Spaziergang

Kabarettist Martin Buchholz: Der Humor der Stadt

| Lesedauer: 14 Minuten
Jan Draeger
Martin Buchholz am Schlachtensee

Martin Buchholz am Schlachtensee

Foto: Amin Akhtar

Unsere Reporter treffen Menschen, die etwas bewegen. Heute: ein Spaziergang mit Martin Buchholz, Kabarettist.

Berlin. Ok, das Wort „Jamaika“ kann man in diesen Tagen eigentlich nicht mehr hören. Aber die Nachwirkungen der geplatzten Verhandlungen bekommt man weiterhin zu spüren. Denn die Frau von Martin Buchholz begrüßt mich um 12 Uhr mittags mit einem derart anklagenden „Guten Morgen“, dass ich das Gefühl bekomme, ich hätte das Ehepaar mit meinem Klingeln aus dem Bett geschmissen. Auf dem Tisch steht noch Frühstücksgeschirr. Was ist hier los?

Frau Eder-Buchholz klärt auf: Ihr Martin habe noch bis vier in der Früh gearbeitet. Der betritt nun leicht gerädert den Raum. Diese „ganze Jamaika-Kacke“! So wird er es später bezeichnen. Merkel, Seehofer, Lindner und Özdemir haben es vermasselt – sein Programm. In sechs Tagen wird Martin Buchholz auf der Bühne der „Wühlmäuse“ stehen und nun schreibt er gerade den ganzen ersten Teil um. Das Leid eines Kabarettisten, der in der aktuellen politischen Lage seinen Witz finden muss.

Ausgerechnet zu seiner Abschiedstournee musste das passieren. Buchholz hört nämlich auf. Ein Stück Berliner Kabarett-Geschichte geht zu Ende. Bei seinem Humor schwang immer etwas Anarchistisches und Unberechenbares mit. Da war einer, der für Finanzskandale und behäbige Politik scharfe Pointen fand, der einen Berliner Bürgermeister – mit dem er übrigens zur Schule ging – als „das Diepgen“ durch den Kakao zog und damit über die Stadt hinaus für Lacher sorgte. Und er gehört zur aussterbenden Spezies, die für ein „ich“ das Berliner „ick“ benutzt. Jetzt ist Buchholz 75 Jahre alt und findet, dass mal Schluss sein soll. Deshalb treffen wir uns.

Er schlüpft in ein Paar Slipper, zieht sich eine dunkle Outdoorjacke an. Los geht’s. Der Spaziergang beginnt quasi vor der Haustür. Er wohnt nahe dem Schlachtensee. Beneidenswert. „Ich bin ein sozialer Aufsteiger“, sagt er und lacht. „In Wedding, in der Sansibarstraße, bin ich geboren. Hab dann überall in Berlin gewohnt und lebe jetzt seit zweieinhalb Jahren hier.“ Und nutzt er die nahe Idylle? „Ich bin eigentlich so ein richtiger altmodischer Flaneur. Ich latsche gern eineinhalb Stunden lang um den See rum, nehme dann vielleicht noch die Krumme Lanke mit.“ Für heute haben wir uns nur die fünf Kilometer rund um den Schlachtensee vorgenommen.

Er traf in den Sechzigerjahren auf Wolfgang Neuss

Sein Blick fällt auf das Aufnahmegerät, das ich in der Hand halte. Es erinnert ihn an seine Vor-Kabarett-Zeit, als er als Journalist im Berlin der Sechzigerjahre unterwegs war. Einmal, erzählt er, nahm er im „Studio“-Kino am Adenauerplatz den Kabarettisten Wolfgang Neuss auf, als der für seinen Film „Genosse Münchhausen“ warb. Das Leinwandwerk lief nicht sehr erfolgreich, deshalb machte Neuss eine kleine Conference, um die Leute anzulocken. Buchholz sollte noch in der Nacht über den Auftritt schreiben, aber als er das Band abhörte, merkte er, dass „auch der Neuss kein Allroundgenie ist und dieselben Pointen wie jeden Abend gebracht hat“.

Was er dann machte, verstößt eigentlich gegen jede Journalistenehre, aber die Zeit mag ihm diese Sünden vergeben. „Damit ich meine Kolumne vollkriegte, habe ich in der Nacht Pointen dazuerfunden. Und die hat Neuss dann am nächsten Abend auf der Bühne gebracht. Da habe ich mich natürlich gebauchpinselt gefühlt.“

Der Fotograf ist da. Während er sein Equipment aufbaut, frage ich Buchholz, wie er denn in seiner Journalistenzeit selbst mit Berühmtheiten umgegangen ist. Er erinnert sich an ein Porträt der Eiskunstläuferin Marika Kilius. „Ich hatte eine wöchentliche Kolumne: ,Menschen in der Stadt‘, wo ich ziemliche Narrenfreiheit hatte. Und in dem Fall habe ich die Narrenfreiheit, meine Antipathie, richtig schön ausgekostet. Es gab dann Ärger mit dem Manager.“ – Sie mochten die Kilius also nicht besonders? – „Nee. Ein Vorurteil, das ich heute noch gegenüber Leuten habe, die auf dem Eis rumlatschen.“

Überhaupt schien Tanz nicht sein Thema zu sein. Einmal, erzählt er, musste ausgerechnet er einspringen, um über einen Auftritt einer modernen Tanzkompagnie in der Akademie der Künste zu berichten. „Ich habe eine dummdreiste Kritik geschrieben – und zu Recht wurde dieser Verriss dann verrissen.“

"Das ist die Rache für deine eigene spätpubertäre Unverschämtheit“

Später, als er keine Artikel mehr verfasste, sondern welche über ihn erschienen, schaute er auch deshalb gnädig über manchen vermeintlichen Pfusch hinweg. „Wenn so ein armes Volontärswürstchen in der Provinz über meinen Auftritt zu schreiben hatte und ich dann hinterher Pointen las, die so was von dämlich waren, die überhaupt nicht in meinem Programm vorkamen beziehungsweise vollkommen falsch verstanden worden waren, da habe ich mir manchmal gedacht: Das ist die Rache für deine eigene spätpubertäre Unverschämtheit.“

Die Fotos sind im Kasten und wir schauen den Enten nach, die auf dem See ihre Kreise ziehen. „Ich mag diese Herbstzeit sehr, auch wenn es regnet. Das hat so eine beschauliche Tristesse“, schwelgt Buchholz. Als Jugendlicher sei er oft am Tegeler See und am Heiligensee gewesen. Ersten Verliebtheiten, aber auch ersten Enttäuschungen sei er da in Gedanken nachgegangen.

Buchholz wuchs in einer vom Krieg zerstörten Familie auf. Der Vater war 1943, ein Jahr nach seiner Geburt, in Russland gefallen. Die Mutter, eine Krankenschwester, zog ihn mit seinen beiden älteren Schwestern alleine auf. „Sie hat es wirklich nicht leicht gehabt, ihre drei Gören in den schweren Nachkriegsjahren durchzukriegen. Das habe ich aber erst später gemerkt.“

Was ihm Halt gab, war das Schreiben. Mit zwölf Jahren verfasste er seinen ersten Roman – der „Gott sei Dank im Orkus des Vergessens verschwunden ist“. Ein Onkel war aber von dem Werk seines Neffen, es handelte von Indianern, derart begeistert, dass er es abtippen ließ und an einen Verlag schickte. Es wurde allerdings nie gedruckt. Jahre später, Buchholz hatte das Abitur noch nicht in der Tasche, schrieb er aber schon mehrere Zeitungen für ein Volontariat an. „Ich wollte weg von zu Hause und unabhängig sein.“ Die Berliner Morgenpost leitete seine Bewerbung weiter an die „B. Z“. Nach einem Gespräch mit dem Chefredakteur schien alles klar, doch dann setzte ihn seine Freundin vor die Wahl: entweder „dieses Revolverblatt“ oder ich. Beim „Tagesspiegel“ sagten sie ihm, er solle erst mal studieren.

Singend am Landwehrkanal entlanggetanzt

So schickte er an den „Abend“ („ein Boulevardblatt mit einem hervorragenden Feuilletonteil“) ein Telegramm: „Habe Zusage von der B.Z. Die B.Z. in der Hand ist mir notgedrungen lieber als der Abend auf dem Dach.“ Aufgrund dieses „frechen Telegramms“ hätten sie zurückgeschrieben, dass er kommen könne. Am Tag der Zusage sei er am Landwehrkanal singend entlanggetanzt. Buchholz war 18 Jahre alt, unbekümmert, witzig und frech. Das kam an. Seine Artikel, manchmal waren es vier an einem Tag, wurden gelesen. Er erschrieb sich einen Namen, eckte aber auch an, wurde sogar vor Gericht zitiert. Einmal kam es zur Anklage, weil er Polizisten nach einer Demonstration als „Rüpel in Uniform“ bezeichnet hatte.

Nach seinem Volontariat wechselte er zum „Spandauer Volksblatt“. „Es gab einen Vertrag mit der Berechtigung, von einem auf den anderen Tag gekündigt zu werden, aber auch selbst kündigen zu können. Ich wollte immer die Freiheit haben, dass ich zur Not die Tür hinter mir zuschlagen kann.“

Dieser Drang nach Unabhängigkeit begleitete ihn sein ganzes journalistisches Leben. Anwesenheitspflicht in Redaktionen war ihm zuwider. Er schrieb Artikel für „Stern“, „Spiegel“, „Konkret“ und „Pardon“. Nicht selten kam es zu Streit mit Chefredakteuren. „Ich habe ein sehr luxuriöses Leben gehabt, insofern, dass ich immer das getan habe, was ich wirklich wollte.“

Anfang der Achtzigerjahre schlug er dann ein neues Kapitel in seinem Leben auf und wurde Kabarettist. „Ich war gerade 40 Jahre alt, und es war sowieso ein bisschen Umbruch in meinem Leben: Da war die Routine des Journalisten, außerdem hatte sich gerade eine Freundin von mir getrennt. Ich dachte, jetzt machste mal was anderes.“ Aber vom Schreibtisch auf die Bühne – hat er sich das so einfach zugetraut? Buchholz lächelt. „Ein gewisser Exhibitionismus liegt ja schon im Journalistenberuf. Für mich war Kabarett auch immer eine Fortsetzung von Journalismus mit anderen Mitteln. Das heißt: tagesaktuell zu arbeiten, der eigene Chefredakteur zu sein, dem keiner reinreden konnte.“

Anfangs tritt er im Jazz-Lokal „Flöz“ in Wilmersdorf auf

Bei einer Veranstaltung an der Freien Universität hatte er sich schon einmal auf der Bühne ausprobiert. Mit Erfolg. Franz de Byl, der ein Jazz-Lokal, das „Flöz“, in der Nassauischen Straße betrieb, lud ihn ein aufzutreten. Dort, irgendwann in einem Raum unterhalb des Lokals, sah ich ihn zum ersten Mal. Eberhard Diepgen hatte damals seine erste Amtszeit als Regierender Bürgermeister und Buchholz nahm seinen ehemaligen Schulkameraden kräftig aufs Korn. Hat er ihn eigentlich später wiedergesehen? „Ich habe ihn mal im Supermarkt getroffen und ,Hallo Eberhard‘ gesagt. Er hat sich umgedreht und mich nicht gegrüßt. Was ich verstehen kann. Das war zu einer Zeit, wo ,das Diepgen‘ ein Running Gag in meinem Programm war.“

Eigentlich hatte er sich in seinen Anfängen nur zehn Jahre Kabarett vorgenommen, nun sind es 35 geworden. Bei seinen Auftritten zeigte er sich ähnlich kompromisslos wie im Journalismus. Als einmal in Nürnberg nach einer Viertelstunde noch immer niemand lachte, sagte er: „Ich merke, Ihnen gefällt es nicht. Mir gefällt es nicht, Ihr Hampelmann zu sein. Ich würde vorschlagen, Sie holen sich das Eintrittsgeld zurück.“ Buchholz ging von der Bühne ab, die Veranstalter waren entsetzt. Einige der Zuschauer gingen, andere blieben, bis er für sie eine kleine Zugabe brachte. Zwei Tage später erschien in der Lokalzeitung ein Artikel mit den Zeilen: „Skandal im Burgtheater – Zuschauer gähnte – Kabarett-Star aus Berlin brach die Vorstellung ab“. Das Ende der Geschichte: In den folgenden Tagen strömten die Nürnberger in die Vorstellung. Der Artikel hängt heute gerahmt bei Buchholz auf der Toilette.

Doch meist lief es sofort erfolgreich. „Ich glaube, dass das Pankewasser in meinem Blut mit verantwortlich ist für meine Art von Humor.“ Aber auch Wolfgang Neuss, von dem er einiges abguckte. „Er war sozusagen ein Kettenraucher an Pointen. Als ich ihn zum ersten Mal erlebte, war ich vielleicht 16 Jahre alt. Da dachte ich, so muss Großstadt, so muss Tempo sein.“

Und nun wird er in den kommenden Wochen in den „Wühlmäusen“ seine letzten Auftritte geben. Nach dem 27. Januar soll dann endgültig Schluss mit Kabarett sein. „Ich will endlich mal die Zeitung aufschlagen und einfach nur ,Scheiße‘ brüllen, statt sofort zu denken, wie kannst du das satirisch umsetzen.“

Und der Applaus: Wird der ihm nicht fehlen? „Ich werde meine Frau bitten, jeden Morgen am Frühstückstisch Standing Ovations zu machen, wenn ich ins Zimmer trete.“ Na, Herr Buchholz, mit den Pointen können Sie es ja doch nicht lassen. Wird Ihnen das Publikum da nicht fehlen? Mal sehen.

Zur Person

Anfänge: Martin Buchholz wurde am 12. Mai 1942 in Berlin geboren. Er wuchs in Wedding auf. Sein schreiberisches Talent zeigte sich schon früh. Im Alter von zwölf Jahren brachte er einen Indianerroman zu Papier, außerdem trug er zu Weihnachten selbstverfasste Gedichte vor. Kurz vor seinem Abitur bewarb er sich bei mehreren Berliner Zeitungen und bekam schließlich beim „Abend“ ein Volontariat.

Reporter: Rund 20 Jahre lang arbeitete Buchholz für Zeitungen und Magazine wie das „Spandauer Volksblatt“, „Stern“, „Spiegel“, „Pardon“ und „Konkret“.

Kabarett: Mit Anfang 40 wechselte er ins Kabarett-Fach und wurde mit seinen Auftritten deutschlandweit bekannt. Jetzt gibt er seine Abschiedstournee. Vom 3. Dezember an ist er in den Wühlmäusen zu sehen (mehr unter www.wuehl­maeuse.de). Am 27. Januar um 20 Uhr wird es die „aller-allerletzte Bühnenshow“ geben.

Privat: Buchholz hat zwei Söhne aus seiner ersten Ehe, mit seiner zweiten Frau lebt er seit zweieinhalb Jahren in der Nähe des Schlachtensees.

Spaziergang: Fast eineinhalb Stunden mit gelegentlichen Zwischenstopps brauchten wir, um einmal um den Schlachtensee herumzulaufen.

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