Berlin. Eigenbedarfskündigung: 68-jährige Mieterin soll in Kreuzberg ausziehen. In ihrem Haus gibt es weitere Fälle.
Die 68-Jährige läuft durch die verregnete abendliche Kundgebung und wirkt verloren. Giovannas Fall ist einer Gründe für eine Zusammenkunft von rund 50 Menschen vor ihrem Zuhause an der Manteuffelstraße in Kreuzberg. Nach 37 Jahren soll sie ausziehen. Der Eigentümer will seinen Sohn dort unterbringen. „Wie soll ich denn in meinem Alter noch einmal eine Wohnung finden?“, fragt die Seniorin. Und auch andere langjährige Bewohner des Gründerzeitgebäudes sollen wegen der Ansprüche der Wohnungsbesitzer weichen.

Nachdem sie 1980 von Italien nach Deutschland kam, wurde Giovanna Elektromonteurin. Jetzt lebt sie von einer Rente, die so gering ist, dass die kleine Frau mit dem dichten schwarzen Haar trotz ihrer 68 Jahre noch als Putzfrau arbeiten muss. „Dabei sind meine beiden Knie eigentlich längst kaputt“, sagt sie.
Altbauwohnung in Kreuzberg nahe dem Görlitzer Park
378 Euro zahlt sie derzeit für ihre 51 Quadratmeterwohnung. Die Gegend nahe dem Görlitzer Park ist gefragt, die Lage sowohl für Berufstätige als auch junge Menschen ideal. Die Miete der alten Frau allerdings ist weit unter dem, was in dieser Gegend möglich wäre.
2021 kam die Kündigung. Seitdem hat Giovanna sich Unterstützung besorgt. Stefan Klein ist Diplomjurist und erfuhr vom Fall durch die Initiative „GloReiche Nachbarschaft“. Rechtsanwalt Benjamin Hersch indes vertritt die Seniorin vor Gericht.
In Eigentumswohnungen umgewandelt
Um die Eigentumsverhältnisse in ihrem Haus, sagt Giovanna, habe sie sich nie gekümmert. Laut Stefan Klein wurden im Haus 1998 aus Miet- Eigentumswohnungen. Dabei ist nicht vorgeschrieben, dass der jeweilige Mieter über die Umwandlung seiner vier Wände informiert wird. Nach Ablauf der Schutzfristen für die Mieter wurden dort erste Wohnungen ab 2007 verkauft. Giovanna hatte nicht das Geld dafür, ihr Vorkaufsrecht als Mieterin wahrzunehmen. Kaufpreise betrugen weit über 100.000 Euro. Ohne es zu wissen, tickte für sie die Uhr, bis ein anderer die Wohnung übernehmen würde.
Laut Anwalt Hersch gab es seit März 2021 einen neuen Eigentümer. Der schickte im Juni eine Kündigung. Begründung: Sein Sohn wolle nun nach dem Abitur in Bayern in Berlin studieren und dazu in die Wohnung ziehen. Es sei die Rede vom politischen Engagement des Jungen, ergänzt Stefan Klein, sogar von der Zugehörigkeit zum Jugendverband einer Partei. Canan Bayram, Grünen-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost habe der Familie geschrieben. Sehr eindringlich. „Aber ohne Erfolg“, so Klein.
Kein Einzelfall
Die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, Ulrike Hamann, sagt, man beobachte derzeit einen Anstieg von Eigenbedarfskündigungen in der Hauptstadt. „Wir haben das Vertretern der Ampelkoalition im Bund auch in direkten Gesprächen mitgeteilt“, so Hamann. „Wir sehen da großen Handlungsbedarf.“

Der Berliner Mieterverein will durchsetzen, dass ein Eigentümer zukünftig nicht mehr als Begründung die geplante Nutzung durch entfernte, sondern nur noch enge Verwandte angeben darf. Dies allerdings würde im aktuellen Fallen von der Manteuffelstraße auch keine Kündigung vermeiden, geht es dort doch um den Sohn – wie der Eigentümer jedenfalls angibt.
5000 Euro angeboten
Mit Sorge sieht der Mieterverein, dass den Eigentümern nach Auszug der Gekündigten freie Hand gelassen wird. Es gebe „keinen juristischen Hebel“ für die Gekündigten, wenn letztlich gar nicht ein Verwandter einzieht und der Eigentümer – wie möglicherweise von vornherein geplant – die Wohnung frei vermietet, natürlich zu einem höheren Preis als bei den langjährigen Vormietern. „Da lässt sich dann von Eigentümerseite leicht angeben, entsprechende Pläne des ursprünglich angegebenen Verwandten hätten sich geändert“, sagt Geschäftsführerin Hamann. Auf den aktuellen Fall bezogen, sagt Stefan Klein: „Da kann der Eigentümer jederzeit sagen: Mein Sohn hatte Heimweh nach Bayern und wollte doch nicht bleiben.“
Inzwischen habe der Besitzer Giovanna 5000 Euro angeboten, sagt Klein. Schon seit 2019 hätten Eigentümer im Haus an ihre Mieter 1000 bis 17.000 Euro als Gegenleistung fürs Ausziehen gezahlt. Die 5000 Euro nahm Giovanna nicht an. Für jene Mieten, die sie bei der derzeitigen Suche zu zahlen hätte, würde das langfristig nicht reichen.
Vater war zweimal an Krebs erkrankt
Bei der Kundgebung an der Manteuffelstraße spricht auch die 17 Jahre alte Sabrin. Ihr 68 Jahre alter Vater ist zweimal an Krebs erkrankt und ein Pflegefall. Ihre 58-jährige Mutter bezieht Erwerbsminderungsrente. Nach 20 Jahren sollen sie ausziehen. Der Eigentümer brauche die Wohnung für sich selbst. „Wir haben uns inzwischen für 1300 Wohnungen beworben. Es gab 350 Absagen, die anderen Anbieter haben sich nicht einmal gemeldet“, sagt Sabrin. Wie sie den Druck – sie macht zudem gerade ihr Abitur – erträgt? „Wir als Familie halten ganz fest zusammen“, sagt Sabrin.
Giovanna indes blickt mit Sorge dem 19. Januar kommenden Jahres entgegen. Dann findet die mündliche Verhandlung zu ihrer Räumungsklage statt. „Ich hoffe“, sagt Rechtsanwalt Hersch, „dass sich der Vermieter besinnt und erkennt, in welche Situation er Giovanna durch eine Räumung bringen würde.“
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