Berlin. Unter der Brücke stapeln sich die Matratzen. Leere Flaschen und Plastikbecher verteilen sich daneben. Dazwischen liegen auf dem Boden Spritzen. Der Dreck ist nicht zu übersehen, und es riecht nach einer Mischung aus Urin und Müll. Die Steinwände sind beschmutzt mit Graffiti. Unter den S-Bahnbrücken am Stuttgarter Platz in Charlottenburg-Wilmersdorf haben sich obdachlose Menschen ein Lager zum Übernachten errichtet. Schon seit Jahren gilt der Platz als Brennpunkt für Obdachlosigkeit und Drogenkonsum. Auch die Politiker im Bezirk haben das Problem längst erkannt. Doch passiert ist bislang kaum etwas. Jetzt hat die Corona-Pandemie die Situation nochmals verschärft.
„Die Gegend südlich der Gleise am Stuttgarter Platz wird von zunehmender Verwahrlosung bedroht“, kritisiert die Grünen-Abgeordnete Petra Vandrey. Insbesondere die Gervinusstraße zwischen Wilmersdorfer Straße und Lewishamstraße entwickelt sich zu einer Straße, in der man sich nicht gerne aufhält. Auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Petra Vandrey antworteten der Senat und der Bezirk vor Kurzem, dass die Einrichtung eines Raums zum Rauschgiftkonsum bisher „gescheitert“ sei. Auch das Verhängen von Bußgeldern sei oft sinnlos.
Sozialstadtrat Arne Herz (CDU) teilte auf Nachfrage am Dienstag mit, dass es eines der größten Themen sein wird, Lösungen für Obdachlosigkeit anzubieten. „Dafür müssen wir uns mit Sozialarbeitern und den Obdachlosen zusammen austauschen“, sagt er. Sebastian Weise, Vorsitzender der Grünen-Fraktion in Charlottenburg-Wilmersdorf, betont, dass die Grünen sich seit Jahren für einen Drogenkonsumraum einsetzen. „Der soll auch kommen, das dauert nur ein paar Jahre“, sagt Weise sarkastisch. Nach aktuellem Stand könne nach Angaben des Bezirksamtes die Fertigstellung erst in drei bis vier Jahren erfolgen.
Zum Hintergrund: Lange Zeit hatte das Bezirksamt versucht, Räumlichkeiten am Stuttgarter Platz für einen Drogenkonsumraum anzumieten. Doch wegen der Ablehnung der Vermieter in der Umgebung des Platzes sei das bisher nicht möglich gewesen.
Der Stuttgarter Platz soll wieder zum Aufenthalt einladen
Jetzt ist geplant, den Drogenkonsumraum in einem geplanten Fahrradparkhaus einzurichten. Doch das Verfahren dauert. Laut Weise sei ein Drogenkonsumraum unbedingt notwendig: „Da müssen wir dringend dranbleiben.“ Zudem müssten seiner Ansicht nach die Drogenhilfe des Vereins Fixpunkt vor Ort weiter verstärkt werden. Aktuell steht ein mobiler Bus montags bis freitags in der Zeit von 14 bis 18 Uhr am Stuttgarter Platz und verteilt unter anderem Spritzen für einen risikoreduzierten Drogenkonsum sowie Entsorgungsbehälter. „Es wäre gut, wenn die Kapazitäten erhöht werden“, sagt Weise.
Um das Obdachlosigkeitsproblem zu lösen, plädiert Weise zudem dafür, sogenannte Housing First Projekte weiter auszubauen. Betroffene werden bei diesem Modellprojekt unbefristet und mit einem eigenen Mietvertrag in einem Wohnraum untergebracht und professionell betreut. Ziel sei es, den Stuttgarter Platz zu einem Ort zu entwickeln, der Lust zum Verweilen bietet. Würden die Maßnahmen alle umgesetzt, hätte er Hoffnung, dass sie auch gelingt.
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Auch Ann-Kathrin Biewener, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, ist mit dem aktuellen Zustand des Stuttgarter Platzes nicht zufrieden. „Schon seit Jahren herrscht hier die Problematik, dass Drogenkonsum und Obdachlosigkeit aufeinandertreffen. Doch die Corona-Pandemie hat die Situation nochmals verschärft“, sagt sie.
Dennoch ist auch Biewener optimistisch. „Am Stuttgarter Platz gibt es vielfältige Probleme, aber auch Lösungen, die endlich umgesetzt werden müssen“, sagt sie. Dazu gehöre neben einem Drogenkonsumraum auch eine soziale Lösung, statt der bloßen Räumung von Obdachlosen. „Ich bin der Meinung, man kann nicht einfach die Obdachlosen-Camps räumen, sondern die Menschen müssen begleitet werden“, so die Sozialdemokratin. Auch Unterbringungsmöglichkeiten vor Ort seien dringend notwendig, betont Biewener. Sie verstehe aber auch die Kritik der Anwohner, dass es nicht schön ist, wenn die Matratzenberge sich türmen. Deshalb fordert sie, einen Runden Tisch zu organisieren, bei dem sich Politiker mit den Anwohnern und sozialen Trägern austauschen, wie man mit der Situation umgehen könne.
Unterdessen kritisiert Felix Recke, Vorsitzende der FDP-Fraktion, dass das Bezirksamt „offensichtlich keine Notwendigkeit sieht, die Situation zu verbesser“. Er fordert ein Quartiersmanagement, das sich der Belange der Anwohner und der Obdachlosen annimmt. Ein weiteres großes Problem, das dringend behoben werden müsse, seien die herumliegenden Spritzen. „Ich verstehe nicht, warum da nicht mit Schwerpunktkontrollen eingegriffen wird“, kritisiert er. Deshalb fordert er, dass das Ordnungsamt dort „deutlich stärker tätig werden“ müsse.
CDU-Fraktion fordert häufigere Reinigung
Zudem dauere ihm die Errichtung eines Drogenkonsumraumes zu lange. Das müsse schneller gehen, zur Not auch zunächst provisorisch in Form eines Containers. „Mir erschließt sich nicht, warum die Behörden da Pingpong spielen“, sagt Recke. Ein Problem sei, dass die CDU gegen einen Drogenkonsumraum sei – als einzige Fraktion.
Tatsächlich sind die Meinungen bei den Christdemokraten geteilt, bestätigt Klaus-Dieter Gröhler, Kreisvorsitzender der CDU. „Die Befürchtung ist, dass sich dadurch die Situation noch weiter verschärft“, erklärt er. Er selber plädiere dafür, dass man den Drogenkonsumraum nicht unmittelbar an den Stuttgarter Platz setze. Zudem sei er Befürworter keiner festen, sondern einer mobilen Einrichtung. Ein weiteres großes Problem sei die Verschmutzung. Nach Angaben des Bezirksamtes werde der Abschnitt auf der Gervinusstraße zwischen der Holtzendorffstraße und der Lewishamstraße „in der Regel“ sechsmal in der Woche gereinigt. „Dort müssten deutlich höhere Reinigungsintervalle durchgeführt werden“, fordert Gröhler.
Die Linksfraktion fordert zudem, dass das Bezirksamt mehr kostenlose öffentliche Toiletten auf dem Stuttgarter Platz bereitstellen müsse. Derzeit gibt es nur eine kostenpflichtige Toilette. „Dieser Zustand ist untragbar“, sagt Co-Vorsitzende Annetta Juckel. Der Bezirk mit den meisten Obdachlosen in Berlin müsse sowohl bei der Hilfe für Suchtkranke als auch bei der Beendigung von Obdachlosigkeit endlich aktiv werden, fordert sie. „Suchtabhängigkeit wird genauso wie Obdachlosigkeit nicht dadurch beendet, Notleidende aus dem eigenen Sichtfeld zu vertreiben. Sondern durch mutige sozialpolitische Programme und echte Antworten auf die wachsende Wohnungsnot.“