Berlin. Rechtfertigt die Klimakrise Berlins neue Rekordverschuldung? Wie wichtig ist ein solider Landeshaushalt? Experten diskutieren.
Der Berliner Senat hat trotz der angespannten finanziellen Haushaltslage – Berlin steht mit knapp 64 Milliarden Euro Schulden in der Kreide – große Ausgaben vor. Allen voran soll ein Sondervermögen mit neuen Schulden in Höhe von fünf Milliarden Euro für den Klimaschutz in Berlin vorangebracht werden. Für den avisierten Rückkauf der Fernwärme stehen rund zwei Milliarden Euro in Rede, allein 300 Millionen wird das beschlossene 29-Euro-Ticket ab 2024 verschlingen. Ist die verfassungsmäßige Schuldenbremse in Bezug auf den Berliner Haushalt nicht mehr zeitgemäß? Dieser Frage ging eine prominent besetzte Diskussionsrunde am Dienstagabend in der Friedrich-Naumann-Stiftung auf den Grund. Mit überraschenden Ergebnissen.
„Schuldenbremse ja, aber der Mut zur Förderung und Anwendung nachhaltiger Technologien darf nicht fehlen“, forderte etwa Annika von Mutius per zugeschalteter Videobotschaft. Die studierte Mathematikerin und Betriebswirtin ist Mitbegründerin und Co-Geschäftsführerin von Empion, einem Unternehmen, das mithilfe von künstlicher Intelligenz den Prozess der Personalgewinnung automatisiert. Auch ihr Unternehmen sei vom Land Berlin mit 1,5 Millionen Euro gefördert worden, wofür sie auch sehr dankbar sei. Doch Geld allein sei nicht alles: „Bis die Fördermittel flossen, hat es ein gutes Jahr gedauert“, so die Unternehmerin. Das sei eindeutig viel zu lange. Hier müsse Berlin besser werden.
Zumindest darin war sich die Gründerin mit Alexander Albrecht, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin Ökonomie lehrt, einig. Und auch das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, André Schulze (Grüne), sowie der Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der Berliner FDP, Christoph Meyer, konnten dieser Aussage zustimmen. Doch in der eigentlichen Frage, die Moderator Gilbert Schomaker, stellvertretender Chefredakteur der Berliner Morgenpost, stellte, ob Berlin die Schuldenbremse einhalten müsse oder nicht, gingen die Meinungen weit auseinander.
Berlins Schuldenberg: Klimakrise soll Notlage begründen
Der Berliner Senat jedenfalls hat die Neuverschuldung von bis zu zehn Milliarden Euro mit der Notlage, die sich aus dem Klimawandel und der damit erforderlichen Anpassung ergibt, begründet. Notlagen erlauben Ausnahmen von der Schuldenbremse. Auf Twitter schrieb Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU): „Die Schuldenbremse darf keine Zukunftsbremse sein.“ Man solle den Ökonomen zuhören, die kreditfinanzierte Investitionen in krisenhaften Zeiten durchaus empfehlen. Und er regte die Aussetzung der Schuldenbremse für nochmals fünf Jahre an.
Der Ökonom Alexander Albrecht betonte, dass die Schuldenbremse immer noch ihre Berechtigung habe. „Dies gilt umso mehr, solange nicht klar ist, was genau mit neuen Krediten finanziert werden soll“, so Albrecht. „Die Bewältigung der Klimakrise erfordert Geld, das ist klar“, sagte Schulz. Jedoch müsse ersichtlich sein, wofür genau es eingesetzt werden solle.
FDP warnt vor erneuter Rekordverschuldung
„Ganz klar: Berlin sollte die Schuldenbremse einhalten“, diese Meinung vertrat am Dienstag in der Zentrale der Naumann-Stiftung an der Rheinhartstraße in Berlin-Mitte so eindeutig nur FDP-Landeschef Christoph Meyer. Die Aussage des Regierenden sei schlicht falsch, wie schon der Blick auf die 1990er-Jahre zeige, in denen Berlin mit genau diesem Argument seinen Rekordschuldenberg angehäuft habe, der eine verantwortungsvolle Finanzpolitik für nachfolgende Generationen gefährde.
Schwarz-Rot in der Hauptstadt hat die Neuverschuldung von fünf bis zu zehn Milliarden Euro mit dem Klimawandel begründet. Also mit einer Notlage, die Ausnahmen von der Schuldenregel erlauben würde. Für welche Projekte die Mittel konkret eingesetzt werden, ist noch offen. FDP-Landeschef Meyer hält dem Berliner Senat vor, dass er nicht hinreichend erklärt habe, worin genau die Notlage bestehe und wie das Sondervermögen dazu geeignet sei, diese Notlage zu beheben. „Daher werden wir das auch vor Gericht angreifen“, kündigte er an.
Kritik an Neuauflage des 29-Euro-Tickets
Das sah Grünen-Politiker André Schulze ganz anders. Der klimaneutrale Umbau Berlins sei eine Aufgabe, die aus dem normalen Haushalt nicht zu stemmen sei. „Deshalb unterstützen die Grünen auch auf Bundesebene das Aussetzen der Schuldenbremse“, sagte Schulze. Allerdings sei es richtig, alle Ausgaben des Landes Berlin kritisch zu überprüfen. Dies gelte etwa für die 300 Millionen Euro für das 29-Euro-Ticket. „Das Geld wäre besser in den Ausbau des ÖPNV investiert.“ Auch ihm sei aber zu unspezifisch, wofür das Sondervermögen genau eingesetzt werden solle.