Wohnhäuser, Bürobauten, Gewerbegebiete, Parks – all das wird in Charlottenburg-Wilmersdorf gebraucht. Und in allen Bereichen mangelt es an Flächen. Ist es also notwendig, in der City West Hochhäuser zu erreichten? Das war die meistdiskutierte Frage beim Leserforum der Berliner Morgenpost am Dienstagabend im Maison de France am Kurfürstendamm. Der große Saal des Institut Francais war ausgebucht, rund 200 Gäste wollten bei „Morgenpost vor Ort“mit unseren Experten über die Probleme und Perspektiven der City West diskutieren.
Auf dem Podium saßen Charlottenburg-Wilmersdorfs Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD); Christine Wußmann-Nergiz, Vorsitzende der „Aktiven Bürger“; Gottfried Kupsch, Vorstandsmitglied der AG City; Lars Neumann, Leiter des Stabsbereichs Einsatz der Polizeidirektion 2, und Carolin Brühl, City-West-Reporterin der Berliner Morgenpost. Hajo Schumacher moderierte den Abend und sorgte für ein ebenso informatives wie unterhaltsames Leserforum. Er zollte dem Bezirk Lob. Er sei einer der attraktivsten in Berlin und die Probleme und Wachstumsschmerzen Berlin anderenorts größer. Die wichtigsten Themen der Diskussion:
Stadtentwicklung und Hochhäuser: „Wir wollen Hochhäuser“, erklärte Gottfried Kupsch vom Vorstand der AG City kategorisch. Er prognostizierte, dass in den kommenden Jahren vier große Parkhäuser mit Platz für 4000 Autos abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt würden. „Noch geht es Kudamm und Tauentzienstraße gut, aber wir müssen etwas tun, damit es so bleibt, sagte Kupsch. Die Verbesserung der Aufenthaltsqualität auf dem Boulevard werde mit dem Bau von Hochhäusern zusammengehen. Diese seien dringend notwendig, der Flächenbedarf sei vorhanden.
Carolin Brühl nannte Hochhäuser „durchaus begrüßenswert“, kritisierte aber, dass diese vornehmlich als Bürogebäude geplant würden und dass die Menschen bei den Plänen nicht mitgenommen würden. „In der City West fehlen vor allem Wohnhäuser. Der Polizist, der im Bezirk seinen Dienst tut, muss auch hier wohnen können“, mahnte sie an.
„Ich wünsche mir mehr Tempo“
Reinhard Naumann erklärte, er warte auf den Hochhausentwicklungsplan des Senats. Der SPD-Politiker sprach sich ebenfalls für zusätzliche Hochhäuser aus, dafür gebe es inzwischen im Bezirk auch politische Mehrheiten. „Ich wünsche mir aber mehr Tempo, und das Vorgehen muss gesteuert werden“, sagte er mit Blick auf die Landesregierung, die auch Planungsverfahren an sich gezogen habe wie an der Hertzallee. „Wir setzen auf den Bezirk“, warb Kupsch um Unterstützung. „Warten Sie nicht auf den Senat“, appellierte er an Naumann.
Dieser bedauerte, dass das Baukollegium als Beratungsgremium der Senatsbaudirektorin die vom Investor Signa geplanten drei Hochhäuser auf dem Karstadt-Areal am Kudamm abgelehnt habe. „Ich hätte mir eine positive Botschaft gewünscht, wo Hochhäuser möglich sind“, sagte Naumann. Es gebe eine große Nachfrage nach Büros, notwendig sei aber auch die Gestaltung des öffentlichen Raums“. Der Bezirksbürgermeister plädierte für eine „kluge Verdichtung“ der Innenstadt und dafür, „Menschen, Menschen, Menschen in die City zu holen“, um eine in anderen Metropolen zu beobachtende Verödung der Innenstadt zu vermeiden.
„Politik hat nicht rechtzeitig auf den Wohnungsnotstand reagiert“
Christine Wußmann-Nergiz wollte keine Konkurrenz zwischen Neubauten und Grün aufbauen. „Ja, wir sind für das Grün, aber wir wissen auch, dass wir einen Wohnungsnotstand haben“, sagte sie. Darauf habe die Politik nicht rechtzeitig reagiert, nun werde überall verdichtet, und es würden Mieter verdrängt. „Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Ich habe nichts gegen Hochhäuser, aber Wohnen, Arbeiten, Handel und die Schaffung oder Sicherung von Grünflächen müssen ineinander fließen“, sagte die Vorsitzende der „Aktiven Bürger. Es komme auch darauf an wie die Hochhäuser gestaltet sind. Ihr Fazit zur derzeitigen Architektur in Berlin fiel sehr ernüchtert aus: „Bei den seelenlosen Raster-Fassaden bekomme ich Depressionen.“ Für diesen Stoßseufzer bekam sie viel Applaus. Insgesamt stand das Publikum im Saal Hochhäusern in der City West skeptischer gegenüber als die Podiumsteilnehmer.
Wohnen und Mieten: Der Bezirksbürgermeister forderte den Senat auf, Baugenossenschaften mehr zu fördern und ihnen Grundstücke anzubieten. Er plädierte zudem für weiteren Milieuschutz und sagte zu, bei den kommenden Haushaltsberatungen für mehr Personal im Bauamt zu kämpfen, um den Milieuschutz wirksamer durchzusetzen. Naumann sprach sich auch dafür aus, die A 100 zu zu überbauen und dafür aber den gesamten Verlauf zwischen Dreieck Funkturm und Heckerdamm in den Blick zu nehmen. Das sei „die richtige Weichenstellung,“ aber ein Projekt für die kommenden 20 Jahre.
Investoren sollen in Wohnbaufonds einzahlen
Gottfried Kupsch erklärte, in manchen der geplanten Hochhäuser seien auch Wohnungen geplant. Die AG City plädiere aber vor allem für einen Wohnbaufonds. Das Prinzip: Wer die Genehmigung bekommt, ein Bürohochhaus zu bauen, soll in einen Fonds einzahlen. Mit dem Geld sollen dann an anderer Stelle im Bezirk bezahlbare Wohnungen gebaut werden. „Wir wollen die Mischung im Bezirk erhalten, auch das Wohnen und die Kultur“, erklärte Kupsch. Das sei auch ökonomisch wichtig. Der AG-City-Vorstand betonte, die Investoren, die Hochhäuser in der City West bauen wollen, seien keine Spekulanten sondern Berliner Familien, die schon seit mehreren Jahrzehnten in der Stadt tätig seien.
Kupsch betonte aber auch, dass die Neugestaltung der City West mit Hochhäusern Auswirkungen auf den Verkehr haben werde. Der Abriss von Parkhäusern für 4000 Pkw könne nicht durch Tiefgaragen ausgeglichen werden, sondern erfordere einen grundsätzlich anderen Verkehrsmix mit mehr öffentlichem Nah- aber auch mehr Radverkehr. „Wir brauchen eine konzertierte Aktion aus Bauen und Verkehr“, sagte Kupsch.
Park am Westkreuz, keine Wohnungen
Carolin Brühl äußerte sich kritisch zum Wohnbaufonds. Das Problem sei, dass es in der City West kaum noch Platz für neue Wohnhäuser gebe. Sie kritisierte, dass der Bezirk auf einem großen Areal am Bahnhof Westkreuz ausschließlich Grünflächen plane und und keinerlei Wohnungsbau.
Leser wollten wissen, ob es nicht als Maßnahme gegen die Wohnungsnot möglich ist, mehr Dachgeschosse auszubauen und vor allem Wohnhäuser aus den 50er- und 60-er Jahren um eine bis zwei Etagen aufzustocken. Naumann warnte vor zu hohen Erwartungen. Bei vielen Häusern sei eine Aufstockung aus statischen Gründen nicht möglich. Dachgeschossausbau sei in aller Regel teuer und bringe keine preiswerten Wohnungen hervor. Der Bürgermeister lehnte auch Vorschläge von Lesern ab, eine Zuzugssperre für Berlin zu verhängen und nur noch Interessenten den Zuzug zu ermöglichen, die einen Mietvertrag vorweisen können
Cornelsenwiese: An dieser Grünfläche scheiden sich die Geister. Viele Anwohner und ebenso Christine Wußmann-Nergiz sind gegen eine Bebauung mit Wohnhäusern, auch weil im Umfeld in den vergangenen Jahren Kleingärten für Wohnbauten beseitigt wurden. Reinhard Naumann bezeichnete die Wiese hingegen als „großes Hundeklo“ und rief aus: „Ich finde es pervers, ein Hundeklo zum ökologischen Biotop zu erklären und damit dringend benötigten Wohnungsbau zu verhindern.“ Er appellierte an diejenigen, die eine Wohnung haben, die Menschen, die eine Wohnung suchen, nicht zu vergessen. Carolin Brühl forderte, angesichts des Bedarfs an Wohnungen mehr Flexibilität im Baurecht zuzulassen. Investoren werde teilweise ein zu hoher Anteil mietpreisgebundener Wohnungen aufgebürdet. Rechtliche Auflagen dürften Investitionen nicht verhindern.
Gewerbeareal in Schmargendorf, ebenfalls ohne Wohnungen
Reemtsma-Gelände: Umstritten war beim Leserforum in diesem Zusammenhang auch die Zukunft des Reemtsma-Geländes. Dieses ehemalige Industrieareal an der Forckenbeckstraße in Schmargendorf will der Bezirk als reinen Gewerbestandort entwickeln – ohne Wohnungen. Carolin Brühl kritisierte das, Reinhard Naumann warnte indes vor Emissionsproblemen bei der Nähe von Wohnungen und Produktionsbetrieben. Er erklärte, auch Gewerbeflächen würden dringend benötigt, um Arbeitsplätze zu schaffen. Gäste im Publikum wie etwa Horst-Dietrich Effner aus Schmargendorf vertraten hingegen die Ansicht, dieses Gelände wäre ideal, um ein verkehrspolitisches Modell zu schaffen: die Verbindung von Wohnort und Arbeitsplatz auf einem Gelände. So sei es auch beim geplanten Siemenscampus im benachbarten Spandau vorgesehen.
Obdachlosigkeit Lars Neumann von der Polizeidirektion 2 räumte ein, dass die Obdachlosigkeit ein Problem darstelle. Er stellte aber auch klar: „Es ist nicht unser Ziel diese Menschen zu vertreiben.“ Gesucht würden Lösungen. Gerade am Dienstag unmittelbar vor dem Leserforum, gab es dazu ein Gespräch zwischen Senat, Bezirksamt, Polizei und Bahnhofsmission am Zoo. „Die Obdachlosen sind kein Sicherheitsproblem“, betonte Neumann. Manche fielen auf, wenn Sie betrunken sind oder einen Ladendiebstahl begehen, Obdachlosigkeit sei aber ein soziales Problem.
Bezirksbürgermeister Naumann sagte, die Obdachlosigkeit habe quantitativ zugenommen und dies habe mittlerweile zu qualitativen Verwerfungen geführt. Das Bezirksamt Charlottenburg Wilmersdorf sei gegen vorrangig repressive Maßnahmen gegen Obdachlose, wie sie der Bezirk Mitte vorgenommen habe. „Verdrängung löst nichts“, sagte Naumann. Er kritisierte das Vorgehen seines Amtskollegen Stephan von Dassel (Grüne) im Nachbarbezirk. Dadurch hätten sich die Probleme in der City West potenziert.
Gegen Obdachlose nur bei Straftaten
Das erzeugte aber auch Widerspruch im Publikum. Leser warfen dem Vertreter der Polizei vor, das Problem zu verharmlosen. Obdachlose würden Frauen belästigen. Neumann wies das zurück. „Ich bin ein großer Fan des Rechtsstaats. So lange die Obdachlosen keine Straftaten begehen, gehen wir nicht gegen sie vor. Wenn Straftaten wie Belästigung angezeigt werden, tun wir das sehr wohl“, betonte er. Aus den Zahlen der Kriminalitätsstatistik gehe aber nicht hervor, dass das Umfeld des Bahnhofs Zoo nicht sicher sei.
Reinhard Naumann betonte, es gebe nicht die eine Lösung das Problems. Das Problem habe auch nicht nur eine Ursache. „Wir brauchen deutlich mehr Streetwork entlang der Stadtbahn, wie sie die Bahnhofsmission am Zoo bietet, etwa auch am Ostbahnhof oder am Bahnhof Lichtenberg.
Zahl der gescheiterten Einbruchsversuche stark gestiegen
Sicherheit Hajo Schumacher fragte, ob die Polizei nicht noch stärker gegen Raser auf dem Kudamm vorgehen könne. „Die kriegen wir“, betonte der Leiter des Polizei-Einsatzstabes. Er berichtete von stadtweit mehr als 600 Einsätzen gegen Raser und 60 konfiszierten Fahrzeugen allein in der City-West in den vergangenen Monaten, zeigte sich aber auch verwundert, dass sich 24-Jährige ein Auto mit 450 PS leisten können.
Die Taschendiebstähle in Berlin, auch in der City West, seien stark zurückgegangen, hätten sich in der City West seit 2016 fast halbiert. Allerdings, so Neumann „ist jeder Taschendiebstahl immer noch einer zu viel. Zurückgegangen sei auch die Zahl der Einbrüche, im Bezirk etwa um fünf Prozent. Neumann hob aber insbesondere hervor, wie wichtig – und wirkungsvoll – Prävention sei. Das zeige die Zahl der gescheiterten Einbruchsversuche. Sie liege heute bei 40 bis 50 Prozent, vor wenigen Jahren habe sie noch maximal 30 Prozent betragen. Werde es Einbrechern mit gut gesicherten Türen und Fenstern schwer gemacht, ließen sie von ihrem Vorhaben ab.
Hajo Schumacher wollte zur Kriminalität von Neumann wissen, ob Clans in der City-West in Immobilien investieren. Das sei zu vermuten, sagte der Polizist, ihm lägen aber keine Daten dazu vor. Informationen dazu müssten eigentlich vom Bezirksamt kommen, so wie das auch in Neukölln gelungen sei. Bezirksbürgermeister Naumann erklärte, auch das Bezirksamt verfüge nicht über entsprechende Daten, man wolle sich aber zu Aspekten der Clan-Kriminalität mit Neukölln austauschen.
Auch mit Blick auf Kritik aus dem Publikum an vermeintlich mangelnder Polizeipräsenz, sagte der Bürgermeister: „Regeln werden nicht mehr eingehalten. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte, ob wir weiter diesen Weg des gegenseitigen Egoismus und der gegenseitigen Rücksichtslosigkeit gehen wollen oder ob wir umsteuern wollen und wieder mehr aufeinander achten. Polizei und Ordnungsämter können das unterstützen, aber nicht allein wuppen. Es ist auch unsere eigene gesellschaftliche Verantwortung, wie wir im öffentlichen Raum miteinander umgehen wollen.“
Wer nun meinte, angesichts einen solchen Appells strebe Reinhard Naumann nach Höherem, wurde eines besseren belehrt. Er sei Kommunalpolitiker mit Leib und Seele und sehne sich nicht nach dem Amt des Berliner Regierungschefs. „Wer es gut mit mir meint, wünscht mir nicht den Regierenden Bürgermeister“, sagte er augenzwinkernd.