Berlin. Lichtenbergs CDU-Bürgermeister hat den SPD-Baustadtrat freigestellt. Bisher weiß nicht mal der Betroffene, was ihm vorgeworfen wird.
Auch am Tag danach tappt Kevin Hönicke noch im Dunklen. Der sozialdemokratische Baustadtrat des Bezirks Lichtenberg war am Montag in einer in der Berliner Stadtpolitik der letzten Jahrzehnte beispiellosen Aktion vom Dienst freigestellt worden. Er musste sein Diensthandy abgeben, sein E-Mail-Account wurde gesperrt, er darf nicht mehr in sein Büro. Eine Begründung für diesen drastischen Schritt habe ihm der Bürgermeister Martin Schaefer (CDU) nicht mitgeteilt, sagte Hönicke am Dienstag der Berliner Morgenpost.
Der SPD-Mann war vergangene Woche zu einem persönlichen Gespräch am Montagmittag mit dem Bürgermeister geladen worden. Zehn Minuten sollte das Treffen dauern. Der Baustadtrat traf Schaefer und den Rechtsamtsleiter an. Der Bürgermeister drückte ihm ein Schreiben in die Hand, das ihn über seine sofortige Freistellung informierte.
Freistellung von Kevin Hönicke: Schreiben des Bürgermeisters ohne Begründung
Der Brief, der der Redaktion vorliegt, enthält weder einen Hinweis auf die gegen den Stadtrat erhobenen Vorwürfe, noch eine rechtliche Begründung. Hönicke sagt, er habe sich einen Anwalt genommen, um zumindest zu erfahren, was gegen ihn vorliegt. In der Folge werde er rechtliche Schritte einleiten. Das Schreiben des Bürgermeisters sei eigentlich rechtlich nicht bindend, er habe überlegt, dennoch zur Arbeit zu kommen, so der gefeuerte Politiker.
In Kreisen der Bezirkspolitik hieß es, dem Sozialdemokraten werde Geheimnisverrat vorgeworfen. Er soll Informationen an Medien weitergegeben haben. Eine offizielle Bestätigung für diese Erklärung gab es aber bis zum Dienstagabend nicht. Amtsträgern drohen beim Verrat von Dienstgeheimnissen bis zu einem Jahr Gefängnis oder eine Geldstrafe.
Bezirksamt Lichtenberg will keine Fragen zu seinem Vorgehen beantworten
Das Bezirksamt Lichtenberg reagierte am Dienstagmorgen auf die Berichterstattung der Nacht, die im Tagesspiegel begonnen hatte. Es bestätigte per Pressemitteilung, der Bezirksstadtrat für Bauen, Stadtentwicklung, Bürgerdienste, Arbeit, Facility Management und Soziales sei am Montag mit sofortiger Wirkung vorübergehend vom Dienst freigestellt worden. „Zu weiteren Details der Personalangelegenheit äußert sich das Bezirksamt nicht. Die Arbeit des Gremiums werde dadurch nicht beeinträchtigt und die Amtsgeschäfte in Vertretung fortgeführt“.
Nachfragen der Berliner Morgenpost über das Mobiltelefon des Bezirksbürgermeisters blieben unbeantwortet. Der CDU-Kreisvorsitzende Martin Pätzold verwies auf das Bezirksamt. Insofern gibt es bisher keine weiteren Hinweise, welches angebliche Fehlverhalten das überaus harte Vorgehen gegen einen politischen Wahlbeamten rechtfertigen könnte. „Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht, es gibt auch keine Strafanzeige“, sagte Hönicke. Er habe keine Vorteilsnahme oder Ähnliches begangen.
SPD-Fraktion ist sauer: Bezirksbürgermeister duckt sich weg
Die Lichtenberger SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) verlangt „schnellstmögliche Aufklärung“ von Bürgermeister Schaefer. Dessen Verhalten sei „unverantwortlich“, er dürfe sich nicht weiterhin „wegducken“. Es sei kein Fehlverhalten des Stadtrates bekannt, heißt es in einer Pressemitteilung der Fraktion.
Hönicke ist seit 2020 im Bezirksamt, bis zur Wiederholungswahl war der 39 Jahre alte Politiker auch stellvertretender Bezirksbürgermeister. Er ist als Beisitzer auch Mitglied des SPD-Landesvorstandes. Im vergangenen Jahr hatte er an einer Depression gelitten, wie er selbst im Februar öffentlich gemacht hatte.
SPD sieht Fehlverhalten bei Martin Schaefer
Aus der SPD-Parteispitze hieß es, der Bezirksbürgermeister müsse schnell eine Begründung für sein Vorgehen liefern, sonst könnte die Angelegenheit auch für ihn kritisch werden. In der SPD wundert man sich auch über die Kommunikation des Bürgermeisters am Montag. Es dauerte nur eine knappe halbe Stunde, bis der BVV-Vorsteher Gregor Hoffmann (CDU) die Fraktionsvorsitzenden per Whatsapp informierte. Dass dies so kurzfristig geschah, lässt manche Sozialdemokraten an eine abgekartete Aktion glauben.
Kevin Hönicke selbst setzt neben den von ihm eingeleiteten rechtlichen Schritten auf Unterstützung von der Landesebene. Die für die Bezirksaufsicht zuständige Senatsinnenverwaltung ließ wissen, sie habe bisher keine offizielle Kenntnis von dem Vorgang. Auch der Dienstvorgesetzte des Bezirksbürgermeisters, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), hat sich zunächst nicht eingeschaltet, wie es aus dem Roten Rathaus hieß.
Auch in den Ruhestand versetzte Sport-Staatssekretärin wehrt sich gegen Art des Rauswurfs
Der Senat selbst muss sich ebenfalls mit einem Fall einer mit sofortiger Wirkung aus dem Amt entfernten politischen Beamtin herumschlagen. Am Dienstag wurde die frühere Sport-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini (SPD) offiziell von der Landesregierung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Sportwissenschaftlerin war Ende September von Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) freigestellt worden. Wie Hönicke musste sie sofort ihre elektronischen Dienstgeräte abgeben und bekam Hausverbot. Offiziell begründet der Senat die Trennung nun mit dem gestörten Vertrauensverhältnis zwischen Senatorin und Staatssekretärin.
Ihr Anwalt, Sprangers 2023 ausgeschiedener Verwaltungsreform-Staatssekretär Ralf Kleindiek, hat gegen das von der Senatorin ausgesprochene „Verbot des Führens der Dienstgeschäfte“ Widerspruch eingelegt, weil dieses die Reputation seiner Mandantin beschädige. Laut „Beamtenstatusgesetz“ gehe ein solches Verbot „üblicherweise mit Umständen einher, bei denen schwerwiegende dienstliche Verfehlungen im Raum stehen, die disziplinarrechtlich oder sogar strafrechtlich relevant“ seien.