Berlin. Zwei Klimaaktivisten standen am Donnerstag vor Gericht: Es ging um die beschmierte Gucci-Filiale und den geköpften Weihnachtsbaum.
Carl-Christian Emmanuel P. hat noch orange Farbspritzer an den Schuhen und am Rucksack, als er im Amtsgericht Tiergarten vor Saal 456 auf seine Verhandlung wartet. Es gehe ihm „ok“, sagt der 22-Jährige auf die Frage einer Unterstützerin, die gekommen ist, „damit er nicht so allein ist“. Es gibt viel Solidarität in der Letzten Generation, viele Aktivisten kennen sich nicht persönlich, aber sie verbringen Stunden auf den Gerichtsbänken in den Zuschauerräumen.

P. wird vorgeworfen am 22. April 2023 gemeinsam mit einer weiteren Aktivistin der Letzten Generation den Farb-Anschlag auf die Gucci-Filiale am Kurfürstendamm verübt zu haben. Angesichts der Farbspritzer erscheint das Abstreiten wenig glaubhaft. Aber das hat P. auch gar nicht vor. P. gesteht schnell und gern und lässt sich auch bereitwillig fotografieren. Auf die Frage des Fotografen antwortet er „gern unverpixelt“. Für die letzte Generation ist jede Strafe auch eine Art Trophäe, sagen Beobachter der Gruppe. Zudem ist er überzeugt, das Richtige gegen das Falsche getan zu haben.
16.000 Euro Schaden bei Gucci
Der Anschlag mit Wandfarbe aus dem Feuerlöscher habe sich gegen die Reichen gerichtet, die unverhältnismäßig viel CO2 freisetzen. „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ stand auf dem Schild, das er bei der Aktion trug. Normale Menschen würden sich Gedanken über ihre Duschdauer machen, während Superreiche „mit Privatjets über unsere Köpfe fliegen“. Gucci sei das Bespiel für ausschweifenden Luxus. Die Richterin bekennt: „Ich war da noch nie drin.“ Ein Schaden von rund 16.000 Euro ist entstanden.

Richterin Stephanie Unger will ihren Namen zwar „nicht in der Zeitung lesen“, weil sie nur im Namen des Gerichts handle, aber als öffentliche Person muss sie es nach aktueller Rechtssprechung ertragen.
Unger hat einen sehr persönlichen Stil, die Verhandlung zu führen. Sie lässt keinen Zweifel daran, wer die Chefin im Saal ist. Sie ermahnt den Angeklagten, als er zur Wasserflasche greift. „Das ist kein Café.“ Sie unterbricht Anwalt Benjamin Düsberg in seinen langen Ausführungen. Als er sagte, dass das Spannende noch käme, seufzt sie ironisch „och Mönsch“. Als sich Unger für ein Telefonat ins Kämmerlein zurückzieht, greift die Staatsanwältin schnell zu ihrer Trinkflasche.
Der junge Mann, der seine Ausbildung zum Erzieher abgebrochen hat, um Vollzeitaktivist zu werden, verdient „das Nötigste“. In Zahlen: 1000 Euro netto. Soviel zahlt ihm ein Verein, der mit der Letzten Generation assoziiert ist. 130 Tagessätze à 30 Euro wird er zahlen müssen, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Die Urteilsbegründung fasst die Richterin selbst knackig zusammen: „Das Ziel ist richtig, die Mittel sind falsch.“
Die Justiz hat bei der Ladung geschlampt
Die Prozesse der Letzten Generation verlaufen oft nach demselben Muster: Die Angeklagten versuchen nicht einmal, ohne Strafe davon zu kommen. So ist es auch bei Lilli G. Allerdings hat bei ihr die Justiz erst einmal geschlampt: Zum eigentlichen Prozessbeginn ist nur eine Polizistin geladen. Sogar die Angeklagte selbst ist erst eine halbe Stunde später geladen. Wie es dazu kommen konnte? Es bleibt ein Rätsel. Also lässt Richterin Almut Stapff die Verhandlung eine halbe Stunde später beginnen.
Lilli G. wird vertreten von einem jungen Mann, der bisher nur die erste juristische Prüfung abgelegt hat. Damit ist man Diplomjurist und zum Beispiel für viele Verwaltungsjobs qualifiziert. Um jedoch als Anwalt zu arbeiten braucht man noch das zweite Staatsexamen. Richterin Stapff nimmt seine Prüfungsbescheinigung zu den Akten und es kann losgehen.
Lilli G. ist eigentlich Studentin der Sozialen Arbeit aus Wolfenbüttel. Ihr wird vorgeworfen, am 21. Dezember 2022 am Pariser Platz gemeinsam mit einer anderen Aktivistin die Spitze des dort befindlichen Weihnachtsbaums abgesägt zu haben. Dabei hat Lilli G. nicht die Säge geführt, sondern nur die Hebebühne. Last Christmas mit der Letzten Generation sozusagen.
Die Polizisten haben den Weihnachtsbaum „eingekreist“
Die Angeklagte gesteht juristisch gesehen nicht, aber sie schildert, wie die Aktion vor sich ging. Die eine geladene Polizistin erinnert sich, wie sie und ihre Kollegen sich zuerst wenig bei der Hebebühne dachten. Als Lilli G. dann aber ein Plakat mit Letzte-Generation-Herz aufhängte, „da mussten wir tätig werden, den Weihnachtsbaum einkreisen“.
In einer Rede, voller Pathos, bei der ihr auch manchmal die Stimme versagt, erklärt sich Lilli G. Es sei nur die Spitze eines Tannenbaums gewesen und wir sähen bis heute nur die Spitze der Klimakrise und doch gebe es schon viele Klimatote – im September allein 7000, behauptet sie. „Was ist die Spitze eines Tannenbaums gegen Tausende von Menschenleben.“ In Deutschland seien die Auswirkungen des Klimawandels vielleicht noch nicht so stark zu spüren, aber dafür woanders umso mehr. „Das Privileg des Verdrängens können wir uns nicht mehr leisten.“
Weil Weihnachtsbaum-Aktivistin Lilli G. sich bisher noch nichts zuschulden kommen lassen hat, und auch nur von der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern lebt, wird sie zu 40 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt. Sie kann gegen das Urteil Einspruch einlegen.
Was bleibt, ist Aussichtslosigkeit
Was am Ende eines Tages im Gericht bleibt, ist ein Gefühl von tiefer Aussichtslosigkeit: Die Richterinnen orientieren sich streng an Gesetzen, gucken im Detail, ob der Weihnachtsbaum nach dem Anschlag noch den Platz „verschönert“ hat und ob Lichterkette und Kugeln kaputt gegangen sind. Oder sie entscheiden, nach Abwägung, dass es den Farb-Feuerlöscher vom Gucci-Anschlag nicht zurück gibt. Dabei haben beide Richterinnen betont, dass sie Verständnis für die Ziele der Aktivisten haben. Aber sie rieten ihnen zu normalen demokratischen Mitteln: Demonstrationsrecht oder politische Arbeit.
Carl Christian Emmanuel P. wurde vor dieser Verhandlung bereits in drei weiteren Klima-Verfahren verurteilt - allerdings noch nicht rechtskräftig. Sobald das erste Urteil rechtskräftig ist, dürften die zukünftigen Konsequenzen drastischer sein. Vielen anderen Aktivisten wird es ähnlich gehen.