Berlin. Zahlreiche Personen sollten in Berlin in U-Haft sitzen. Darunter sind Mord- und Terrorverdächtige sowie mutmaßliche Sexualstraftäter.

Sie stehen im Verdacht, schwerste Delikte begangen zu haben, ihnen werden Mord und terroristische Aktivitäten vorgeworfen, sie sind mutmaßliche Sexualstraftäter. Gemeinsam haben sie alle, dass sie eigentlich in Untersuchungshaft sitzen und auf ihren Prozess warten sollten. Doch fahndet die Berliner Polizei derzeit noch immer nach insgesamt 1761 Personen, derer sie bisher nicht habhaft werden konnte und die sie in Verbindung mit einem Verbrechen bringt.

Ein Großteil von ihnen – 1417 Personen und damit ganze 80 Prozent – entziehen sich dabei schon länger als sechs Monate der U-Haft, verstecken sich, haben sich ins Ausland abgesetzt oder befinden sich auf der Flucht. Das geht nun aus der Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine Anfrage des Rechtsexperten der Linken-Fraktion Sebastian Schlüsselburg hervor. „Es ist besorgniserregend, dass so viele Haftbefehle offen sind“, kritisiert Schlüsselburg. „Es kann nicht sein, dass insbesondere 58 Mord-Verdächtige, 13 Terror-Verdächtige und 40 Sexualstraftat-Verdächtige frei herumlaufen.“

Über 7000 verurteilte Straftäter sitzen in Berlin nicht hinter Gittern

Außerdem sind unter anderem auch 124 Diebstahlverdächtige, 126 Personen, denen eine Körperverletzung vorgeworfen wird, und 34 mutmaßliche Erpresser auf freiem Fuß. Auch bei bereits verurteilten Tätern können die Zahlen nicht beruhigen. Stand Juli 2023 fahndete die Polizei nach insgesamt 7653 rechtskräftig verurteilten Personen, die ihre Strafe antreten und längst hinter Gittern sitzen sollten. Nach 5266 (also knapp 68 Prozent) wird schon länger als ein halbes Jahr gesucht. Darunter 2812 Diebe, die zum Teil mit Waffen und in Banden vorgegangen sind.

Insgesamt 157 offene Haftbefehle gibt es auch in den Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK), in denen rechts- und linksextreme Straftaten sowie solche aufgelistet werden, die auf religiösen oder ausländischen Ideologien basieren. 30 Delikte sind hier dem Bereich Terrorismus zuzuordnen, 40 sind Gewaltdelikte wie Mord, Totschlag und gefährliche Körperverletzung.

Sebastian Schlüsselburg: Keine Ersatzfreiheitsstrafen mehr wegen Bagatelldelikten

Linken-Politiker Sebastian Schlüsselburg
Linken-Politiker Sebastian Schlüsselburg © BM | Die Linke Berlin

Schlüsselburg erwartet angesichts solcher Daten von der Polizei, dass Prioritäten in Zukunft besser gesetzt werden. Nicht jedes Problem lasse sich mit einem Mangel an personellen oder technischen Ressourcen erklären, selbst wenn diese mit Sicherheit bestehen würden. „In diesem Fall würde ich die Kapazitäten aber eher auf die Suche nach diesen schweren Jungs konzentrieren, anstatt darüber nachzudenken, verdeckte Ermittler in die Letzte Generation einzuschleusen“, so Schlüsselburg.

Ein weiteres Problem seien die überfüllten Gefängnisse in Berlin, die tagtäglich am Limit und nahezu zu hundert Prozent belegt seien. „Berlin wäre also aktuell nicht einmal ansatzweise in der Lage, die offenen Haftbefehle auch zu vollstrecken“, sagt Schlüsselburg.

Hier ist vor allem eine Entlastung der Untersuchungshaftanstalt Moabit zu nennen, so der Rechtsexperte, wofür sich die JVA Plötzensee eignen würde: „In Plötzensee sitzen zahlreiche Personen ihre Ersatzfreiheitsstrafen wegen Armuts- und Bagatelldelikten ab, darunter etwa notorische Schwarzfahrer, die sich die Geldstrafen nicht leisten können.“ Dies seien in den allermeisten Fällen Personen, die nicht in Haft gehörten, sondern viel eher Therapieplätze und Sozialarbeit bräuchten. Würden in Plötzensee die Kapazitäten frei, könnten zumindest die Regelstrafler in Moabit dorthin verlegt werden.

Gesetzgebung und Rechtssprechung müssten dringend in diese Richtung liberalisiert werden, um sich wieder verstärkt der echten Kriminalität zu widmen, findet Schlüsselburg.