Berlin. Der Angeklagte Gul A. nutzte seine letzten Worte vor Gericht für eine umfassende Rechtfertigungsrede. Warum draußen protestiert wurde.

Mit einer dreistündigen Ermüdungsrede hat der Angeklagte im „Femizid von Pankow“, Gul A., sein für Freitag angekündigtes Urteil nach hinten verschoben. Von seinem Recht des letzten Wortes machte der afghanische Flüchtling am insgesamt 32. Verhandlungstag seines Prozesses am Landgericht Berlin so umfänglich Gebrauch, dass der Vorsitzende Richter die Sitzung am späten Nachmittag unterbrechen musste.

Gul A. wird vorgeworfen, seine Ex-Frau Zohra im April 2022 durch dreizehn Stiche mit einem mehr als 30 Zentimeter langen Jagdmesser auf offener Straße ermordet, regelrecht hingerichtet zu haben. Ihr Verbrechen in seinen Augen: Dass sie sich von ihm geschieden hatte, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Davon ist zumindest die Nebenklage, die die sechs Kinder der Beiden vertritt, überzeugt. Ebenso die Staatsanwaltschaft. Wegen eines Mordes aus niederen Beweggründen und aus einem verletzten Ehrgefühl heraus fordert sie eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Berlin: Angeklagter wollte im Zeugenstand aussagen

Schon zu Beginn war es am Freitag im voll besetzten Gerichtssaal zu einem skurril anmutenden Konflikt gekommen, der sich über mehrere Minuten in einem Schlagabtausch hinzog. Der Angeklagte hatte verlangt, sein letztes Wort nicht von Justizbeamten gesichert auf der Anklagebank, sondern im Zeugenstand in der Mitte des Raumes vortragen zu dürfen. „Es geht um mich, um mein Leben, um meine Zukunft“, lautete seine Begründung. „Hinter diesem Gitter fühle ich mich in meinem Recht zu reden eingeschränkt.“

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Der Vorsitzende Richter lehnte dieses Ansinnen jedoch aufgrund von Sicherheitsbedenken ab. Zudem sei ein solcher Schritt in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen und habe auch mit einer von A. vorgeworfenen Vorverurteilung nichts zu tun. Für Staatsanwaltschaft und Nebenklage war es derweil nur ein weiterer Beweis dafür, dass A. das Verfahren von Anfang an hatte nutzen wollen, um sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. „In beispielloser Weise wollte er den Verlauf des Prozesses bestimmen und Regeln nach seinem Gusto festlegen“, hieß es dazu bereits im Plädoyer des Staatsanwalts.

Gul A. will sein ganzes Vermögen in die Flucht investiert haben

Das letzte Wort des Beschuldigten von der Anklagebank aus wurde zu einer Rechtfertigungsrede. Es tue ihm leid, was passiert ist, es sollte nicht so sein, so der anfängliche Tenor. Aber: „Es war ein grundsätzlicher Fehler nach Deutschland zu kommen.“ Das beste Leben habe er mit seiner Frau und seinen Kindern im Iran gehabt. Er habe für seine Familie gearbeitet und gesorgt und seiner Frau dort alle Freiheiten gelassen. „Sie konnte dahin gehen, wohin sie wollte und sogar Englisch lernen“. Die Probleme hätten erst begonnen, als sie zurück nach Afghanistan abgeschoben worden waren.

Wegen der miesen Lebensverhältnisse und aus Angst vor den Taliban hätten sie sich dreieinhalb Jahre lang als Flüchtlinge in Richtung Deutschland durchgeschlagen. Um seiner Familie eine bessere Zukunft zu ermöglichen, habe er geschuftet und sein hart verdientes Geld, ja, sein ganzes Vermögen, für Schlepper ausgegeben. Am Ziel angekommen, habe sich seine Frau dann von ihm trennen wollen und ihn aus dem Flüchtlingsheim gedrängt. Auch die gemeinsamen Kinder habe sie ihm wegnehmen wollen, obwohl sie sie vernachlässigt habe.

„Hier in Deutschland bist du als Mann nichts wert und ich kann machen, was ich will“, soll sie zu ihm gesagt haben. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben und sich einen jüngeren Mann suchen, habe auch einen Liebhaber gehabt, lautete A.s Vorwurf.

Gericht sollte sich nicht von öffentlicher Debatte beeinflussen lassen

Mit dieser Argumentation bewegte er sich indes gefährlich nah an der Einschätzung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die ihm vorwarfen, seine Ex-Ehefrau aufgrund eines archaisch-patriarchalischen Machtbegriffes und eines „perversen Besitzdenkens“ gezielt getötet zu haben. Weil er es nicht akzeptieren konnte und wollte, dass sich Zohra von ihm emanzipierte.

Aus Sicht seiner Verteidiger sei das hingegen konstruiert. Vieles spreche für einen situativen Totschlag in einer Extremsituation, einer Beziehungstat mit langer Vorgeschichte, und nicht für einen geplanten Mord aus Hass. Den tödlichen Stichen sei ein Streit und eine Rangelei vorausgegangen, Gul A. habe nach der Tat „fahrig und irre“ gewirkt und geschockt zu fliehen versucht.

Aus Sicht der Verteidigung sei es zudem nicht die Aufgabe der Strafkammer, sich dem „öffentlichen, soziokulturellen Druck“ zu beugen und „moralisch-gesellschaftliche Einflüsse“ im Urteil zu berücksichtigen. Sprich: Die Tat als einen Femizid, einen Mord aus Hass auf Frauen und Mädchen, zu werten, nur weil sie in der öffentlichen Debatte und in den Medien so bewertet werde.

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Der soziologische Begriff Femizid ist – zumindest noch – kein juristischer. In der Vergangenheit hatten Protestgruppen der Justiz – auch explizit im Fall Zohra G. – immer wieder vorgeworfen, Femizide als bloße Beziehungstaten zu verharmlosen. Vor dem Landgericht Berlin fand zeitgleich zum Prozess eine dementsprechend lautende Demonstration statt. Der Vorsitzende Richter warnte die im Saal anwesenden Personen mit Nachdruck, einen so genannten „Flashmob“ gegen Gewalt an Frauen im Gerichtssaal durchzuführen. Gerüchte über einen solchen seien ihm im Vorfeld zu Ohren gekommen, sagte er.

Verteidigung: Tat ist als Totschlag zu bewerten

Das Opfer sei nicht vergessen, stellte die Verteidigung indes klar, doch es gehe in dem Verfahren nun einmal darum, wie mit dem Angeklagten umzugehen und wie genau er zu bestrafen sei. Gleichwohl sei A. voll geständig, seine Täterschaft unzweifelhaft. Sein Motiv sei jedoch die Angst vor dem Verlust seiner Kinder gewesen, nicht die Trennung an sich.

Um die gemeinsamen Kinder zu sehen, habe er vor dem Flüchtlingsheim campiert, nicht um seiner Ex-Frau aufzulauern und sie zu bedrohen. Die Situation sei dann bis zu der furchtbaren Bluttat eskaliert. A. sei deshalb wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren zu verurteilen. Das letzte Wort des Angeklagten wird am 25. September fortgesetzt. Wann es im Anschluss zu einem Urteil kommt – ist noch ungewiss. Theoretisch darf A. so lange reden, wie es ihm beliebt.