Berlin. Mit der Umbenennung der Wissmannstraße in Baraschstraße in Berlin-Grunewald wird das jüdische Ehepaar Barasch geehrt.
Die Wissmannstraße in Grunewald ist nun offiziell Geschichte. Am Sonntag wurde sie mit einem Festakt im Walther-Rathenau-Gymnasium in Baraschstraße umbenannt. Der neue Name erinnert an die jüdische Familie Barasch, die einst in der Wissmannstraße 11 zu Hause war. Vater Arthur wurde 1942 von den Nazis im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Seine Frau Irene und die beiden Kinder waren ins Ausland geflohen. Die Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten hatte die Familie zerrissen.
Noch heute leben die Nachkommen der Familie Barasch im Ausland. Alan Ross, Enkel von Arthur und Irene Barasch, war mit seiner Familie aus den USA angereist, um bei der symbolischen Enthüllung des Straßenschilds dabei zu sein. Die Einweihung war von zahlreichen Unterstützern begleitet worden.
„Zu meinen größten Freuden im Leben gehört, mit meinen Enkelkindern zu spielen“, sagte Ross in englischer Sprache. Er selbst habe nie die Gelegenheit gehabt, eine Beziehung zu seinem Großvater aufzubauen. „Er starb, bevor ich geboren wurde.“
Hermann von Wissmann wurde zur Symbolfigur des Deutschen Kolonialismus
Die Bezirksverordneten von Charlottenburg-Wilmersdorf hatten bereits 2020 beschlossen, der Wissmannstraße einen neuen Namen zu geben. Grund ist die Vergangenheit des Namensgebers. Hermann von Wissmann (1853-1905) „hatte als Befehlshaber von Kolonialtruppen 1889/1890 den Widerstand der Küstenbevölkerung in Ostafrika niedergeschlagen“, schrieb das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf in einer Mitteilung.
In einem gewaltsamen Feldzug nahm er das Gebiet ein. 1891 wurde es offiziell zur Kolonie Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, erklärt. Obwohl Wissmanns Kriegsführung schon damals wegen niedergebrannter Dörfer und Hinrichtungen kritisiert worden war, wurde er zur Symbolfigur des Deutschen Kolonialismus’. Bereits wenige Jahre später wurde die Straße im Grunewald nach ihm benannt. Kurzzeitig lebten er und seine Frau Hedwig sogar selbst in der Villenkolonie.
Zivilgesellschaftliche und afrodiasporische Initiativen wie Decolonize Berlin haben seit Jahren das Ziel, eine kritische Auseinandersetzung mit Straßennamen aus der deutschen Kolonialgeschichte zu befördern. Sie brachten sich auch bei der Umbenennung der Wissmannstraße mit ein.
Stele gibt Informationen zur Familie Barasch
Bezirksstadträtin Heike Schmitt-Schmelz (SPD) betonte am Sonntag auch mit Blick auf das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine, wie wichtig es sei, als Deutsche und Europäer Verantwortung zu tragen. „Straßen wie die Wissmannstraße stehen mit unseren Vorstellungen von einem demokratischen Zusammenleben in Konflikt“, so Schmitt-Schmelz.
Zwar gehört die Wissmannstraße nun der Vergangenheit an. Seine Geschichte jedoch soll keineswegs so einfach in Vergessenheit geraten. Dafür wurde Wissmanns Geschichte zusammen mit der Familie Barasch auf einer Informationssäule festgehalten. Die bisher nur provisorische Info-Säule soll noch durch eine dauerhafte Stele ersetzt werden.
47 Namensvorschläge waren eingegangen
Initiativen, Bürgerinnen und Bürger hatten insgesamt 47 Namensvorschläge unterbreitet. Davon wählte eine Jury aus Anwohnerinnen und Anwohnern der Wissmannstraße, des Bündnisses Decolonize Berlin und der BVV-Fraktionen einen Vorschlag aus. Im Mai 2021 folgte die Bezirksverordnetenversammlung der Empfehlung, mit dem Straßennamen künftig die Eheleute Barasch zu ehren.
Tahir Della von Decolonize Berlin sieht die Umbenennung der Wissmannstraße als einen weiteren Schritt hin zu einem dekolonisierten öffentlichen Raum. „Die erfolgreichen Umbenennungen von Straßennamen in Berlin, die entweder koloniale Verbrecher ehren oder rassistische Bezeichnungen tragen, stehen für einen inzwischen in Gang gekommenen Prozess, den öffentlichen Raum diskriminierungsfrei zu gestalten und die gesellschaftlichen Verhältnisse neu zu gestalten.“
Auch in Neukölln wurde Wissmannstraße umbenannt
Die FDP-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf steht Straßenumbenennungen im Bezirk grundsätzlich kritisch gegenüber, die Umbenennung der Wissmannstraße habe sie jedoch mitgetragen. „Personen, die sich in der Zeit des Nationalsozialismus’, aber auch in früheren Jahren solcher Verbrechen schuldig gemacht haben, kann nicht auf diese Art gedacht werden. Der ehemalige Gouverneur der Kolonie ,Deutsch-Ostafrika’ Hermann von Wissmann kann durchaus zu dieser Personengruppe gezählt werden“, so Stefanie Beckers, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion und kulturpolitische Sprecherin.
„Historisch gewachsene Straßennamen“ würden jedoch auch die Geschichte des Bezirks beziehungsweise der Stadt widerspiegeln und so zu einer Auseinandersetzung „mit deren positiven wie negativen Aspekten“ beitragen.
Auch die Wissmannstraße in Neukölln gibt es inzwischen nicht mehr. Dort wurde die Straße bereits im April vergangenen Jahres nach der tansanischen Politikerin Lucy Lameck benannt.