Berlin. Seit Beginn der Corona-Pandemie verbringen wir immer mehr Zeit vor dem Computerbildschirm, Tablet oder Smartphone. Nach einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom im Januar 2022 war die durchschnittliche Zeit vor dem Bildschirm pro Person auf zehn Stunden am Tag gestiegen. Dabei wurden Smartphone, Computer-Monitor und Fernseh-Zeit zusammengerechnet.
Zugenommen hat auch die Zahl derjenigen, die Probleme haben, sich vom Bildschirm zu lösen und regelrecht vor dem Computer „versacken“. In der Caritas-Beratungsstelle „Lost in Space“ in Kreuzberg finden sie Hilfe für einen Weg zurück in die Realität. Waren es früher hauptsächlich Computerspiele, die den exzessiven Online-Konsum ausmachten, so kommen heute Streaming-Portale wie Netflix, Soziale Netzwerke und Online-Pornografie dazu.
„Insgesamt verzeichnen wir eine Zunahme von Ratsuchenden von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die Probleme mit ihrem Computer-, Konsole oder Smartphone-Konsum haben“, sagt Gordon Emons, Leiter der Caritas-Beratungsstelle.
Exzessiver Online-Konsum führt zu Isolation
„Betroffene berichten über unkontrollierten Konsum von bis zu sechs Stunden am Tag. Die Pandemie mit den verbundenen Einschränkungen war ein großer Treiber für exzessives und problematisches Verhalten. Treffen mit Freunden waren auf einmal nicht mehr möglich. Computer und Smartphone boten die Möglichkeit, dem langweiligen Alltag zu entfliehen. Der Weg zurück in den realen Alltag ist bei vielen nun nicht mehr so einfach“, sagt Emons.
Wobei nicht nur der Faktor Zeit entscheidend ist. „Menschen die schon immer wenig Sozialkontakte oder depressive Tendenzen hatten, sind um ein Vielfaches mehr gefährdet, ein süchtiges Verhalten zu entwickeln. Die Folgen sind enorm: sozialer Rückzug bis hin zur sozialen Verwahrlosung“, sagt der Experte.
An die Beratungsstelle wenden sich junge Erwachsene, die als Folge ihrer Online-Sucht die Ausbildung abbrechen oder ihren Job verlieren, sondern auch Eltern, die sich Sorgen machen über das Verhalten ihrer Kinder. Neben Home-Schooling wurden Netflix und Computerspiele wie Fortnite zum täglichen Begleiter. Die Beratungsstelle „Lost in Space“ bietet deshalb auch Online-Infoveranstaltungen für Eltern an, in denen es um die Klärung grundsätzlicher Fragen geht: ab wann spricht man überhaupt von einer Sucht? Ab wie vielen Stunden des Online-Konsums ist man süchtig? Wie soll ich damit umgehen?
Online-Spiele bauen Druck auf, immer weiterzumachen
„Wir erklären auch erst einmal die Mechanismen dieser Spiele und was sie so attraktiv macht, nämlich die schnelle Bedürfnisbefriedigung. Die Spiele sind so geschickt aufgebaut, dass sie den Spieler weder über- noch unterfordern“, erklärt Gordon Emons. Dabei seien die typischen „Ballerspiele“, in denen Gegner abgeschossen werden, gar nicht das Problem sondern eher solche, die eine ständige Aufmerksamkeit der Spiele erfordern, wie „My free Farm“. „Das Spiel ist bei Mädchen besonders beliebt. Dauernd müssen Tiere versorgt oder Pflanzen gegossen werden. So wird Druck aufgebaut, denn das Spiel läuft immer weiter“, sagt der Sozialarbeiter mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung.
Er berät Eltern, wie sie ihren Kindern Grenzen setzen und Regeln für die Computerzeit aufstellen können, und diese dann auch konsequent durchsetzen. Oft kann er sie aber auch beruhigen. „Wenn ein Junge mit seinen Klassenkameraden zockt, ist das okay. Alarmierend wird es, wenn ein 15-jähriger sich immer mehr zurückzieht, keine sozialen Kontakte mehr hat - nur noch zu unbekannten Mitspielern im Netz“, sagt er. Bei eindeutig exzessivem Medienkonsum vermittelt die Caritas-Beratungsstelle dann weiter zu therapeutischen Angeboten zum Beispiel im Krankenhaus Neukölln. Die Online-Spiele sind zwar in der Regel kostenlos, aber durch Zusatzkäufe wie besondere Waffen oder Kostümen für die virtuelle Figuren können hohe Summen zusammenkommen, so dass die Betroffenen auch noch in finanzielle Probleme geraten. „Computerspielsucht ist als Suchterkrankung anerkannt, man geht davon aus dass drei bis vier Prozent der Bevölkerung betroffen sind“, sagt Emons.
Beratung für Betroffene und Angehörige
Die Caritas-Beratungsstelle „Lost in Space“ in Kreuzberg bietet Betroffenen und Angehörigen Hilfe bei Computerspielsucht, Internetsucht, Online-Pornografiesucht und Online-Kaufsucht. Es gibt Einzelberatung, Gruppengespräche und Online-Infoveranstaltungen für Eltern, die sich Sorgen machen über den Computer-Konsum ihrer Kinder. Dabei geht es erst einmal um die Klärung grundsätzlicher Fragen: ab wann spricht man überhaupt von einer Sucht? Ab wie vielen Stunden des Online-Konsums ist man süchtig? Wie soll ich damit umgehen? In Zusammenarbeit mit dem Caritas-Projekt „Digital – voll normal?!“ werden außerdem Workshops an Schulen angeboten.
Alle Informationen unter www.internetsucht-berlin.de. Kontakt: Telefon 030 / 6 66 33 955 oder per E-Mail an lostinspace@caritas-berlin.de