wohler. Aus Wohnaccessoires wie Kunstrasen, Backsteintapete, Teppich, Dämmplatten oder Glasscheiben hat die Künstlerin Räume geschaffen. Zwei aneinander gelehnte Platten bilden ein Dach, einen Unterschlupf. Doch die Behausung ist einsturzgefährdet, eignet sich nicht als Rückzugsort. In ihrer Instabilität sei die Installation „ein fein gesetzter Kommentar zur Fragilität der menschlichen Existenz“, begründet die Jury die Auszeichnung für Sarah Wohler.

Der Sonderpreis ging an Antje Taubert, die sich häufig von ­Literatur oder Musik inspirieren lässt. Ausgangspunkt ihrer Malerei „Barockisie­rende Abweichung“ war der Science-Fiction-Roman „Solaris“ von Stanislaw Lem. Vor allem die bildliche Beschreibung des intelligenten Ozeans, der den Planeten Solaris fast vollständig bedeckt, faszinierte sie. Entstanden ist daraus ein Bild, in dem sich Kreise, Dreiecke, Rechtecke und Kurven überlagern und ineinander verschachteln – ein abstraktes Werk, das dem Betrachter Spielraum für Assoziationen lässt.

In der Fotoserie „Blindwalk“ erscheinen die Orte als Nichtorte

Im Saalbau ausgestellt ist auch die Fotoserie „Blindwalk“ von Florian Bong-Kil Grosse. Fotografiert hat er eine Person in Rückenansicht, die sich in einer nicht identifizierbaren Stadtlandschaft bewegt. Keine anderen Menschen, keine Bäume, keine Pflanzen bevölkern das Bild, weshalb die Orte eher als Nichtorte erscheinen. Auf diese Weise lenkt der Fotograf den Blick des Betrachters auf die eine dargestellte Person und dessen Körpersprache. Eine für Florian Bong-Kil Grosse typische Fotoserie, sind seine Arbeiten doch häufig Körperstudien.

Nominiert für den Kunstpreis war auch Peter Hock mit seiner großformatigen Kohlezeichnung „Stoff“. Hock reizt das Mehrdeutige. So bleibt die Frage offen, ob „Stoff“ eher die vergrößerte Nahansicht eines Teppichs darstellt oder Bakterien unterm Mikroskop. Auch lässt sich auf den ersten Blick nicht ausmachen, ob es sich um ein Foto, einen Druck oder ein Gemälde handelt. Erst bei genauem Hinsehen wird klar, dass es eine Kohlezeichnung ist.

Mittels unterschiedlicher Techniken und Materialien verarbeitet die Neuköllner Künstlerin Friederike Hammann gesellschaftliche Themen. Der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine war Auslöser für ihre Serie düsterer Zeichnungen mit dem Titel „Dark Diary“. Bögen und Linien hat sie mit blauem und schwarzem Kugelschreiber kreuz und quer auf kleinformatiges Papier gemalt und damit ihrer Wut, Angst und Hilflosigkeit Ausdruck verliehen.

Museums-Info

  • Galerie im Saalbau Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, Tel. 902 39 37 72, Mo.–So. 10–20 Uhr, Eintritt frei, www.galerie-im-saalbau.de
  • „Neuköllner Kunstpreis“, Ausstellung bis 16.4.
  • Zur Finissage am Sonntag, 16. April, gibt es um 18 Uhr einen Rundgang durch die Ausstellung mit den Künstlern.

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