Berlin. Mieter mahnen den drohenden Verlust von Grün an. Die Koalition hat sich allerdings schon dafür ausgesprochen.

Das Projekt stieß auf breite Resonanz: Die Ankündigung, unter einem Dach in drei Kitas Kinder dreier Religionen zu betreuen, wurde im Januar dieses Jahres stadtweit begeistert aufgenommen Nun hat sich allerdings zumindest bei vielen Anwohnern Ernüchterung eingestellt: Für den Neubau sind umfangreiche Baumfällungen geplant. Friedrichshainer Mieter wie Iris Noa und Erik Zwikirsch lehnen das Vorhaben ab. Tiere würden da ihren Lebensraum verlieren, zudem sei das Abholzen von Natur mit der eskalierenden Klimalage nicht zu vereinbaren. „Die Planer sollen sich einen geeigneteren Platz suchen“, fordert Zwikirsch (38).

Das ist geplant: An der Marchlewskistraße 40 in Friedrichshain soll, wie berichtet, ab dem kommenden Jahr ein viergeschossiges Gebäude entstehen. Rund 140 muslimische, christliche und jüdische Kinder werden zukünftig in drei jeweils eigenständigen Kitas auf drei Etagen umsorgt und erzogen.

Drei-Religionen-Kita-Haus: Teurer als üblich

Das Grundstück, jetzt ein uriger Abenteuerspielplatz, stammt aus dem Besitz der Evangelischen St. Markus-Gemeinde. Getragen wird das Projekt von Masorti e.V. – Verein zur Förderung der jüdischen Bildung und des jüdischen Lebens e.V., Evangelischem Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord und Deutschem Muslimischen Zentrum Berlin e.V. Die Planer gehen von einer zweijährigen Bauzeit und Kosten von rund 8,2 Millionen Euro aus. Das ist höher als üblich. Aber wegen der jüdischen Kita muss extra in Sicherheit investiert werden, sagt Anna Poeschel, Sprecherin des Drei-Religionen-Kita-Hauses. Finanziert wird der Bau aus öffentlichen und eigenen Mitteln der Träger sowie möglicherweise Lottogeldern.

Noch befindet sich auf der Fläche ein Abenteuerspielplatz.
Noch befindet sich auf der Fläche ein Abenteuerspielplatz. © Patrick Goldstein

Das vereinende Motiv zeigt sich laut Poeschel im Alltag schon darin, dass es einen gemeinsamen Spielbereich geben wird. Hinzu kämen etwa übliche Kitaaktivitäten, die nun nicht mehr innerhalb nur einer Konfession stattfinden. Für Eltern und Kinder wird eine Kiez-Begegnungsstätte geschaffen, zudem Platz für Veranstaltungen für bis zu 200 Menschen, auch außerhalb der Kitazeiten.

Im Koalitionsvertrag

Das Projekt hat einige Bedeutung in der Stadt. Seit 2014 suchen die Beteiligten an einem geeigneten Ort für das bundesweit einzigartige Vorhaben. Ihm ist im aktuellen Koalitionsvertrag die „Unterstützung ( ...) auf Landes- und Bezirksebene“ zugesagt.

Anwohnerin Marianne Wischnewski.
Anwohnerin Marianne Wischnewski. © Patrick Goldstein

Anwohner Iris Noa und Partner Erik Zwikirsch von der „Bürger*innenInitiative 10243“ sind mit zwei, drei weiteren Mietern der umgebenden landeseigenen Häuser die Motoren eines Protests, der den Verlust von Natur betont. Sie fürchten, dass 25 Bäume abgeholzt werden, dass Vögel, Insekten, Fledermäuse ihren Lebensraum verlieren. „Ich habe es immer genossen, mit dem Gesang von Vögeln aufzuwachen“, sagt Noa (42). Ihr erster Impuls, als die Nachricht vom Neubau kam, sei gewesen: „Wegziehen.“ Anwohnerin Marianne Wischnewski (72) sagt, sie habe seit ihrem Zuzug 1971 „diese Bäume aufwachsen gesehen“. Jetzt werde hier etwas „bestimmt, was wir alle nicht wollen“.

„Vorzeige-Projekt“

Noa und Zwikirsch verständigten die Naturschützer vom „Bund“. „Wir erhielt dort die Einschätzung, die Bäume seien vital, aber lange nicht gepflegt worden“, so Noa. „Wir appellieren an die Planer, einen alternativen Standort zu suchen“, sagt Zwikirsch. Nicht zuletzt sei das Vorhaben doch als „Vorzeige-Projekt“ gedacht. Das werde aber an dieser schwer einsehbaren Hof eher übersehen.

Sprecherin Anna Poeschel sagt, sie habe Verständnis für die Bedenken der Anwohner. „Es ist nicht schön, zwei Jahre lang eine Baustelle vor seinem Haus zu haben. Und sie sorgen sich um das Stadtklima.“ Aber es gebe nun einmal einen „extremen Mangel an Kitaplätzen in der Stadt“. Da gelte es einerseits die Bedenken, andererseits den Bedarf an Infrastruktur für eine wachsende Stadt abzuwägen. „Wir haben jetzt schon Anfragen von Eltern“, so Poeschel.

Fällgenehmigung erteilen

Zum Zustand der Bäume sagte sie, sie seien als „nicht verkehrssicher“ eingestuft worden. „Das heißt nicht, dass man tatsächlich alle fällen müsste.“ Die vom Architekten beantragte Fäll-Zahl von 25 werde jedenfalls unterschritten.“

In der jüngsten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung bezog Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) nach einer Einwohneranfrage Position zum Vorhaben. Er bestätigte, dass der im Juni gestellte Bauantrag die Fällung von 25 Bäumen vorsehe. Derzeit werde geprüft, für welche Bäume der Bezirk nach den Vorschriften der Baumschutzverordnung eine Fällgenehmigung erteilen muss.

Artenschutzrechtliche Begutachtung

Schmidt erläuterte, dass da gemäß Rechtsprechung Aspekte des Baumschutzes hinter dem bestehenden Baurecht zurücktreten müsse. Es sei denn, es können durch vertretbare Verschiebung oder Veränderung des Baukörpers geschützte Bäume erhalten werden können. Jetzt sei das Umwelt- und Naturschutzamt am Zug. Es muss im Baugenehmigungsverfahren eine Stellungnahme abgeben. Nötig ist dazu eine artenschutzrechtliche Begutachtung, die noch nicht vorliege. Eine Baugenehmigung sei theoretisch nach Abgabe aller Stellungnahmen noch in diesem Monat möglich.

Schmidt unterstrich, dass im Gegensatz zu Privateigentum, wie dem Grundstück für die Drei-Religionen-Kita, die Stadt in Klima- und Umweltschutzfragen nur bei Immobilien Steuerungsfähigkeit habe, die ihr auch gehören Daher gelte es für Berlin, alle eigenen Flächen zu halten und neue hinzuzukaufen, so der Stadtrat.

Präsentation

Viel Hoffnung können sich die Anwohner da also nicht machen. Die nächste Etappe ist nun ein Termin in der ersten Novemberwoche. Die Macher der Kita sowie die Gemeinde St. Markus will ihnen das Projekt nach früheren Begegnungen aktuell in einer Abendveranstaltung präsentieren. Eine Strategie, sich mit neuen Argumenten oder Vorschlägen gegen das Vorhaben zu positionieren haben die Gegner um Iris Noa und Erik Zwikirsch bislang nicht. Ihnen bleiben keine drei Wochen.

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