Erfolgsgeschichte

Vom Flüchtling zum Gastronom: Der Herzog von der Kantstraße

| Lesedauer: 11 Minuten
Franz Michael Rohm
The Duc Ngo betreibt allein an der Kantstraße vier Restaurants

The Duc Ngo betreibt allein an der Kantstraße vier Restaurants

Foto: Reto Klar

The Duc Ngo kam 1979 im Alter von fünf Jahren als Flüchtling nach Berlin. Nach Ostern wird er sein mittlerweile zehntes Lokal eröffnen.

Auf dem Fußboden aus Solnhofener Platten der ehemaligen Schlüter-Apotheke steht ein runder Biedermeier-Holztisch. Rechts hinter der großen Fensterscheibe sitzen Paare an Zweiertischen mit dem Rücken zur Plattenkalkwand auf einer sechs Meter langen Kirchenbank. „Die habe ich von dem Geschäft ,Historische Bauelemente’, aus Marwitz, einem Händler alter Möbel und Einrichtungen“, erklärt The Duc Ngo und spielt mit seiner E-Zigarette.

Über uns leuchten nostalgische Par-Lampen aus Kupferleitungen von der Decke. Links bildet ein stählerner Raumteiler die Zäsur zur Küchenbar. „Das Ambiente eines Lokals ist immer der Opener. Der Wohlfühlfaktor ist genau so wichtig wie das Essen“, verrät der 42-Jährige einen Aspekt seiner gastronomischen Philosophie. Seine architektonische Muse ist seit Eröffnung des ersten „Kuchi“-Restaurant gleich nebenan, die Koreanerin Hyunjung Kim.

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Ein bisschen sieht man, dass Berlins angesagtester Asia-Gastronom sehr, sehr gerne isst. Sein dichtes, dunkelbraunes Haar ist nicht gestylt, genauso wenig wie seine Kleidung. Einziges Erfolgsattribut ist eine rotgoldene Rolex-Day-Date, ein Geschenk der Familie zum 40. Geburtstag. The Duc Ngo besticht durch das, was im Englischen understatement heißt, eher unter- als übertreiben. Eine Haltung, die er sich hart erarbeiten musste.

Ein Kellner bringt das vietnamesische Nationalgericht Phô, Duc’s Lieblingsessen. Man könnte es schlicht eine Nudelsuppe nennen. Oder die sinnlichste Form einer Brühe, entweder aus Huhn oder aus Rind. Sie kommt in einer großen, kalkweißen Schale, heiß dampfend. Zehn verschiedene Variationen bietet er in seinem Lokal „Madame Ngo“ an. Konzipiert hat er es zweigleisig. Tagsüber als Suppenbar und ab 18.30 Uhr als vietnamesische Brasserie.

Die Phô simmert in drei gigantischen Edelstahltöpfen gleich am Eingang. Sie wird serviert mit Suppenhuhn, Bio-Huhn, Rindfleisch-Steak, Rindfleischbällchen oder Rinderfilet. Natürlich steht auch eine vegane Alternative auf der Karte, aus Wurzelgemüse, Shiitakepilzen, Pak Choi und Tofu. Die Preise beginnen bei acht Euro, und gehen hoch bis sechzehn.

Auf einer Dschunke über das Meer

Dutzende Geflügelkarkassen und etliche Suppenhühner köcheln zehn Stunden für siebzig Liter Brühe, immer wieder abgeschöpft, bis die Brühe glasklar ist. In der schwimmen dann flache, breite Reisbandnudeln, Lauchzwiebeln und Koriander schweben an der Oberfläche neben einer Portion zartem und sehr aromatischem Bio-Huhn. Die Phô schmeckt betörend gut. Dezente Kraft durch Huhn und Zwiebeln, leichte Würzung von Sternanis und Ingwer. „Das ist die nordvietnamesische Phô aus Hanoi bzw. Nam Dinh. Die aus Südvietnam ist kräftiger, würziger, auch etwas süßer“, erklärt Duc Ngo. Er stammt aus Nordvietnam. Aus Hanoi.

Dort wurde er 1974 geboren. „Ein paar Jahre später gab es Grenzkonflikte mit China. Daraufhin wurden Menschen mit chinesischen Wurzeln in Hanoi diskriminiert. Mein Vater war Chinese, meine Tanten auch. Sie hatten ein kleines Haushaltswarengeschäft im Markt von Hanoi. Das mussten sie schließen“, berichtet Duc Ngo. Doch damit endeten die Schikanen nicht.

Deshalb entschied die Familie, das Land zu verlassen. Als sie das meiste, das sie besaßen verkauft hatten, kam der Vater bei einem Unfall ums Leben. Nicht lange nach der Beerdigung bezahlten Ducs Mutter und seine Tanten eine Schleuserbande. „Wir fuhren mit einer Dschunke, die für vielleicht 30 Passagiere zugelassen war, mit 80 Menschen übers Südchinesische Meer“. Obwohl er gerade fünf Jahre alt war, erinnert er sich genau daran. „Diese Strapazen damals, das ist wie bei den Flüchtlingen heute“, sagt er.

Die Traumziele USA, Kanada und Australien waren dicht

In Hongkong wartete die Familie in einem Sammellager auf eine Einreisegenehmigung. Die Traumziele USA, Kanada und Australien waren dicht. Dann gab es die Möglichkeit, von einem Tag auf den anderen entweder nach Santiago de Chile oder nach West-Berlin auszureisen. „Im Gegensatz zu der aktuellen Flüchtlingssituation, hatten wir das Glück, mit der Lufthansa ausgeflogen zu werden. In Deutschland wurden wir damals sehr herzlich empfangen.“

Als die Mutter einen Berliner heiratete, zog sie 1987 zu ihm mit den drei Kindern nach Charlottenburg. Sieben Jahre später machte Duc auf dem Friedrich-Ebert-Gymnasium in Wilmersdorf sein Abitur.

Schon mit 16 jobbte er bei McDonalds an der Clayallee, verkaufte Eis im Zoo. „Gastronomie hat mich interessiert. Ich war von meinem Onkel fasziniert, der fantastisch kochte. Ich aß gerne und fing an, selber zu kochen.“ Früh interessierte er sich für die japanische Küche. „Einfach, klar, die Übertragung des Zen-Gedankens, das begeisterte mich.“ Er begann Japanologie an der FU studieren und kellnerte im American Diner„Route 66“ am Ludwigkirchplatz.

„Sushi wird meine neue Leidenschaft“

Nebenan betrieb Tillmann Zorn das „Sushi Berlin“, einer der ersten Sushi-Läden Berlins. Duc bewarb sich kurze Zeit später auf einen Job. „Ich wusste sofort: Sushi beziehungsweise japanische Küche wird meine neue Leidenschaft“. Schnell lernte er die essentielle Schneidetechnik beim Rohfisch, wie man den Sushi-Reis perfekt zubereitet, und vor allem wie man die einzelnen Nigiri-Sushi schnell und elegant mit der Hand formt.

Als ihn im Sommer 1998 ein russischer Geschäftsmann fragt, ob er für eine damals utopische hohe Summe in Moskau Sushi zubereiten wollte, willigte er ein. Nach zwei Monaten kehrt er zurück, mit einem Teil seines Startkapitals für das erste Lokal. Vorher unternahm er eine Erkundungsreise. In New York begeisterte ihn eine sehr gemütliche urige „Yakitori Bar“, mit typischer japanischer Grillküche, in London die Schnellrestaurantkette „Wagamama“. Mit der Idee, ein Restaurant mit Nudeln, Fleisch und Sushi zu eröffnen, kehrte er nach Berlin zurück.

„Damals war ich ziemlich überzeugt von mir“, sagt er . „Aber eigentlich wusste ich nicht wirklich viel über Sushi“, sagt er schmunzelnd. Trotzdem eröffnete er im Januar 1999 das „Kuchi“ auf der Kantstraße, eine stylische Sushi-Bar. Mit seinen Partnern, seinem Cousin und seinem Bruder, hatte er mit wenigen Veränderungen ein mangels Kundschaft geschlossenes Japanrestaurant in den neuen „Place to be“ verwandelt. „Das Gute war, dass wir nicht viel in die Ausstattung investieren mussten. Die Küche war bereits vorhanden“, erklärt Duc. Sein Anteil am Erfolg war die Kreation neuer Sushis, fantasievolle Rollen, Inside-Out mit Frittiertem, vieles, was aus Kalifornien kam, mit dem eigenen Dreh veredeln.

Das „Kuchi“ war eine Initialzündung. Binnen kurzer Zeit eröffneten Dutzende weitere Sushi-Bars unter vietnamesischer Führung in der Stadt. Kurz darauf folgte ein kleiner Laden das „Next to Kuchi“ neben dem ersten Lokal in der Kantstraße, in dem Sushi und einfache Gerichte zum Mitnehmen angeboten wurden. 2001 zog Duc Ngo mit dem „Kuchi II“ in die Gipsstraße in Mitte.

Nicht gekannte Gourmet-Asia-Küche

Im Winter 2005 holte er mit dem Betreiber des damals bekanntesten Clubs der Stadt, dem „90 Grad“, zum nächsten Paukenschlag aus: das Feinschmeckerrestaurant „Shiro i Shiro“ in der Rosa-Luxemburg-Straße. Spektakulär eingerichtet wie der Traum von einem japanischen Schloss mit porzellanweißen Tischen und Stühlen, Kristallleuchtern und Stofftapeten schoss er mit nicht gekannter Gourmet-Asia-Küche nach oben wie eine Rakete. Für das Design war erneut seine Muse Hyunjung Kim verantwortlich. 2006 wurde es zu den weltweit 50 besten Neueröffnungen gewählt. Sharon Stone, Mick Jagger und David Lynch waren Gäste, „das ganze Top-Show-Biz“, erinnert sich Duc. Doch er hatte sich übernommen. „Die Gerichte wurden immer verkünstelter, wir verloren den Kontakt zu den Gästen, die Berliner hielten sich zurück, der Vermieter wollte die Miete versechsfachen. Auf einmal kam alles zusammen.“

Sechs Monate zur Selbstfindung

Nach drei Jahren schloss er schweren Herzens das „Shiro i Shiro“. Was er in dieser Zeit gelernt habe, sei, Kosten richtig zu kalkulieren wenn es mal nicht so gut läuft. „Aber es war mein erster Misserfolg“, resümiert er. Zum Glück liefen die anderen Läden weiterhin gut. Als nächstes folgte eine sechsmonatige Selbstfindungstour in die USA, nach Japan, Südkorea, Indien und in die Türkei. „Ich habe mich ausgeruht, erholt, und gleichzeitig neue Ideen getankt“, beschreibt Duc die Reise. „Ebenfalls habe ich gemerkt, dass ich mich nicht verdrehen und nur das machen sollte, was ich am besten kann.“ Im Ergebnis kochte er in der neueröffneten Szenelocation „Bar Tausend“ am Schiffbauerdamm in seiner „Cantina“. Till Harter, der Kopf der Bar, hat Duc überredet mit seinem alten „Shiro i Shiro“-Team den hinteren Raum zu bespielen. Spanische Tapas, peruanische Ceviche und japanische Gerichte lautete das Erfolgskonzept. „Es war ein neues Level. Wir spielten in der Champions-League. Hier lernte ich neue Leute kennen, die fragten, ob ich nicht für sie Konzepte entwerfen und realisieren könnte.“

So entstand in Partnerschaft mit Micky Rosen und Alex Urseanu sein Konzept für das „Moriki“ in Frankfurt am Main. In einem 400 Quadratmeter großen Lokal in einem der beiden Türme der deutschen Bank entwickelte er die Idee des „Kuchi“ mit Sushi, Nudel- und traditionellen Vietnam-Gerichten weiter. „Läuft sehr gut“, stellt er trocken fest. Gleichzeitig eröffnete er zwei neue Lokale in Berlin. In den beiden „Cocolo“-Restaurants stehen hauptsächlich japanische Ramen-Nudeln-Gerichte auf der Karte.

Nach Ostern wird schräg gegenüber von „Madame Ngo“ an der Kantstraße seine neue „Cantina“ eröffnen, das „893“. Edel, mit viel Schwarz, dunkelblauem Samt und grünem Marmor designt vom jungen Architekturteam „Allen&Kaufmann“. Sein viertes Lokal auf der Kantstraße. Es wird feine japanische Küche geben gepaart mit südamerikanischer „Nikkei Küche“.

Rund einhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Duc, der Name bedeutet auf Französisch Herzog. Hat er einen Traum? „Vielleicht einen Stern für ein ganz kleines, exklusives Sushi-Restaurant“, sinniert er. Dann spielt er wieder mit der E-Zigarette und schüttelt den Kopf. „Ich glaube, ich habe zu viele Ideen und will die auch immer umsetzen. Da stehe ich mir selbst etwas im Weg.“ Zukünftig will er weniger neue Lokale eröffnen, dafür mehr planen, entwickeln und beraten. Zum Beispiel in seinem neuen Restaurant des Boutique-Hotels „Provocateur“ an der Brandenburgischen Straße in Kudamm-Nähe.

Sieht er einen neuen Trend? „Ich liebe die indische Küche, eine unglaubliche aromatische Vielfalt, ein ganzer Subkontinent voller regionaler Küchen, und fantastischer Kräuter und Gewürze.“ Man darf gespannt sein.