Treffen

In der Sehitlik-Moschee diskutieren Homosexuelle mit Muslimen

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Ulrich Kraetzer

Foto: Reto Klar

Diesmal hat es geklappt: In der Neuköllner Sehitlik-Moschee trafen sich Schwule und Lesben zu einer Gesprächsrunde mit Muslimen. Ein Treffen mit Symbolcharakter.

Beim gemeinsamen Abendessen am Ende der Veranstaltung redeten Yasemin Bagci und Markus Nisch darüber, ob das Eigelb bei Bioeiern heller sei als bei Eiern aus der Legebatterie. Man kann das getrost als hoffnungsvolles Zeichen werten. Denn wenn ein Mann, der schwul ist, und das ist Markus Nisch, und eine Frau, die Muslimin ist, und das ist Yasemin Bagci, bereits beim ersten Treffen und schon nach einer Stunde ein Thema finden, das sie wichtiger finden als das konfliktbeladene Verhältnis zwischen Homosexuellen und Muslimen, dann zeigt das, dass Menschen, die nicht mehr übereinander, sondern miteinander reden, sich trotz unterschiedlicher Ansichten bestens verstehen können.

So locker der Abend endete, so wenig selbstverständlich war es, dass der Besuch der Schwulen und Lesben in der Neuköllner Sehitlik-Moschee am Dienstagabend überhaupt zustande kam. Denn beim Thema Homosexualität gibt es unter vielen Muslimen, vorsichtig formuliert, Berührungsängste. Ein erster Anlauf für ein Treffen in der Moschee war deswegen im November 2014 gescheitert. Der Plan war nicht nur unter älteren Moscheegängern auf Vorbehalte gestoßen. Auch in der staatlichen türkischen Religionsbehörde, der die Sehitlik-Moschee untersteht, war der Eindruck entstanden, die Berliner wollten mit dem Besuch der Schwulen und Lesben elementare Grundsätze der islamischen Glaubenslehre über Bord werfen.

Menschen zusammenbringen

Nun also doch das Treffen, organisiert wie beim ersten Versuch von dem gemeinnützigen Verein Leadership Berlin, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen zusammenzubringen, die sonst vielleicht nicht zusammenfinden würden. Dass das Treffen Symbolcharakter haben würde, war den Beteiligten klar. Denn die Sehitlik-Moschee ist nicht nur eines der größten, sondern auch das prächtigste und bekannteste muslimische Gebetshaus Berlins. Zum Freitagsgebet kommen rund 1500 Gläubige. An diesem Dienstagabend sitzen den etwa zehn Schwulen und Lesben dagegen nur der Gemeindevorsteher Ender Cetin und seine Frau Pinar gegenüber, sowie sechs weitere Frauen.

Vier von ihnen tragen Kopftuch. Dahinter stehen einige junge Männer. Die ersten kritischen Fragen lassen nicht lange auf sich warten. „Wenn Gott barmherzig ist und er zwischen seinen Geschöpfen nicht unterscheidet, was ist dann falsch an der Homosexualität?“, will einer der Besucher wissen. Ender Cetin versucht sich an einer Erklärung. Das Problem sei nicht die homosexuelle Veranlagung, sagt er. Das Bedürfnis auszuleben, die homosexuelle Handlung also, werde von den meisten Muslimen aber als „große Sünde“ betrachtet. Einfache Muslime hätten aber nicht das Recht, über Homosexuelle zu richten oder sie zu diskriminieren. „Keiner von uns kann beurteilen, wer ins Paradies kommt und wer in die Hölle“, sagt Cetin. Dieses Recht habe nur Gott.

Das soll versöhnlich klingen. Doch der Ingenieur und der Richter, der Clubbesitzer, der Musikmanager und die Journalistinkönnen das nicht hinnehmen. Ihre Homosexualität ist Teil ihrer Identität, keine schlechte Angewohnheit, die sie einfach abstreifen könnten. „Dass es eine Sünde sein soll, wenn ich meine Veranlagung auslebe, kann ich nicht akzeptieren“, sagt einer von ihnen.

Die Tochter lesbisch? „Ich wäre schockiert“

Ein anderer Mann fragt die Eheleute Cetin, wie sie reagieren würden, wenn ihre Tochter sagen würde, dass sie lesbisch sei. Ender Cetin lacht. Dann wird er nachdenklich und gibt offen zu: „Ich wäre schockiert. Aber ich würde natürlich zu meiner Tochter stehen und zu ihr halten.“ Ein anderer will wissen, ob mit den im Koran erwähnten „Luti“, dessen Taten als schändlich bezeichnet werden, tatsächlich Homosexuelle gemeint seien, oder ob nicht eine andere Übersetzung vorstellbar sei. „Doch, das stimmt“, sagt Ender Cetin. „Vielleicht war Gott die sexuelle Orientierung seiner Geschöpfe also einfach egal“, sagt einer der schwulen Besucher. „Vielleicht“, sagt Ender Cetin – und macht deutlich, dass er eine klare Haltung zu dem Thema hat, sich aber nicht sicher sein kann, dass er damit richtig liegt.

Pinar Cetin betont, dass Schwule und Lesben in der Sehitlik-Gemeinde nicht aus der Moschee geworfen würden. Das Thema werde weitgehend tabuisiert, gibt sie zu. Man müsse seine sexuellen Vorlieben ja auch nicht so vor sich hertragen. Einen Moment herrscht Stille. Dann meldet sich ein Psychologiestudent aus Neukölln zu Wort. Es gehe ihm nicht darum, allen mitzuteilen, was er im Bett mache, sagt er. „Wenn ich Muslim wäre und in der Moschee gefragt würde, was ich gestern gemacht habe, würde ich aber gerne sagen, dass ich mit meinem Mann im Kino war.“

Scherze am Ende des Tages

Pinar Cetin hört ihm aufmerksam zu. Später wird sie sagen: „Darüber muss ich nachdenken.“ Zum Ende der Diskussion wird wieder gescherzt und gelacht – und Pinar Cetin stellt eine rhetorische Frage, die auch als Schlusswort geeignet gewesen wäre. „Was ist schon normal?“, fragt sie. Einer der schwulen Besucher erwidert: „Du bist ja ein Schatz.“ Dann nehmen sich beide in den Arm und lachen.