Hunde für Handicaps

Mein Partner mit der kalten Schnauze

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Sabine Häcker ist erste Vorsitzende von Hunde für Handicaps und Gewinnerin der Goldenen Bild der Frau.

Sabine Häcker ist erste Vorsitzende von Hunde für Handicaps und Gewinnerin der Goldenen Bild der Frau.

Foto: Sergej Glanze / FUNKE Foto Services

Sabine Häcker bildet bei Hunde für Handicaps ehrenamtlich Assistenzhunde für Menschen mit Behinderung aus.

Berlin. Im Mittelpunkt zu stehen, ist normalerweise nicht das Anliegen von Sabine Häcker. Der Verein sei der Star, gibt sie noch vor dem verabredeten Treffen per Mail zu bedenken, sie mache einfach nur das, was sie erfüllt. Seit Anfang der 90er-Jahre ist die studierte Tierärztin erste Vorsitzende von Hunde für Handicaps und bildet Assistenzhunde für Menschen mit Körperbehinderung oder chronischen Krankheiten aus. Im kommenden Februar wird sie dafür von der Funke Mediengruppe, in der auch die Berliner Morgenpost erscheint, mit der Goldenen Bild der Frau geehrt. Ein Preis für Frauen, die mit ihrem Projekt oder Verein für mehr gesellschaftliches Miteinander und gegen soziale Ungerechtigkeit kämpfen. Traditionell wurden die diesjährigen Preisträgerinnen auch in diesem Jahr wieder von Starfotografin Gabo für eine bundesweite Plakatkampagne abgelichtet. Mit der Zurückhaltung ist es also erst einmal vorbei, auch in Berlin schaut Sabine Häcker gerade von vielen Häuserwänden. „Es sind die anderen, die das, was ich mache, auf einen Sockel stellen“, winkt sie ab und lacht. „Jetzt macht mal nicht so eine Welle.“

Hunde für Handicaps ist Vorreiter für die Ausbildung von Assistenzhunden

Gegründet wurde Hunde für Handicaps 1991 in Berlin, Sabine Häcker kam kurze Zeit später dazu. Bereits zu Schulzeiten hatte die gebürtige Baden-Württembergerin die Idee, Hunde als Assistenten zu trainieren, den Denkanstoß gab eine querschnittsgelähmte Freundin. „Wenn ich im Rollstuhl sitzen würde, wäre es ganz klar, dass ich einen Hund hätte, und dass er Sachen für mich machen würde. Das war so eine fixe Idee“, erinnert sie sich. Üblich war das in den 80er-Jahren noch nicht. „Hunde wurden damals eher im Zwinger als in der Wohnung gehalten. Der klassische Hofhund war an der Kette und hat gebellt, wenn jemand kam. Dafür hatte man Hunde.“ Fürs Tiermedizinstudium kam die heute 50-Jährige nach Berlin. „Ich habe mich schon immer für die Wechselwirkung zwischen Mensch und Tier interessiert“, sagt sie. „Was sie sich gegenseitig Gutes tun können.“ Als sie mit Hunde für Handicaps in Kontakt kam, war sie sofort begeistert. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern erarbeitete sie im Lauf der Jahre Trainingskonzepte, die exakt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Menschen abgestimmt sind. „Wir sind aus der Selbstvertretung heraus entstanden“, sagt Häcker. „Das sind nicht Menschen, die ihr Karma verbessern wollen, sondern Menschen mit Behinderung, die ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen wollen.“

Häcker beendete ihr Studium, praktizierte aber nie als Tierärztin. „Ich habe das gewählt, weil ich Hundetrainerin werden wollte, aber diesen Beruf gab es damals noch nicht. Als ich fertig war, habe ich dann direkt eine Hundeschule aufgemacht.“ Bis heute macht Sabine Häcker beides parallel: hauptberuflich die Hundeschule für Ottonormalherrchen, nebenbei und ehrenamtlich den Job bei Hunde für Handicaps. Der Verein finanziert sich komplett aus Spenden. So erhielt Hunde für Handicaps beispielsweise Mitte des Jahres 3000 Euro aus der Aktion „Wir helfen Helfern“ von Berliner helfen, dem Hilfsverein der Berliner Morgenpost.

Auf Spenden angewiesen: Einen Hund auszubilden kostet 23.000 Euro

Etwa zweieinhalb Jahre dauert es, bis ein Hund fertig ausgebildet ist. Erst allein, später zusammen mit dem späteren Halter. Die Kosten belaufen sich auf rund 23.000 Euro pro Hund, die zukünftigen Halter sind dazu aufgerufen, beispielsweise in Social-Media-Kampagnen, selbst mit für Spenden zu werben. Im Idealfall kann er oder sie den Hund im Anschluss selbst versorgen. Leider sei selbst das nicht immer der Fall, sagt Häcker. „Das ist ein riesen Problem für Menschen, die von einer kleinen Rente oder Grundsicherung leben. Das bringt sie in prekäre Situationen. Deshalb engagieren wir uns für eine rechtliche Anerkennung und regelmäßige Unterstützung für die Kosten der Hundehaltung.“ Anspruch auf Geld von der Krankenkasse für einen Assistenzhund haben bisher nur blinde und schwer sehbehinderte Menschen.

Zum Spaziergang im Tegeler Forst hat Sabine Häcker den Labrador Quincy mitgebracht – benannt nach dem Musikproduzenten Quincy Jones. Quincy weicht Sabine Häcker nicht von der Seite und hört bereitwillig auf jedes Kommando. Seine Spezialität: Knöpfe bedienen und Socken ausziehen. Zur Belohnung gibt es das eine oder andere Leckerli. „Man muss den Hunden einen Anreiz schaffen, dass es ihnen auch Spaß macht“, sagt Häcker. „Und da funktioniert Futter am besten.“ Die Rasse sei nicht zwingend entscheidend für eine Eignung. Für bestimmte Aufgaben, beispielsweise Lichtschalter bedienen, brauche es eine gewisse Größe. Einen schweren Hund müssen Menschen, die auch im Oberkörper beeinträchtigt sind, aber auch erst einmal halten können. Hunde für Handicaps arbeitet seit Jahren mit den gleichen Züchtern zusammen, um die Gesundheit der Tiere gewährleisten zu können. Bevor ein Hund trainiert wird, werden zahlreiche medizinische Untersuchungen durchgeführt, um sicher zu gehen, dass das Tier gesund ist. Nur jeder vierte bis fünfte erfüllt schließlich die Anforderungen.

Welcher Hund sich eignet entscheidet mehr der Charakter als die Rasse

Retriever-Rassen sind seit Generationen zum Apportieren trainiert, sagt Häcker, grundsätzlich komme es aber auf das Wesen an. „Wir suchen Hunde aus, die mit urbanen Herausforderungen umgehen können, ohne ängstlich zu sein. Die mit Menschen und anderen Hunden sicher umgehen können und freundlich sind. Hunde, die eine entspannte Kaltschnäuzigkeit an den Tag legen.“ Zu ihrer Aufgabe gehöre es zudem, einzuschätzen, was ein Hund wirklich leisten kann. „Hunde sind keine Lastentiere, sie können ihren Halter nur bis zu einem gewissen Grad stützen. Und er wird Ihnen sicher nicht einen Barcode vorlesen können, wenn Sie blind sind.“

Wer sich für einen tierischen Assistenten interessiert, kann sich bei Hunde für Handicaps bewerben, meist läuft der Erstkontakt über die Homepage und einen Fragebogen. Es folgt ein persönliches Kennenlernen, um Möglichkeiten auszuloten. Wenn alles passt, geht es los. „Irgendwann muss man natürlich auch den Hund fragen, ob es für ihn passt”, sagt Sabine Häcker. „Die Chemie muss stimmen, sonst werden Hund und Mensch nicht glücklich miteinander.“ Viele Halter haben auf diese Weise schon mehrere Hunde vom Verein bekommen. „Das Schöne ist, dass das Netzwerk des Vereins sehr solidarisch ist“, so Häcker. Wenn ein Hund ausfinanziert ist, suchen die Halter häufig auch weiter Spenden für andere Kandidaten. Dazu gebe es den Sponsor Mars Deutschland, viele Mitarbeiter seien auch über dessen offizielle Spendenaktionen hinaus engagiert für den Verein. „Wir schauen zuversichtlich in die Zukunft“, sagt Sabine Häcker. Coronabedingte Zurückhaltung merke sie bisher noch nicht. Sie hoffe, dass es nicht so weit komme, dass potenzielle Spender durch einen zweiten Lockdown an ihre Reserven gehen müssen.

Goldene Bild der Frau wird im Februar in Hamburg verliehen

Die Goldene Bild der Frau unterstützt Hunde für Handicaps und jedes weitere ausgezeichnete Projekt mit 10.000 Euro. Noch bis zum 23. Februar können die Leserinnen und Leser unter www.goldenebildderfrau.de/gala-2020/ abstimmen, wer zusätzlich den mit 30.000 Euro dotierten Leserpreis erhält. Verliehen werden die Preise am 24. Februar in Hamburg, moderiert wird die feierliche Gala von Kai Pflaume. Zusätzlich bekommt jede Preisträgerin einen prominenten Paten zur Seite gestellt. Wer das in ihrem Fall sein wird, habe man ihr noch nicht verraten, sagt Sabine Häcker. „Ich fürchte, Steffi Graf wird es nicht“, sagt sie und lacht. „Das würde sicher nicht nur mich freuen.“