Berlin. Sechs Jahre nach dem hochgelobten „Götterstraße” erscheint am 22. Februar das neue Album „Risky Sets” von Westbam, bürgerlich Maximilian Lenz. Mitte der 80er-Jahre gründete er das erfolgreichste deutsche Techno-Label Low Spirit und gilt bis heute als eine der Lichtgestalten der elektronischen Musik. Auch mit 53 Jahren ist er einer der wichtigsten deutschen DJs und hat es geschafft, sich über drei Jahrzehnte in einer Szene zu behaupten, die eigentlich auf konstante Erneuerung angelegt ist.
Auf „Risky Sets” sind mit Drake und Kendrick Lamar zwei der derzeit größten Namen im Hip-Hop zu hören. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?
Interessanterweise war Drake, der größte Star, der auf dem Album zu hören ist, der Umgänglichste. Der hat schon eine Woche nachdem wir ihm eine Aufnahme meiner Musik geschickt hatten, etwas abgeliefert, das auch noch sehr gut gemacht war. Die Vorstellung, dass man für ein solches Album gemeinsam im Studio säße, ist aber falsch, das läuft meistens komplett über E-Mail und ohne persönliche Begegnungen.
Was reizt Sie an der Arbeit mit Rappern?
Das Fragmentarische und Unperfekte. Lil Wayne ist beispielsweise ein Künstler, der nicht so in Hooks, also Refrains, denkt. Schon bei seinem Beitrag für das Vorgängeralbum hatte ich das Gefühl, dass ihm einfach jemand ein Mikrofon vors Gesicht gehalten hat und er vier, fünf Sätze eingesprochen hat. Aber das finde ich gerade toll. Mit Namen wie Iggy Pop oder Placebo zusammenzuarbeiten, ist natürlich auch großartig, aber die sind auch sehr kontrolliert in dem, was sie tun. Rapper neigen dazu, einfach etwas abzuliefern. Das empfinde ich nicht als Manko, im Gegenteil: Ich habe gerade Spaß daran, aus Fragmenten etwas zu machen, das kommt der DJ-Idee von Musik näher als ein perfekt eingesungener Part. Rapper sind dafür offener als Menschen, die aus dem Rockbereich kommen.
Was hat Techno mit Vergänglichkeit zu tun?
Tatsächlich schafft man im Techno Spuren und Sounds, die weiterverarbeitet werden und im nächsten Moment oft schon wieder vergessen sind. Ich habe da gemischte Gefühle: Ich kann diese Ideologie der ständigen Erneuerung zwar verstehen, aber ich habe auch ein barockes Bedürfnis nach Klassikern und musikalischen Werten. Das ist der Teil an mir, der gar nicht Techno ist. Mein Album „Götterstraße” und auch mein aktuelles Album sind so gemacht, dass man sie sich auch in 30 Jahren noch anhören kann. Techno ist da auf eine bedauerliche Art vergänglich, selbst Größen der frühen 90er-Jahre wie Underground Resistance sind nicht mehr bekannt. Es ist eine sehr aktuelle, jetzige Musik, was eben auch bedeutet, dass sie vergangenheitslos ist und immer nur im Zenit der Gegenwart steht.
Techno bringt auch Touristen nach Berlin, was viele Einheimische mächtig nervt… Dabei sind Nachtclubs, meiner Meinung nach, wirklich einer der wichtigsten Berliner Wirtschaftszweige. Ähnlich wie Ibiza ist Berlin eine Metropole des Nachtlebens, die für viele junge Menschen aus Europa schnell und günstig erreichbar ist. Wobei mir Berlin da deutlich lieber ist. Und natürlich gibt es in Berlin diesen Beißreflex gegen Touristen, den gab es schon immer, und den gibt es nicht nur hier. Ich erinnere mich an eine Fahrt im Nachtbus nach Neukölln, als ich 17 war. Da stieg ein Berliner zu und sagte laut: „Glück jehabt, keen Wessi-Trupp drinne.“ Diese Haltung: „Wir sind Berliner und eigentlich könnt ihr uns alle mal“, die ist relativ alt. Aber im Gegensatz zur bayerischen Provinz kann man zum Berliner werden, wenn man nur lange genug hier lebt. Das ist auf dem platten Land anders: Da bleibt man auch in der vierten Generation der Zugezogene. Das zeichnet Metropolen aus.
Ist Clubsterben eine Realität, oder ein Mythos?
In Berlin ist es ein Mythos. Natürlich ändern sich die Dinge. Menschen trauern immer dem nach, an was sie sich gewöhnt haben. Dabei waren günstige Underground-Clubs im Stadtzentrum einfach immer schon ein Sonderfall, das gibt es in Städten wie Rom oder Paris auch nicht. Clubs sind kleine Unternehmen, die am Wirtschaftsleben teilnehmen, Eintritt verlangen und mit anderen konkurrieren. Da sehe ich Gentrifizierung, anders als bei Senioren, die aus Geldnot ihren Kiez verlassen müssen. Die brauchen Hilfe vom Staat. Ein Club, gerade einer, der sich als „underground“ versteht, sollte danach nicht zu laut schreien. Oder sehe ich das falsch?
Gab es den perfekten Club in Berlin?
Anfang der 90er-Jahre, der erste „Planet“ an der Köpenicker Straße. Wobei meine Erinnerung subjektiv ist und es sein kann, dass ich das auch ein Stück weit verkläre. Der Geist des Aufbruchs war dort sehr spürbar, es war die Glanzzeit von Dr. Motte, auch musikalisch eine Zeit der Blüte. Außerdem war die Clubszene damals noch nicht so zersplittert. Da liefen in einem Club House, Minimal, härtere Sachen, und auch die Gäste waren heterogener, Girlies feierten mit Schwulen, die Menschen auf der Tanzfläche waren aus den unterschiedlichsten Gründen da. Heute wird es ja als Fortschritt gesehen, dass es für jedes Subgenre und jede Sorte Mensch einen eigenen Club gibt, aber im Grunde ist die Durchmischung doch viel spannender.
Was gibt es nach über 30 DJ-Jahren noch zu entdecken – und was nervt eher?
Wenn man älter wird, entdeckt man vieles neu, schon alleine, weil man manche Sachen vergisst. Ähnlich wie bei der Malerei gibt es bei Tanzmusik nicht unendlich viele Variationen, im Grunde haben die ersten Sachen, zu denen Neandertaler getanzt haben, auch viel mit Techno gemein. Trotzdem wird es immer wieder spannend, durch Künstler, die es schaffen, der Musik ihre eigene Note zu geben – und das versuche ich natürlich auch. Was mich ziemlich ermüdet, weil sich dabei vieles wiederholt, ist das Reisen. Natürlich gibt es manchmal auch Gäste, die nerven. Bei einem Auftritt in Amerika stand kürzlich eine Gruppe direkt vor meinem DJ-Pult und starrte mich an, ohne auch nur ein bisschen zu tanzen. Ich hatte eine regelrechte Wut auf die. Nach dem Auftritt kamen sie dann auf mich zu und sagten, sie seien große Fans und hätten alles in sich aufgesogen. So kann man sich täuschen.