Berlin. Eine Vergewaltigung passiert – aber wer glaubt der Betroffenen? Yana Thönnes über die Fragen ihres neuen Stücks an der Schaubühne.
Es geht um Mystery und Vergewaltigung. Um die Frage wen und was glaubt man und wem nicht. Und darum, was eine Vergewaltigung und Gewalt mit den Betroffenen macht. Regisseurin und Performerin Yana Thönnes hat mit der Berliner Morgenpost über ihr neues Stück an der Berliner Schaubühne „In Memory of Doris Bither“ gesprochen, welches sich genau mit diesen Fragen auseinandersetzt.
Morgenpost: Frau Thönnes, in Ihrem neuen Stück an der Schaubühne geht es um eine Frau, der die eigene Geschichte entrissen wird. Was hat Sie an dem Stoff begeistert?
Yana Thönnes: Zum einen bin ich ein großer Fan des Genres Mystery oder Horror. Das funktioniert am Theater eigentlich nie, also eine ziemlich gute Herausforderung. Zum anderen treffen in der Geschichte von Doris Bither zwei Dinge aufeinander. Doris Bither sagt, dass sie in ihrem Haus von einem Geist vergewaltigt wurde. Das eine ist, dass in unserer Gesellschaft generell eine Frau – oder auch eine queere Person –, die sagt, „ich wurde vergewaltigt“, auf taube Ohren stößt. Wir wollen diese Geschichte nicht hören, oder sie wird in Frage gestellt und als unglaubwürdig abgetan. Gleichzeitig haben wir bei Doris Bither den Aspekt des Spuks. Zwei Ebenen also, die unglaubwürdig erscheinen. Zugleich ist die ganze Geschichte nur bruchstückhaft überliefert.
Aber sie ist wirklich passiert. 1974 ging Doris Bither mit dieser Anzeige zur Polizei. Woher weiß man davon?
Es gibt die Aussagen verschiedenster Menschen, die daran beteiligt waren und die Geschichte immer wieder unterschiedlich erzählen. Wir hören sie aber nie von Doris Bither selbst. Der Versuch, den wir hier wagen, ist, den Fall aus drei Perspektiven zu zeigen. Da ist der Sohn, der eine reale Vorlage hat. Bither hatte vier Söhne und einer davon hat den Vorfall bezeugt und dazu Interviews gegeben. Die zweite ist die Nachbarin, die in verschiedenen Erzählungen auftauchte und die zwischen den Vorhängen hindurch guckt, was passiert.
Auf der Schaubühne steht jetzt eine Rekonstruktion des Hauses von Doris Bither und wir schauen, wie die Nachbarin, durch Fensterscheiben in das Haus hinein. Die dritte Spielerin stellt die fiktive Tochter aus dem über Doris Bither gedrehten Spielfilm, der ihre Story ausgebeutet hat, dar. Diese drei Figuren erlauben uns unterschiedliche Einblicke, werden aber auch immer wieder mit der Realität konfrontiert.
Doris Bither, die im Zentrum steht, ist abwesend in Ihrem Stück. Warum?
Doris Bither ist abwesend und alle drei Figuren sprechen zu ihr. Sie versuchen, sich an sie zu erinnern, ihre Verstrickungen mit ihr aufzulösen, zu eruieren, was ihr Konflikt mit dieser Geschichte oder der Darstellung dieser Geschichte ist. Sie versuchen ein anderes Bild von ihr zu zeigen, was sich aber nie ganz zusammensetzt. Wir haben von Doris Bither gar keine Aussagen, keine Zeugenaussage, keine Interviews und das ist natürlich auch das Problem.
Sie suchen in Ihrem Stück eine Möglichkeit des Sprechens über Gewalt gegen Frauen oder queere Personen. Wie stellen Sie das an?
Es geht um den Diskurs um Vergewaltigung und das Misstrauen gegenüber dieser Geschichte, dieser Gewalterfahrung. Was passiert, wenn wir uns wie in einem Spiegelkabinett die Perspektiven darauf angucken? Dadurch, dass die Spielenden ständig zu einem „Du“ sprechen, sprechen sie im Grunde uns als Publikum an. Wir stellen uns Doris Bither die ganze Zeit vor und sind dadurch mit unseren eigenen Bildern konfrontiert, sprich, wie sieht die vergewaltigte Frau aus, wie muss sie performen, wie stellt sie ihre Geschichte glaubwürdig dar? Mit all diesen Dingen werden wir konfrontiert, dadurch, dass man das eben nicht darstellt.
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Doris Bithers Geschichte wurde zu einem Roman verarbeitet und verfilmt. Wie sind Sie in der Recherche vorgegangen, um sich nicht von dieser Darstellung beeinflussen zu lassen?
Ich habe diesen Film tatsächlich erst sehr spät angesehen, weil ich mich davon nicht zu sehr beeinflussen lassen wollte. Ich habe recherchiert, was es an Zeugenaussagen, an Erinnerungen gibt. Ich war in Los Angeles und konnte Doris Bithers Haus besichtigen. Es ist nicht öffentlich zugänglich, aber ich hatte das Glück, den Mann anzutreffen, der heute dort wohnt und das Haus vor 50 Jahren sehr günstig direkt von Doris Bither übernommen hatte. Er lief mit mir durch das Haus und zeigte mir das Zimmer, in dem die Vorfälle passiert sein sollen. Er hatte seiner Familie beim Einzug gar nicht davon erzählt und sagte, „ich habe meine Frau und meine Kinder erstmal in anderen Zimmern schlafen lassen und dann bin ich jeden Abend monatelang mit der Taschenlampe herumgelaufen und habe geguckt ob was passiert.“ Aber: „Nothing ever happened“. Als aber dann der Film herauskam, waren die Kinder in der Schule plötzlich die, die im Geisterhaus wohnen und Leute pilgerten zu dem Haus und machten Fotos.
Konnten Sie noch weitere Zeitzeugen treffen?
In Los Angeles traf ich auch den Parapsychologen, der damals den Fall untersucht hatte, mit all den Mysteriositäten rund um das „Labor für Parapsychologie“ an der UCLA, an das sich Doris Bither gewandt hatte. Ich führte ein Interview mit einem Professor am Department for Psychology der UCLA, der wiederum dieses Labor in ein ganz anderes Licht rückte. Er sagte: „Im Grunde genommen waren das ein paar Leute, die haben hier einen Raum besetzt und sich dann ‚Labor für Parapsychologie‘ genannt. Dann haben wir die Zeitung aufgeschlagen. Labor für Parapsychologie? UCLA? Was ist denn das? Also lösten wir das Labor auf.“ Der Parapsychologe sagte mir dagegen, „wir hatten es schon mit paranormalen Phänomenen zu tun, aber eine Vergewaltigung, die hat es nicht gegeben.“
Die paranormalen Phänomene werden also eher anerkannt als die Vergewaltigung?
Für ihn ist der Spuk ganz real. Aber die Vergewaltigung, das kann nicht sein. Da stellt sich die Frage, wann glauben wir etwas und warum glauben wir andere Dinge nicht? Welche Geschichte aus welcher Perspektive, wer bekommt „credibility“?
Und dann kommt es zur Aneignung von Doris Bithers Geschichte durch einen Mann, der mit Bestseller und Film Profit daraus zieht, Bither verliert die Rechte an der Story. Ist das auch eine Form von Gewalt?
Das spielt eine große Rolle, auch in dem Stück. Diese Geschichte wurde von einem männlichen Autor in einen Bestsellerroman verwandelt. Der zeigt auf dem Cover wahlweise eine nackte Frau oder eine Frau im weißen Nachthemd. Das Buch bedient alle Stereotypen von Vergewaltigung, die zu der Zeit, aber auch heute noch durch unsere Gesellschaft geistern. Um diese Stereotype und Bilder geht es.
Welche Rolle spielt Sprache beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen?
Erstmal ist da die Frage: Wie oder wem hören wir zu? Das erleben wir jetzt auch gerade in der Presse. Die Ermittlungen gegen Till Lindemann sind eingestellt worden, es gibt einen harten Backlash und Victimblaming. Der Akt, sich nach einer Vergewaltigung zu äußern, Zeugenaussagen zu machen, erfordert, sich mit dieser traumatischen Erfahrung immer wieder zu konfrontieren. Gleichzeitig sind traumatische Erfahrungen wahnsinnig schlecht in sprachliche Akte zu übersetzen. Weil unser Körper in einer traumatischen Erfahrung bestimmte Teile abspaltet, nur bestimmte Dinge erinnert, sich andere Sachen in den Körper einschreiben, Details wichtig werden, die völlig unwichtig erscheinen. Und das ist es, was uns verfolgt. Es gibt im Trauma auch immer einen geisterhaften Aspekt. Gleichzeitig ist der Akt des Sprechens darüber oft selbst ungeordnet, fragmentarisch, verstrickt und kompliziert. Es ist nicht die perfekte Geschichte. Das Ringen um die Sprache ist diesem Thema folglich inhärent und daher auch dem Stück. Es lässt sich niemals ganz erzählen, was da passiert ist, völlig abgesehen davon, was nun Doris Bither genau passiert ist.
Wie stellen Sie das in „In Memory of Doris Bither“ dar?
Wir arbeiten auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Wir haben uns in Bezug zu Trauma explizit damit befasst, wie der Körper Erinnerungen speichert, wie sie hochgeholt werden und was dann mit dem Körper passiert. Wir haben mit den drei Spielenden jeweils unabhängig voneinander eine Choreografie entwickelt. Die laufen versetzt ab und wiederholen sich, sie sind in dieser Schlaufe gefangen. Das passiert andauernd im Körper, während die Sprache etwas völlig anderes macht: Sie versucht sich zu orientieren, Zusammenhänge herzustellen. Aber der Körper haut ab. Das, was im Körper und in der Sprache passiert, ist also im besten Sinne „ver-rückt“, abgekoppelt oder dissoziiert. Das ist eine Herausforderung und macht etwas mit uns. Sonst bekommen wir ja durchaus gespielte szenische Vorgänge präsentiert.
Frauen, die Gewalt erlebt haben oder in gewalttätigen Beziehungen waren, stoßen hinterher auch oft auf Unverständnis bei anderen Personen.
Und es ist ja auch etwas Unverständliches, auch für die Person selbst. Das ist genau der Punkt. Es geht darum, mit diesem Rest der Unverständlichkeit umzugehen, sie zu akzeptieren und nicht anzunehmen, dass jeder letzte Winkel ausgeleuchtet werden kann, sondern dass solche Geschichten ihre Lücken haben. Diese Geschichten sind in unserem Kopf unstrukturiert, weil sie sich eben nicht in einen sinnvollen Zusammenhang bringen lassen, weil Gewalt nicht sinnvoll erfahren wird.
„In Memory of Doris Bither“ an der Schaubühne, Kurfürstendamm 153, 10709 Berlin, Premiere Di. 26.09., 20:30 Uhr