Bergmannstraße bekommt eine autofreie Zone

| Lesedauer: 5 Minuten
Hans-Peter Hubert, Sprecher der Initiative leiser-bergmannkiez.de vor der  Marheinekehalle. Der Fahrbahnbereich rechts hinter ihm wird auf Drängen der Bürger vorübergehend als Teil eines Begegnungsplatzes getestet.

Hans-Peter Hubert, Sprecher der Initiative leiser-bergmannkiez.de vor der Marheinekehalle. Der Fahrbahnbereich rechts hinter ihm wird auf Drängen der Bürger vorübergehend als Teil eines Begegnungsplatzes getestet.

Foto: Patrick Goldstein

Erfolg für die Initiative leiser-bergmannkiez.de an der umstrittenen Begegnungszone - und ein erster Schritt gegen den Durchgangsverkehr

Im emotional aufgeladenen Gezerre um die Begegnungszone Bergmannstraße meldet sich eine Bürgerbewegung zu Wort, die das Entstehen des Kreuzberger Pilotprojekts von Anfang an begleitete. Die Initiative „leiser-bergmannkiez.de“ will bis Ende Juli einen „Begegnungsplatz“ vor der Marheinekehalle testen lassen: eine autofreie Zone zum Flanieren. Das Bezirksamt gab jetzt grünes Licht.

Die Situation für einen Testlauf ist günstig, sagt Hans-Peter Hubert, Sprecher der Initiative „leiser-bergmannkiez.de“. Die Friesenstraße ist derzeit gesperrt, da bis zum 31. Juli mit EU- und Landesmitteln für 1,8 Millionen Euro Kopfsteinpflaster durch eine Asphaltdecke ersetzt wird. Dadurch ist von der Ecke Bergmann-/Zossener Straße bis Bergmann-/Friesenstraße ein Fahrbahnstumpf entstanden, der Autofahrer nirgendwo hinführt. Aber wild geparkt wird dort jetzt.

Initiative will Knotenpunkt für Durchgangsverkehr sperren lassen

Hubert drängte darauf, bis dahin die Sperrgitter auf beiden Seiten der Bergmannstraße fortzulassen, damit Fußgänger den Bereich überqueren können, und am Radweg provisorisch Begrenzungen aufzustellen. Beim Verkehrsgespräch Bergmannkiez erklärte ein Vertreter des Straßen- und Grünflächenamtes am Mittwochabend, die Änderungen würden ab Anfang Juni umgesetzt.

Langfristig will die Initiative, dass nach Öffnung der Friesenstraße der Knotenpunkt für Durchgangsverkehr gesperrt wird und weitere Veränderungen wie eine klarere Radwegführung und eine Verbreiterung des Geh- und Aufenthaltsbereichs folgen. Ausnahmeregelungen gäbe es für Anlieger, BVG, Lieferverkehr und Einsatzfahrzeuge.

Stadtrat Florian Schmidt nennt Debatte „hysterisch“

Die Umgestaltung an der Stelle hat eine Vorgeschichte, in die der Start des Pilotprojekts Begegnungszone fällt. In der derzeitigen ideologisch aufgeheizten Diskussion – Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) nennt sie „hysterisch“ – ist Aktivist Hubert so etwas wie die Stimme der Vernunft. Bei Bürgerveranstaltungen ist der 60-Jährige präsent und gefragt. Wenn Lokal- oder Landespolitik etwas im Kiez planen, bekommt er von dort seinen Anruf. So ist er zugleich abwägender Beobachter und Motor der Entwicklung rund um die Bergmannstraße.

Dabei wollte er eigentlich nur seine Ruhe. Denn genau vor seiner Haustür an der Friesenstraße, in der er inzwischen seit 32 Jahren wohnt, erlebten er und die gesamte Nachbarschaft einen zuweilen unerträglichen Durchgangsverkehr. Grund: Autofahrer auf dem Weg in die Ostbezirke, die von der Autobahnausfahrt Tempelhof kommen, sparen sich die oft verstopfte Strecke Mehringdamm und fahren über den Platz der Luftbrücke und Columbiadamm durch die Friesenstraße, kreuzen die Bergmannstraße vor der Marheinekehalle und fahren via Zossener gen Leipziger Straße. Bei Messungen wurden Werte von 85 Dezibel gemessen. Das liegt zwischen Presslufthammer und Lastwagen.

Anwohner verabredeten sich 2012 zu Bürgertreffen im Wasserturm an der Fidicinstraße. Lange vor der Diskussion um Parklets und grüne Punkte auf dem Pflaster wurde hier in großem Stil diskutiert, wie man Verkehrsbelastung, Gefahr und Lärm aus dem Kiez bekommt.

Wunsch nach Veränderung vor Begegnungszone vorhanden

Der Wunsch nach Veränderung war bereits da, ohne die Initiative einer Begegnungszone von Senat und Bezirk. Statt mit Demonstrationen und Flyerverteilung zu beginnen, kanalisierte man das Anliegen zielstrebig und verschaffte sich in den entscheidenden Gremien Gehör. Ein Forum bot der Lärmaktionsplan Berlin, mit dem der Berliner Senat Vorgaben der EU zum Thema Lärmreduzierung umsetzt. Die Initiative „leiser-bergmannkiez.de“ engagierte sich mit eigenem Konzept bei der Bürgerbeteiligung des Senats. Die Forderung, die jetzt mit der Testphase für einen Begegnungsplatz wieder Fahrt gewinnt, lautete: Sperrung der Zossener Straße für den motorisierten Nord-Süd-Durchgangsverkehr auf Höhe der Markthalle.

Prompt kamen Hubert und seine Mitstreiter damit bei einer Online-Bürgerbeteiligung auf Platz eins des Rankings in der Kategorie „Verkehrslärm“. Die Stadtentwicklungsverwaltung lud die Aktivisten 2013 zu einem Arbeitstreffen. Dennoch kam später die Ablehnung.

2015 wurde Lärmaktionsplan beschlossen

Doch zumindest einen Teilerfolg gab es. Nach einer zweiten Bürgerbeteiligung wurde Anfang 2015 ein neuer Lärmaktionsplan beschlossen, der die Asphaltierung der Friesenstraße in Aussicht stellte, die dieser Tage vor Huberts Haus umgesetzt wird.

„Im Zuge unseres Engagements, erfuhren wir davon, dass sich der Bezirk 2012 um das Pilotprojekt einer Begegnungszone Bergmannstraße bewarb“, sagt Hubert. Mit der Erfahrung der Bürgerbeteiligung gegen den Durchfahrtsverkehr beschloss die Initiative, einen Platz in einer 2014 formierten Steuerungsgruppe aus Vertretern von Politik und Zivilgesellschaft einzunehmen. Ihr Auftrag, so Hubert: „Dafür zu sorgen, dass die Bürgerbeteiligung vernünftig gestaltet wird.“

Wandel der Bergmannstraße: Aversion gegen „grüne Politik, die belehrt“

Dennoch kann Hubert dieser Tage nur machtlos zusehen, wie das Pilotprojekt zerredet und eine Idee verwässert wird, die nie als endgültige Fassung einer neuen Bergmannstraße gedacht war. „Ich sage Kritikern immer: Das ist keine Begegnungszone, das ist Bürgerbeteiligung zum Anfassen“, so Hubert. „Die Begegnungszone wird so verbissen bekämpft, weil sie zum Symbol des Wandels der Bergmannstraße geworden ist. Und diesen lehnen manche Bürger ab“, sagt er. Hinzu komme unter Bürgern eine Aversion gegen „grüne Politik, die belehrt“.