Berlin . Im Diakonie-Hospiz Lichtenberg begleiten Ehrenamtliche kranke Menschen bis an ihr Lebensende. Ein Freundeskreis hilft Angehörigen.
Eine Backstein-Villa im Grünen. Durch das geöffnete Fenster dringen Kinderlachen von der benachbarten Kita, Vogelgezwitscher und das Blöken von Schafen. „Idylle ist wichtig am Ende des Lebens“, weiß Pastor André Zank-Wins, Leiter des Diakonie-Hospizes Lichtenberg im Landschaftspark Herzberge.
Im Mittelpunkt der Hospizarbeit stehen die Beratung und Begleitung sterbender und schwerkranker Menschen sowie die Unterstützung der Angehörigen in der Zeit der Krankheit, des Abschiednehmens und der Trauer, heißt es beim Hospiz- und Palliativverband Berlin.
Dazu gehört die Verbesserung oder der Erhalt der Lebensqualität, insbesondere durch geeignete Pflege, lindernde Medizin und menschliche Zuwendung. „Leben bis zuletzt“ hat sich die moderne Hospizbewegung, die Ende der 1960er-Jahre gegründet wurde, auf die Fahnen geschrieben. „Und das heißt nicht, dem Leben mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben“, ergänzt André Zank-Wins.
Nach dem Theologie-Studium hat der gelernte Krankenpfleger einige Monate in der Palliativpflege gearbeitet. Dort kam ihm die Idee, als Pfarrer Hospizarbeit zu machen. Die nächste Fügung, so sagt er, geschah bei seiner zweiten Examinierung: Die Geschäftsführung des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge (KEH) wollte das zum Gelände gehörende Haus, das damals noch in einem maroden Zustand war, als Hospiz einrichten. 2005 wurde es als erstes Hospiz im Ostteil Berlins eröffnet. Mittlerweile sind es vier von insgesamt 14 in ganz Berlin.
Schulungen für ehrenamtliche Helfer
Unabdingbar ist dabei die Zusammenarbeit mit Menschen, die ehrenamtlich Sterbende begleiten. Mit den ersten Schulungen hat Zank-Wins 2003 begonnen, vom Studenten bis zum Rentner sei alles vertreten. „Manche brauchen jemanden, der Ruhe ausstrahlt und Lebenserfahrung hat, andere jemanden, der einen fröhlich-frischen Wind mit sich bringt und Action macht.“ Allen gemein sei aber das ganz starke Sinngefühl.
85 Stunden umfasst so ein Kurs im Diakonie-Hospiz, zehn Monate lang treffen sich bis zu zwölf Teilnehmer jeden zweiten Mittwochabend. Auf den Grundkurs folgen Praxiseinsätze und ein Vertiefungsteil. Dabei gehe es ganz stark darum, selbst Erfahrungen zu machen. „Sterbebegleitung kann man ja nicht wie Mathe lernen und dann eine Abschlussprüfung machen“, erklärt Zank-Wins schmunzelnd. Da gehe es auch um die Selbstreflexion: „Bin ich zumutbar? Habe ich ein Gefühl für den anderen? Merke ich, wenn ich jemanden nerve?“
Nach der Schulung arbeiten die Sterbebegleiter dann in erster Linie bei den Betroffenen zu Hause, denn ambulant gehe vor stationär. Seit einigen Jahren gebe es aber auch eine Kooperation mit Pflegeheimen und seit 2016 mit Krankenhäusern. „Dort herrscht so ein großer Personalmangel, dass die froh sind, wenn jemand kommt und sich für ein paar Stunden ans Bett setzt“, sagt Zank-Wins. Doch Jahr für Jahre neue Ehrenamtliche zu gewinnen, werde zunehmend schwieriger: „Überall, wo es in unserer Gesellschaft mangelt an psychosozialer Zuwendung, werden jetzt Ehrenamtliche gebraucht. Aber so viele gibt es gar nicht.“
Authentische Kommunikation ist wichtig
Bei der Begleitung gehe es um echte, authentische Kommunikation und Begegnung. Wenn man mit jemandem am Ende des Lebens spreche, spiele die ganze Fassade keine Rolle mehr. „Es ist das vollkommene Gegenteil zur Depression, die ja momentan das Lebensgefühl von vielen ausmacht“, erklärt André Zank-Wins.
„Diese Leute sollten mal in die Heime gehen und dort das Leben feiern“, findet auch Astrid Fritz und ergänzt: „Es wird nichts Unnützes am Lebensende gesagt. Und das macht es so wertvoll.“ Ihr Vater war schwer krebskrank, verbrachte 2009 seine letzten Wochen hier im Hospiz. „Ich war sowohl von der menschlichen Zuwendung als auch der ganzen Atmosphäre beeindruckt“, erinnert sich die Rechtsanwältin. „Dass hier Menschen sterben, ist nicht das Furchtbarste.“
Zwar sei sie irgendwann an ihre Grenzen gestoßen, wäre dann aber so gut mitgenommen worden, dass sie die ganze Situation ertragen konnte. Sich dafür bei den Mitarbeitern nur mit einem Blumenstrauß zu bedanken, wäre ihr zuwenig gewesen, sie wollte etwas tun. Zum fünften Jubiläum des Hauses las sie dann aus dem Tagebuch, das sie zu der Zeit geführt hatte, vor - und war wiederum von dem historischen Festsaal auf dem Krankenhaus-Gelände so begeistert, dass sie dort irgendetwas auf die Beine stellen wollte.
Es war ein Experiment, um ein bisschen Kultur in diese Ecke von Lichtenberg zu bringen, sind sich Astrid Fritz und André Zank-Wins heute einig. 2010 wurde weiter an der Idee gearbeitet, mit einem Freundeskreis Leute zusammenzubringen, sowohl Hinterbliebene als auch Netzwerkpartner im Bezirk sowie Spender, Astrid Fritz übernahm den Vorsitz. 2011 dann die Einladung zum ersten Treffen. Jährlich gibt es nun vier Veranstaltungen: Konzerte, Filme und Gespräche mit einer prominenten Person, die ohne Gage auftritt. Schauspieler Sky du Mont war bereits da, ebenso Schriftsteller Horst Evers. Am 11. Juli wird nun Gregor Gysi erwartet, Stella Maria Adorf liest am 8. Dezember aus dem Märchenbuch „Sternenstaub“.
„Gerade weil wir mit dem Ende des Lebens zu tun haben, möchten wir schöne Dinge anbieten, die das Herz erfreuen und die Seele aufbauen“, so Astrid Fritz. Zu den Veranstaltungen könne jeder kommen, ohne sich gleich mit dem Thema Tod und Sterben auseinandersetzen zu müssen. Denn das sei ja nach wie vor ein Tabuthema, und die Schwelle entsprechend hoch. So lautet denn Motto des Freundeskreises auch „JA zum Leben“.