Brandschutz

Rigaer 94: 62 verletzte Polizisten bei Protesten am Mittwoch

| Lesedauer: 10 Minuten

An der "Rigaer 94" brannten am Mittwoch Barrikaden. In der Nacht zu Donnerstag blieb es ruhig.

Berlin. Nach Ausschreitungen am besetzten Haus in der Berliner Rigaer Straße am Mittwoch ist es in der Nacht zum Donnerstag ruhig geblieben. Zudem sind die Aufräumarbeiten beendet worden, wie ein Polizeisprecher in der Nacht sagte. „Der Widerstand gestern war allerdings nur ein Vorgeschmack auf das, was uns erwarten könnte“, sagte ein Sprecher der Polizei am Donnerstagmorgen.

Am Mittwochvormittag hatten vermummte Männer und Frauen Barrikaden auf den beiden nächstgelegenen Kreuzungen aufgebaut. Hintergrund ist die für Donnerstag geplante Brandschutzprüfung im besetzten Haus „Rigaer 94“. Als die ersten Polizisten erschienen, wurden die Barrikaden angezündet. Später folgte ein Steinhagel auf die Einsatzkräfte. Bis zu 200 Vermummte hätten die Einsatzkräfte angegriffen, sagte eine Polizeisprecherin.

Beim Einsatz am Mittwoch wurden 62 Polizeibeamte verletzt, meist durch Stein- und Flaschenwürfe, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Nach Worten Geisels laufen zwölf Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und besonders schweren Landfriedensbruchs. Man müsse vermuten, dass versucht wurde, Polizisten nach dem Leben und der Gesundheit zu trachten, so Geisel.

Lesen Sie auch: Die Brandschutzbegehung an der Rigaer Straße im Liveblog.

Rigaer 94: "So heftig war es noch nie"

Sie arbeite seit zwölf Jahren hier und habe viel erlebt, sagt die Verkäuferin des Backshops an der Ecke Rigaer und Liebigstraße. Aber so heftig wie an diesem Mittwoch seien die Krawalle noch nie gewesen. Der beißende Rauch der brennenden Barrikaden, die ohrenbetäubenden Knallkörper, der Steinhagel auf die Polizisten: „Das war alles wie im Bürgerkrieg“, sagte die Verkäuferin. Dann reibt sie sich die Augen, sie sind noch immer gerötet. „Das kommt wohl von dem Pfefferspray.“

Die heftigen Angriffe aus dem Lager der linksmilitanten Bewohner und Sympathisanten des Szene-Objekts in der Rigaer Straße 94 haben die Polizei kalt erwischt. Die Beamten waren zwar vorbereitet – aber offenbar eher für den diesen Donnerstag anstehenden Einsatz zur Absicherung der Brandschutzbegehung in der Rigaer Straße 94. Am Mittwoch waren laut Polizei in den Morgenstunden dagegen nur einige Beamte des örtlichen Abschnitts in dem Kiez. Ohne Schutzkleidung. Ohne Absicherung durch Kollegen im Umfeld. Sie sollten die Augen offenhalten. Denn ab 13 Uhr sollten Beamte Abschnitte der Liebig- und der Rigaer Straße zur Einrichtung einer „Sicherheitszone“ absperren.

Polizei nicht Herr der Lage

Dass die Linksmilitanten dies nicht hinnehmen und ihrem Hass auf die Polizei und „den Staat“ bereits am Mittwoch freien Lauf lassen würden, hatte die Polizeiführung offenbar überrascht. Als einige wenige Polizisten versuchten, die in Brand gesteckten Barrikaden zu löschen, wurden sie mit einem Steinhagel überzogen. Die Geschosse flogen von der Straße und von den Dächern. Laut Polizei sahen sich die Beamten knapp 200 vermummten Personen gegenüber. Die Aktion sei offenbar geplant gewesen, hieß es.

Im Internet schrieben die Unterstützer des teilbesetzten Hauses: „Die Verteidigung der Rigaer94 hat begonnen.“ Und weiter: „In dieser Minute wird die Straße verbarrikadiert und eine autonome Zone eingerichtet, um die Rote Zone des Senats zu verhindern. Kommt schnell vorbei.“

Eine Sprecherin der Polizei sagte: „Die Einsatzkräfte mussten sich zurückziehen.“ Die Verkäuferin des Backshops sagte, sie habe sich verbarrikadieren müssen. „Die Polizei war an der Kreuzung bestimmt eine Stunde lang nicht zu sehen.“ Von der Berliner Morgenpost befragte Anwohner bestätigten den Eindruck: „Wir wohnen gegenüber von der 94 und hatten keine Chance, das Haus zu verlassen.“

Festnahme und rund 60 verletzte Polizisten

Gegen Mittag hatte die Polizei an der Hochburg der gewaltbereiten Linksex-tremisten schließlich doch Unterstützungskräfte zusammengezogen. Ein Wasserwerfer wurde eingesetzt, er löschte gegen Mittag die brennenden Barrikaden. Später schaffte ein Räumfahrzeug die Gegenstände zur Seite. In der Folge beruhigte sich die Lage.

Lesen Sie auch:

Rigaer Straße: Polizei richtet Sicherheitszone ein

Gutachter darf in Rigaer Straße 94

Bewohner werfen Knallkörper auf Polizisten

Aus dem Haus Rigaer Straße 94 flogen immer wieder Knallkörper in Richtung der Polizeifahrzeuge. Ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Kiez. Um kurz nach 12 Uhr entspannte sich die Lage vor Ort wieder. Die Einsatzkräfte begannen damit, die Barrikaden wegzuräumen.

Spezialkräfte drangen am frühen Nachmittag über Nachbarhäuser schließlich auf das Dach der „Rigaer 94“ vor. Sie fanden Steindepots und sicherten Spuren zur Einleitung von Ermittlungsverfahren. Das Ergebnis der kurzen, aber heftigen Angriffe: vorläufige Festnahme eines mutmaßlichen Steinewerfers und rund 60 verletzte Polizisten.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) verurteilte die Gewalt: „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez.“ Die Polizei habe „die Lage schnell unter Kontrolle“ gebracht, so Geisel weiter. Doch diese Einschätzung teilen nicht alle. Aus dem Umfeld der Polizei hieß es, es hätten Kräfte zur Absicherung der geplanten Einrichtung der Sicherheitszone bereitgestellt werden müssen. „Im Nachgang stellt sich die berechtigte Frage, ob man die Situation unterschätzt hat“, sagte der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Benjamin Jendro. Eine Sprecherin der Polizei erklärte, der Einsatz werde – wie immer in solchen Fällen – sorgfältig nachbereitet.

Die Politik reagiert - nur die Linke nicht

Den Gewalttätern gehe es nicht um das politische Ziel, für Menschen mit wenig Geld Wohnraum zu erhalten, sondern „um knallharten Egoismus, indem man sich außerhalb jeglicher Regeln und Normen stellt, die gesamte Nachbarschaft als Geisel nimmt und jede Art von Rechtsstaat verachtet“, erklärte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Abend in einer Mitteilung. Der Rechtsstaat werde sich durchsetzen, „die Straftäter werden verfolgt und vor Gericht gestellt“. Der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner forderte: „Berlin darf sich nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen.“ Auch FDP und AfD verurteilten die Angriffe. Die Spitzen der Linken meldeten sich dagegen nicht zu Wort. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann verurteilte die Angriffe auf die Polizei. „Ich bin bestürzt und verärgert über das, was seit heute Vormittag im Samariterkiez passiert. Wir verurteilen die Gewalt und das Chaos, das dort gestiftet wird“, teilte sie am Mittwochabend mit.

Es könne nicht sein, dass Kinder aus ihren Kitas und ihrer Schule geholt werden müssten und Menschen sich um ihre Sicherheit im Wohn- und Arbeitsumfeld sorgten, „weil eine gewaltbereite Minderheit für derartige Szenen und Gefahr im Kiez sorgt“. Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) betonte: „Diese Gewalt hat hier nichts zu suchen!“

Die für Donnerstag anberaumte Brandschutzbegehung stellt den vorläufigen Höhepunkt einer langen Auseinandersetzung dar. Ein von der Eigentümergesellschaft beauftragter Sachverständiger soll das Gebäude dabei auf womöglich lebensbedrohliche Mängel untersuchen. Die Bewohner und das Bezirksamt hatten lange versucht, eine solche Begehung zu verhindern. Am Mittwoch machte nach langem juristischen Tauziehen aber auch das Oberverwaltungsgericht den Weg dafür frei.

Eigentümer nicht bei der Begehung anwesend

Vertreter der Eigentümerin, der britischen Gesellschaft Lafone Investments, werden aber nun doch nicht an der Begehung teilnehmen können. Ihre Anwesenheit sei für die Ermittlung eventueller Brandgefahren „nicht erforderlich“. Die Bewohner zu verpflichten, das Betreten der Eigentümerin zu dulden, sei daher ein „unverhältnismäßiger Eingriff in deren Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung“, teilte das Gericht am Mittwoch mit.

Das Viertel im unmittelbaren Umfeld der Hochburg der „Anarcho-Szene“ wird sich auch am Donnerstag und vermutlich auch am Freitag weiterhin in einer Art Ausnahmezustand befinden. Nur Anwohner und Berechtigte dürfen den Bereich um die „R94“ betreten. Die Kinder der Liebig-Grundschule sollen nicht in ihrer Einrichtung erscheinen, sondern sich für Exkursionen woanders treffen. Das Heinrich-Hertz-Gymnasium kehrt zum Homeschooling zurück.

Der Brandschutzgutachter soll die „Rigaer 94“ am Donnerstag ab 8 Uhr betreten. Die Polizei setzt zu seinem Schutz rund 1300 Polizisten ein. Es wurden Demonstrationen angekündigt – als Zeichen der Solidarität mit den Linksmilitanten aus der „R94“.

Michael Müllers sieht Nachbarn als Geiseln

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte wegen des Konflikts seine Teilnahme an der Innenministerkonferenz am Mittwoch abgesagt. Das teilte seine Verwaltung über Twitter mit. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nahm wie folgt Stellung: „Die heutigen Ereignisse in der Rigaer Straße zeigen erneut, worum es den Gewalttätern vor Ort geht. Hier geht es nicht um das politische Ziel, für Menschen mit wenig Geld Wohnraum in der Stadt zu erhalten, hier geht es um knallharten Egoismus, indem man sich außerhalb jeglicher Regeln und Normen stellt, die gesamte Nachbarschaft als Geisel nimmt und jede Art von Rechtsstaat verachtet."

Weiter sagte der Regierende: "Gerichte sind nur dann gut, wenn Sie so entscheiden, wie diese Herrschaften es für richtig halten, ansonsten wird keine Entscheidung akzeptiert. Es ist unglaublich, mit welcher Menschenverachtung dort vor allem Einsatzkräfte der Polizei und der Feuerwehr, die für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt jeden Tag ihren Kopf hinhalten, angegriffen und verletzt werden."

Giffey fordert hartes Durchgreifen

SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey schrieb auf Facebook: „Die linksextremen Krawalle in der Rigaer Straße und die schweren Angriffe auf Polizei und Feuerwehr verurteile ich auf das Schärfste. Wer sich einer Brandschutzbegehung durch Brandsätze, Steinwürfe und massive Verletzungen von Einsatzkräften widersetzt, hat nur noch ein hartes Durchgreifen verdient."

CDU-Chef Kai Wegner sagte in einem Statement: „Genug ist genug. Berlin darf sich nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen. Die Bilder von brennenden Barrikaden und fliegenden Steinen sind für mich unerträglich. Angriffe auf Einsatzkräfte verdienen keinerlei Toleranz. Die Extremisten der Rigaer Straße tyrannisieren ihre Nachbarschaft seit Jahren, sie attackieren Polizei und Einsatzkräfte auf brutalste Weise und treten unser aller Gemeinwohl mit Füßen."

( Ulrich Kraetzer )