Berlin. Eine Demonstration für einen Aldi-Markt. Das gab es deutschlandweit wohl noch nicht. Und das auch noch ausgerechnet im tiefen Kreuzberg. Große Handelskonzerne haben in den linken Kreisen sonst keinen guten Ruf. Mehr als 350 Menschen aber haben sich am Sonnabend vor der „Markthalle Neun“ in der Eisenbahnstraße versammelt, um gegen die geplante Schließung des dort seit 1977 untergebrachten Discounters zu protestieren.
„Gutes Essen für Alle statt Marktstände für Investor*innen“ oder „Ernährungswende muss sozial sein- sonst ist sie keine“, ist auf hochgehaltener Pappe zu lesen. Die achtjährige Johanna ist mit ihrer Großtante und mit ihrem Großonkel gekommen, die hier im Kiez leben. „Omi braucht Aldi- und kein Luxus-Food“, steht auf Johannas selbstgemaltem Schild. Ihre Großtante Christa sagt: „Es geht nicht nur um uns ältere Menschen, die eine günstige Einkaufsmöglichkeit in der Nähe brauchen, es geht auch um Familien mit Kindern.“ Das Motto der Demonstration: „Wir haben es satt: Kiezmarkthalle statt Luxus-Food-Halle“.
Markthalle Neun: Nicht nur Aldi macht zu
Die Kündigung des Aldi-Marktes zum 31. März steht für die fortschreitende Gentrifizierung auch im ehemaligen „SO 36“, dem Kreuzberg, in dem jedes Jahr zum 1. Mai Krawalle angesagt sind. Die Mieten in der Gegend um die Markthalle steigen rasant. Immer mehr Händler müssen aufgeben. Auch das Bestattungsunternehmen in der Pücklerstraße ist nach über 60 Jahren weg, das Schreibwarengeschäft um die Ecke hat ebenfalls zugemacht.
Bei der Kundgebung erinnern die Initiatoren an das Versprechen der Betreiber, eine „Markthalle für den Kiez und keine Event-Location“ zu schaffen. Von diesem Versprechen sei wenig geblieben. Viele der Stände seien reine Gastronomie-Stände. Häufig gibt es nichtöffentliche Events mit Eintritt. Gleichzeitig würden Anwohnerinnen und Anwohner durch Reisebusse, Lärm und Touristenmassen stark belastet.
„Die Existenz der Markthalle in ihrer gegenwärtigen Form trägt dazu bei, dass die Mieten hier weiter steigen und Menschen mit geringem Einkommen und kleine Gewerbebetriebe verdrängt werden“, heißt es auch in einer Erklärung. „Wenn Aldi wirklich geht, verschwindet das letzte Angebot aus der Halle, das Menschen mit geringen Einkommen regelmäßig nutzen“, beklagen die Anwohner.
Christiane Rösinger: „Der Kapitalismus ist an allem Schuld“
Christiane Rösinger, Musikerin und Autorin, wohnt seit 34 Jahren direkt an der Markthalle. Mit Wut in der Stimme singt sie ins Mikrophon: „Der Kapitalismus ist an allem Schuld.“ Es gehe bei dem Protest nicht nur dem die bedrohten Einkaufsmöglichkeiten bei Aldi, es gehe um die nicht mehr hinnehmbare Verdrängung, prangert die Kreuzbergerin an. Einer dichtet: „Aldi, Aldi, Aldi, die, all die, all die Lichter, Lichter aus in unserem Kiez“.
Die Betreiber der Markthalle haben angekündigt, dass der Aldi-Markt durch einen dm-Markt ersetzt werden soll. „Die Entscheidung ist vor allem eine Entscheidung für die vielen kleinen Händler im Kiez und in der Halle“, argumentieren sie. Denn damit wollten sie ein ergänzendes Angebot zum Wochenmarkt schaffen. Die Philosophie der europaweit größten Drogeriekette passe besser zum Konzept der „Halle Neun“. Denn sie unterstütze faire Produkte und engagiere sich für soziale Produkte.
Zudem verweisen die Betreiber darauf, dass es im 2-Kilometer-Umkreis der „Markthalle Neun“ genügend Nahversorgungsmöglichkeiten gebe, darunter weitere Aldi-Filialen, mehrere Pennys und einen Lidl-Markt.
Demo für Aldi - Betreiber:„Das fühlt sich schon komisch an“
Florian Niedermeer, einer der Betreiber, steht am Rande der Demonstration und sagt: „Das fühlt sich schon komisch an, dass hier für Aldi demonstriert wird.“ Die Markthalle wird von der Markthalle Neun GmbH vertrieben. An dieser Gesellschaft sind die gebürtigen Augsburger Florian Niedermeier und Bernd Maier sowie Nikolaus Driessen und ihre Familien beteiligt. Sie haben die 1891 eröffnete Halle zwischen der Eisenbahn- und der Pücklerstraße 2009 vom Senat erworben.
Und wie geht es weiter? Die Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg haben sich dafür ausgesprochen, dass die Anwohner in die weiteren Planungen einbezogen werden. Eingebracht hatten den Antrag SPD und Grüne. Am kommenden Dienstag ist um 19 Uhr ein öffentliches Treffen in der Markthalle geplant.