Raus in die Stadtnatur

Darum sind Berliner Kleingärten gefährdet

Ina Rathfelder ist Unternehmensberaterin und liebt ihren Garten nahe der Bornholmer Straße

Ina Rathfelder ist Unternehmensberaterin und liebt ihren Garten nahe der Bornholmer Straße

Foto: jörg Krauthöfer

Mit der Kampagne „Da wächst was“ wollen die Gartenfreunde in Pankow auf den Nutzen aufmerksam machen. Morgenpost-Serie, Teil 28.

Berlin. Schon das Wort „Laubenpieper“ umgibt ein Nimbus der Spießigkeit. Die Liste der Klischees ist lang: Gartenzwerge, Deutschlandfahnen, Wachstischdecken. Der Kleingärtner als solcher ist demnach selten jünger als 65 Jahre. Hermetisch abgeschottet hinter der präzise eineinhalb Meter hohen Hecke beäugt er argwöhnisch Passanten, die er nicht kennt. Klischees, die im Fall von Ina Rathfelder falscher nicht sein könnten.

Kurz nach Feierabend kommt Ina Rathfelder mit dem Fahrrad in ihren Garten in der Kleingartenanlage Bornholm II unweit der Bornholmer Straße in Prenzlauer Berg. Ihre 380 Quadratmeter Grün liegen im Inneren einer Tramwendeschleife. Etwa alle zehn Minuten rauscht eine leere Straßenbahn um ihren und sechs weitere Gärten. Vor allem im Dunkeln, wenn der Zug schwach beleuchtet ist, gebe das ein surreales Bild ab, so die 47 Jahre alte Unternehmensberaterin. „Eine Freundin meinte mal, das ist wie in einem David-Lynch-Film.“

Vor elf Jahren hat sie den Garten in einem völlig verwahrlosten Zustand übernommen und ihn ausgebaut. Treibende Kraft sei damals ihr Mann gewesen. „Ich wäre bis dahin selbst nie auf die Idee gekommen“, sagt Rathfelder, die nur wenige Fußminuten entfernt in einer Wohnung lebt. Und das, obwohl sie selbst auf dem Dorf aufgewachsen sei. Sie habe aber schnell erfreut mitgemacht, wie sie sagt, und das Gärtnern lieben gelernt.

Ein zeitintensives Hobby

„Gärtnern ist eine ganz merkwürdige Tätigkeit, bei der man auf der einen Seite viel Geduld haben muss und es mögen muss, die Natur zu beobachten“, sagt sie, nachdem sie kurz überlegt hat. Aber langweilig werde es nie. Es gebe immer irgendwas zu tun. Ein zeitintensives Hobby. Zwischen sechs und zehn Stunden würden im Schnitt jede Woche anfallen. „Es ist eben mehr, als einmal die Woche den Rasen zu mähen.“ Momentan stünden insbesondere Wässern und Ernten auf dem Programm.

Und zu ernten gibt es mehr als genug. Fast das gesamte hintere Drittel der schmalen, aber langen Parzelle ist für Gemüse reserviert. In kleinen Beeten wachsen allerlei Salate, Gurken, Zucchini, Grünkohl, Kohlrabi, Rote Beete, Brokkoli, Tomaten, Knoblauch und selbstverständlich Kartoffeln. In einem sogenannten Milpa-Beet bilden Mais, Bohnen und Kürbisse die perfekte Nachbarschaft. An drei großen Bäumen hängen fast reife Pfirsiche, Birnen und Mirabellen. Die Brombeersträucher, die an der einen Seite beinahe den ganzen Zaun entlang ranken, hätten in einem Sommer schon mal 16 Kilo abgeworfen.

Die Zukunft von Rathfelders grüner Idylle ist ungewiss

„Ich habe Interesse an allem, was mit dem Naturkreislauf zu tun hat und da sind die Bestäuber ein wichtiger Bestandteil“, so Rathfelder. Neben einem hölzernen Insektenhotel bieten zahlreiche Wildblumen nicht nur auf der eigens angepflanzten Nützlingswiese vor allem Bienen und Hummeln Nahrung. Neben der Laube, die einst eine Garagen gewesen sei, steht seit zwei Jahren ein Bienenstock. Bis zu 40 Kilogramm Honig könnten die 50.000 Drohnen in einem Sommer produzieren. Zwei Holzstühle stehen vor dem knapp einen Meter hohen Holzkasten. „Das ist unser Bienen-Kino, Bee-Watch – besser als jedes Kaminfeuer oder Aquarium.“

Die Zukunft von Rathfelders grüner Idylle ist allerdings ungewiss. 180 Parzellen zählt Bornholm II. Weitere 236 entfallen auf die benachbarte Anlage Bornholm I, die westlich davon direkt an den Mauerradweg anschließt. Während sie komplett auf landeseigenen Flächen liegt, gehört ein kleiner Teil von Bornholm II der Evangelischen Kirche. Die Schutzfrist für beide Anlagen läuft 2020 aus. Im Flächennutzungsplan sind die rund 148.000 Quadratmeter als Wohnbaufläche festgesetzt. Die benachbarte Bornholm-Grundschule hat außerdem Bedarf für eine dringend benötigte, neue Turnhalle angemeldet.

Zwar sind Kleingärten laut Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung für den Wohnungsbau tabu. Die Diskussion hält jedoch an – nicht erst seit ersichtlich ist, dass der Senat sein ebenfalls im Vertrag vereinbartes Ziel von 30.000 neuen landeseigenen Wohnungen bis zum Ende der Legislatur wohl verfehlen wird. Im Frühjahr befeuerte der Immobilienentwickler Arne Piepgras die Debatte. Er schlug vor, alle Berliner Kleingärten zu bebauen. Seiner Ansicht nach könnten so innerhalb kürzester Zeit 400.000 bezahlbare Wohnungen entstehen.

„Wohnungsbau und Kleingartenwesen können und sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern vielmehr stadtplanerisch miteinander verbunden werden“, sagt Viola Kleinau, Vorsitzende des Bezirksverbands der Gartenfreunde Pankow. Dazu müsse ressourcenschonender gebaut werden – nicht auf jeder Freifläche Luxus und nur die Mindestzahl an Sozialwohnungen.

Außerdem gebe es in Berlin immer noch viele Brachflächen. Hier sei allerdings häufig eine teure Altlastensanierung nötig. „Also bleiben Brachflächen brach und man bebaut Kleingärten, weil sie schnellstmöglich entwickelbar sind.“ Kleinau sieht Investoren in der Pflicht, bereit zu sein, geringere Renditen zu erwirtschaften und beim Bau die Kleingärten in das Konzept einzubinden. Denn sie zu erhalten, würde allen Berlinern zugutekommen.

Kampagne „Da wächst was“

Der Bezirksverband Pankow trägt daher gemeinsam mit den Bezirksverbänden Weißensee und Prenzlauer Berg sowie den Anlagen Bornholm I und II die Kampagne „Da wächst was“, die in Bornholm II ihren Ursprung hatte. Sie will auf den gesamtstädtischen Nutzen der Parzellen aufmerksam machen. Es gehe um mehr, als die eigenen Pfründe zu schützen oder mit Stereotypen aufzuräumen, sagt Initiator Sebastian Krum­eich. „Wir wollen zeigen, welchen Wert Kleingärtner für die Gesellschaft haben und dass es nicht nur um das Privatvergnügen Einzelner geht.“ Der 36-jährige Kleingärtner ist von Beruf Filmemacher und Texter.

Der Protest geschieht mit bunten Postkarten und Plakaten mit Wortspielen, die zu Dutzenden an und in den Anlagen hängen. Darauf nennen sich die Kleingärtner „Faunanziers“, „Revoluf­tionäre“ oder „Klimasseure“. Sie werben „für mehr Fluglärm durch Bienen“. Auf der eigens eingerichteten Internetseite dawaechstwas.de finden sich außerdem Experteninterviews. Dort erläutert etwa Fritz Reusswig vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung den Wert der Kleingärten für die Stadtluft. Sie würden dazu beitragen, in erheblichem Maß Schadstoffe zu binden, für Frischluft sorgen und in Zeiten des Klimawandels bei anhaltenden Hitzewellen dringend benötigte Kühlung bringen.

Auch die Insektenvielfalt ist in der Stadt mittlerweile oft höher als auf dem Land, wo Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden insbesondere zum Bienensterben führen. In der Stadt überleben sie auch dank der Kleingärten leichter.

Außerdem spielt Biodiversität eine große Rolle. Es finden sich immer wieder Pflanzen, die anderswo längst verschwunden sind. Im Rahmen der Teilnahme am Pankower Umweltpreis ließen die Gärtner von Bornholm II alle Apfelbäume von einem Experten begutachten. Dieser stieß auf einen „Adersleber Kalvill“ – eine vom Aussterben bedrohte Apfelsorte, die prächtig in Rathfelders Nachbargarten gedeiht.

„Wenn wir uns nicht wehren, verschwinden weitere Gärten“

Aber es gehe nicht nur um die gesamtgesellschaftlichen Vorzüge, so Krumeich. „Es geht auch um Aufmerksamkeit. Wir wollen zeigen, dass wir da sind und uns nicht einfach wegbauen lassen.“ Die Kampagne sei so angelegt, dass sie für alle Kleingärtner Berlins geöffnet werden soll. Sie sei durchaus offensiv gemeint, ergänzt Kleinau. „Wenn wir uns nicht wehren, werden weiter scheibchenweise Gärten wegbrechen.“

Denn Kleingärten seien überall in Berlin bedroht, so Kleinau. Für elf Prozent der Anlagen auf landeseigenen Flächen bestehe nur eine Schutzfrist bis 2020. Es gehe daher auch um einen gemeinsamen Auftritt in der politischen Debatte. In Pankow konnte man jetzt einen ersten Erfolg erzielen. Die Bezirksverordnetenversammlung beschloss mit großer Mehrheit, alle Kleingartenanlagen im Bezirk langfristig zu sichern. Für bestimmte Anlagen sollen entsprechende Bebauungspläne aufgestellt werden. Außerdem soll sich das Bezirksamt beim Senat dafür einsetzten, dass die Schutzfristen bis mindestens 2030 verlängert und die Gärten im Flächennutzungsplan als Grünflächen festgesetzt werden.

Pacht für Kleingärten ist günstig

Die Pacht für Kleingärten ist ohne Frage günstig. Im Schnitt kosten sie samt Nebenkosten rund 500 Euro im Jahr. Schon länger gibt es daher die Forderung, dass sich die Anlagen mehr öffnen müssen. Viele seien zwar mittlerweile vorbildhaft, wie die in Französisch Buchholz, viele in Weißensee oder eben die Bornholm-Kolonien, führt Kleinau an. Bei anderen seien Umdenkprozesse gefordert. „Wer seine Anlage verschließt, dem muss klar sein, dass das keine Einbindung ins Wohnquartier darstellt.“ Der Nutzen würde so unsichtbar bleiben.

Dieses Umdenken war aber auch in den Bornholm-Kolonien nicht leicht. Im September 2014 luden insbesondere jüngere Kleingärtner von Bornholm I zum „Tag des offenen Gartens“ ein. Der damalige Vorstand antwortete einigen von ihnen mit Kündigungsschreiben und drohte juristische Schritte an. Erst nach zähen Verhandlungen konnte der Streit Ende 2015 mit der Wahl des in Teilen neuen Vorstands beigelegt werden, sagt der heutige stellvertretende Vorsitzende, Robert Ide. Es habe ein Einsehen gegeben, dass man sich öffnen muss. „Man muss die Älteren aber auch mitnehmen und sie dafür begeistern, dass wir nicht nur was für uns, sondern auch für den Kiez tun, damit der Kiez sagt: Wir wollen euch behalten.“ Seit 2016 laufe der Öffnungsprozess.

Heute wird das Erntedankfest daher als Kiezfest gefeiert. Zur Fête de la Musique Ende Juni haben mehr als 30 Musiker auf der Anlage oder in den Gärten gespielt. Zum langen Tag der Stadtnatur werden Kräuterführungen angeboten. Historische Führungen beleuchten auch den Fall der Mauer, der am 9. November 1989 nur wenige Meter entfernt auf der Bösebrücke seinen Anfang nahm. Es gibt einen Kitagarten, und der Verein Starthilfe unterhält einen Therapiegarten. Man wolle ein sozialer Treffpunkt im Kiez sein, so Ide. Es gebe auch die Idee eines Kleingartenparks.

Und auch das viele Obst und Gemüse in Ina Rathfelders Garten kommt mehreren zugute, wenn sie Fremde über die Internetplattform „Mundraub“ zum Ernten einlädt.

Kleingärten und Gartenfreunde

Kleingärten

Berlin hat 890 Kleingartenanlagen mit 71.473 Parzellen. Damit ist die Hauptstadt deutschlandweit Spitzenreiter vor Leipzig (41.000 Parzellen) und Hamburg (36.000 Parzellen). Berlins Kleingärten machen mit 2932 Hektar rund drei Prozent der gesamten Stadtfläche aus und entsprechen ziemlich genau der Größe des Grunewalds. Nur 433 Hektar sind durch einen Bebauungsplan als Dauerkleingärten geschützt.

Verlust

Die meisten Kleingartenanlagen liegen zwar mit 148 in Treptow-Köpenick, die meisten Parzellen aber mit 10.161 in Pankow. Berlins nordöstlichster Bezirk hat auch den größten Schwund zu verzeichnen. In den vergangenen 14 Jahren sind berlinweit fast 7600 Parzellen verschwunden. Mehr als 4600 davon lagen in Pankow. So führt der Kleingartenentwicklungsplan von 2004 für den Bezirk noch eine Fläche von 746 Hektar auf, heute sind es mit 484 Hektar rund ein Drittel weniger. Einzig in Friedrichshain-Kreuzberg sind neue Kleingartenflächen hinzugekommen – wenn auch auf deutlich geringerem Niveau. 2004 gab es im Bezirk noch 127 Parzellen auf 3,4 Hektar, heute sind es 228 auf sieben Hektar.

Eigentümer

Mehr als drei Viertel der Berliner Kleingartenfläche gehören dem Land. Der Rest ist in privater Hand. Die Anlagen entlang von Gleisen befinden sich häufig im Eigentum der Bahn Landwirtschaft, einer betrieblichen Sozialeinrichtung der Deutschen Bahn. Auch die Deutsche Post und die evangelische Kirche besitzen Flächen.

„Da wächst was“

Die Kampa­gne der Gartenfreunde Pankow will die Debatte um den Konflikt zwischen Stadtgrün und Bauland befördern und sucht dafür auch noch Mitstreiter. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Facebook-Seite „Da wächst was“ und auf der Homepage der Gartenfreunde Pankow. Dem Verband gehören 58 Vereine mit rund 5800 Kleingärten an: www.gartenfreunde-pankow.de

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