Misses Deutschland

Was Misswahlen und der Kurfürstendamm gemeinsam haben

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Norman Börner
Anna Schneider aus Charlottenburg ist Missis Deutschland 2023.

Anna Schneider aus Charlottenburg ist Missis Deutschland 2023.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Eine Charlottenburgerin gewinnt eine Misswahl für Verheiratete und Frauen mit Kindern. Eine Branche im Wandel oder doch nur PR-Gag?

Berlin.  Anna Schneider trägt ein luftiges violettes Kleid. Darüber eine Schärpe in Schwarz-rot-gold mit der Aufschrift „Mrs Deutschland“ und eine dazugehörige Krone. Das Spiel mit dem Fotografen beherrscht sie. Kusshand in die Kamera. Ein mit den Händen geformtes Herz. Dazu ein extrabreites Lachen. Die 35-Jährige ist die Gewinnerin des Schönheitswettbewerbes der Miss Germany Organisation in der Kategorie Misses. Also in der Rubrik für Frauen über 28 Jahre, die auch Kinder haben und verheiratet sein dürfen. Wobei Schönheitswettbewerb nicht stimme, sagt sie. „Es geht nicht um Schönheit. Gefragt sind Herz und Hirn.“

Seit einiger Zeit sind die bekannteren Miss-Wahlen in Deutschland dabei, ihr Image aufzupolieren. Sowohl die Veranstalter der Miss-Germany-Wahl als auch die Köpfe hinter dem leicht verwechselbaren Konkurrenz-Wettbewerb Miss Deutschland werden nicht müde, zu betonen, dass eine Misswahl im Sinne eines reinen Schönheitswettbewerbs nicht mehr zeitgemäß wäre. Stattdessen würden heute Persönlichkeiten gesucht. So stellt die Jury Fragen zum Allgemeinwissen. Es werde aber auch über Beruf, Hobbies und Wünsche für die Zukunft geplaudert, so steht es auf der Homepage des Veranstalters, die Miss Germany Organisation.

Von unzufriedenen Frauen und neue Idealen in der Modelbranche

Auch in Formaten wie „Germanys Next Top Model“ wird nicht erst seit diesem Jahr darauf bestanden, dass „Personality“ und „Diversity“ die wichtigsten Kriterien bei der Beurteilung seien. Anna Schneider kann die Kritik einerseits verstehen. Lange hätte die Branche den Frauen vermittelt, sie seien nicht gut genug. Ihnen fehle etwas. „Ich finde es schlimm, wenn Frauen ständig Dinge an sich verändern wollen. Auch durch Operationen. Oft stecken dahinter auch Traumata aus der Kindheit, die die Industrie lange noch bestärkte.“

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Sie wolle jungen Frauen gerne das Bild vermitteln, dass sie mit Natürlichkeit und Authentizität im Leben viel weiter kommen. Wenn sie so etwas erzählt, hat sie so ein Zwinkern mit einem Auge drauf, dass sie bestimmt einige Male vor dem Spiegel geübt hat. Auch einige Sätze wirken einstudiert und sind so auch schon in anderen Zeitungsartikeln zu lesen. Aber wenn die gebürtige Weißrussin munter drauflos plaudert, merkt man auch schnell, dass sie mehr auf dem Kasten hat als breit lächeln und posieren für die Kamera.

Jugend auf der Modelschule in Minsk

Das liegt wohl auch an ihrer Vorgeschichte. Geboren wurde Anna noch mit dem Nachnamen Prohodski in Minsk. Als Jugendliche ging sie dort zwei Jahre auf eine Modelschule. Wie sie sagt sei es dort aber vor allem um selbstbewusstes Auftreten, Psychologie und Manieren gegangen. „Ich habe eine konservative Erziehung genossen. Als Jugendliche habe ich das gehasst, aber heute bin ich dafür sehr dankbar.“ Als sie 17 Jahren alt war, zog die Familie nach Magdeburg. Später studierte sie Verwaltungsmanagement und Tourismus. Eine Zeit lang habe sie die Filialen einer Restaurant-Kette geleitet und Personal ausgebildet.

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„In diesem Beruf dachten anfangs auch manche Kollegen, was will dieses blonde Mädchen von uns. Aber wenn mir die Jungs auf der Nase herumtanzten, konnte ich auch sehr laut werden.“ Heute lebt Anna Schneider mit ihrem Mann in einer gemeinsamen Wohnung auf dem Kurfürstendamm. Zusammen haben sie eine kleine Tochter bekommen. Dass sie als verheirate Mutter die Chance bekam, an dem Wettbewerb teilzunehmen, sei für sie ein großer Fortschritt. „Frauen können heute viele Rollen einnehmen. Es gibt keinen Grund mehr für eine Mutter, die Modemagazine zu durchblättern und depressiv zu werden.“

Zwischen „Personality“ und Schaulaufen im Badeanzug

Mit dem Modeln und den Misswahlen sei es ein bisschen wie mit dem Kudamm. „Auch auf dem Kudamm gibt es viele Leute, die eine Rolle spielen, die sie eigentlich nicht sind.“ Trotzdem gefällt es ihr hier, weil sie auch in dieser Welt einfach doch so sein könne, wie sie ist. Das gelte auch im Modelbusiness. Das Problem mit Sendungen wie Germanys Top Model - die auch mal angefragt hätten – sei, dass dort noch formbare Charaktere gesucht werden. Als mitten im Leben stehende „Powerfrau“ sei das für sie nichts. Auch das TV-Format mit Heidi Klum betonte jüngst, dass „Personality“ und „Diversity“ keine leeren Worthülsen seien.

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Trotzdem können die heute stärker betonten Persönlichkeitsmerkmale nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Aussehen weiter im Mittelpunkt steht. So heißt es auf der Homepage der Miss Germany Organisation im ersten Durchgang werden vor allem die Ausstrahlung und das Aussehen bewertet. Beim zweiten Durchgang im einteiligen Badeanzug darf ein sogenannter „Sarong“ also ein Hüfttuch getragen werden. Dabei werde vornehmlich der Gang bewertet. Nach diesen Kriterien beurteilt und eingeordnet zu werden, sei für sie kein Problem. „Ich finde, Konkurrenzdenken ist etwas für Leute, die Komplexe haben“, sagt sie.

Vermarktung und Authentizität in Zeiten von Social Media

Anna Schneider kann stundenlang erzählen und kennt sich auch mit vielen Themen aus. Nur über drei Sachen rede sie lieber nicht. Politik, Religion und Fußball. Das habe sie bereits auf der Modelschule gelernt. „Ich bin einfach kein Gott, um über so etwas zu urteilen“, sagt sie. Noch während des Essens geht ein neuer Instagram-Post raus. Sie nimmt ihre Follower mit in ihren Alltag. Aber auch als Bloggerin zu den Themen Kosmetik und Kochen ist sie im Netz unterwegs. Sechs Millionen Instagram-Follower hat sie angeblich, die sich in der heutigen Zeit auch kaufen lassen. Modelbusiness bleibt eben doch auch Vermarktung. „Aber die beste Marke ist immer Authentizität“, sagt sie und zieht ihren Lippenstift nach.

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