Berlin. Nach einem Betrug oder Einbruch bleiben die Betroffenen oft hilflos und verängstigt zurück. Eine neue Servicestelle will das ändern.

Berlin geht neue Wege im Opferschutz: Im Sommer diesen Jahres wurde in Kooperation mit der Polizei und Opferschutzeinrichtungen ein Pilotprojekt des Vereins Opferhilfe gestartet. Die neue Servicestelle proaktiv geht nach der Tat direkt auf die Betroffenen zu, um sie über ihre Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren.

„Meilenstein im Opferschutz“

„Ein Meilenstein im Opferschutz“, sagt die Projektleiterin von proaktiv, Magdalena Ortner. Betroffene aller Straftaten – vom einfachen Fahrraddiebstahl bis zu Straftaten gegen Leib und Leben – erhalten beim Stellen einer Strafanzeige seit zwei Monaten die Möglichkeit, direkt von einer passenden Fachberatungsstelle kontaktiert und über Hilfsangebote informiert zu werden. Die neue proaktiv Servicestelle bildet dabei die Brücke zwischen Opfern, Polizei und den Fachberatungsstellen.

Opfer von Straftaten erhalten konkrete Hilfsangebote

„Berlin bietet eine große Anzahl an gut qualifizierten Beratungseinrichtungen für Opfer von Straftaten, aber nicht für jeden ist es möglich sich in der Hilfelandschaft zurechtzufinden. Gerade für ältere Menschen, die sich mit dem Internet nicht auskennen, Touristen oder auch Menschen mit Behinderungen ist die Hilfesuche schwierig“, sagt Magdalena Ortner. Seit dem Start von proaktiv Ende August wurden schon 260 Betroffene von Straftaten durch die Landespolizeidirektion 2 (Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf, Moabit) vermittelt.

Magdalena Ortner berichtet von dem 83-jährigen, der arglos zwei Frauen die Wohnungstür geöffnet hatte, als sie ihm erzählen, dass sie Spielzeug verkaufen. Der Mann, der zwei kleine Enkelkinder hat, und sich immer freut, Ihnen eine Überraschung machen zu können, lässt die beiden in seine Wohnung ein. Sie erzählen ihm über die lokale Spielzeugfirma, doch plötzlich wird ihm schwarz vor Augen. Als er aufwacht, sind sein Portemonnaie und der Bargeldvorrat weg, er hat eine Beule am Kopf. Noch etwas benommen ruft er die Polizei und erhält das Angebot zur proaktiven Kontaktaufnahme.

Jährlich eine halbe Million Straftaten in Berlin

„Als wir und bei ihm gemeldet haben, war er sehr erleichtert. Der ganze Behördenkram hat ihn überfordert, er war froh, dass sich jemand um ihn kümmert“, sagt Magdalena Ortner.

In Berlin werden jährlich über 500.000 Straftaten und mehr als 80.000 Betroffene von Opferdelikten erfasst – doch nicht einmal jeder Zehnte findet dann auch den Weg ins Berliner Hilfenetzwerk. „Bislang waren die Opfer weitgehen auf sich allein gestellt, mit proaktiv drehen wir den Spieß um“, sagt Magdalena Ortner.

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Sie schildert einen weiteren Fall: Eine junge Frau bekommt seit Wochen täglich mehrere E-Mails und wird auf Social Media von einer Person kontaktiert. Manchmal weiß die Person genau, wo sich die junge Frau befindet. Das macht ihr große Angst. Über Instagram bekommt sie schließlich ein Video zugesandt, auf dem zu sehen ist, wie sie sich in ihrer Wohnung umzieht. Der Absender droht, das Video auf verschiedenen Social-Media-Kanälen zu veröffentlichen. Sie beschließt daraufhin Anzeige zu erstatten. Proaktiv vermittelt der jungen Frau eine Beratungsstelle für Cyberstalking.

Auch einem französischen Touristen, der in einem Club angegriffen und verletzt wurde, konnte ein passendes Hilfsangebot in seiner Sprache vermittelt werden.

Lotse durch die verschiedenen Angebote

Mit der neuen Servicestelle wird auch die EU-Opferschutzrichtlinie umgesetzt, die besagt, dass EU-Bürger auch außerhalb Ihres Heimatlandes Zugang zu Opferunterstützungseinrichtungen und Entschädigungsleistungen erhalten müssen. „Wir wollen Zugangshürden ins Berliner Hilfesystem abbauen, damit sich Opfer von Kriminellen nicht allein gelassen fühlen“, sagt Projektleiterin Magdalena Ortner. Zusätzlich schafft das Pilotprojekt eine engere Vernetzung der verschiedenen Hilfseinrichtungen im Opferschutz.

Opferschutz in Berlin

Proaktiv ist deutschlandweit das erste Projekt, das einen deliktübergreifenden proaktiven Ansatz für Opfer von Kriminalität anbietet, wie er bislang in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Dänemark und Nordirland seit Jahren etabliert sind. Träger des Projektes ist die Opferhilfe Berlin e.V. 1986 als gemeinnütziger Verein gegründet, unterstützt er mittlerweile jährlich weit über 2000 Betroffene von Straftaten, deren Angehörige und Menschen, die Zeugen einer Straftat wurden. Neben der „Zentralen Anlaufstelle für Betroffene von Terroranschlägen“, die nach dem Attentat am Breitscheidplatz geschaffen wurde wird auch die „proaktiv – Servicestelle für Betroffene von Straftaten“ durch die Senatsverwaltung für Justiz finanziert. Kontakt zu proaktiv:
Tel. 030 863 2809 12, www.proaktiv-berlin.org