Berlin. Ali Abou-Chaker und drei weitere sollen den damaligen Schützen Oliviero V. bedroht haben. Wie der Nebenkläger zum Angeklagten wurde.

Eines der bizarrsten Gangster-Dramen Berlins geht in die nächste Runde. Am Mittwoch hieß es vor der 25. Kammer des Strafgerichts Moabit: Alles auf neu. Und aus Nebenklägern werden plötzlich Angeklagte. Ali Abou-Chaker, älterer Bruder des Clanchefs Arafat, muss sich gemeinsam mit drei weiteren Personen wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung beziehungsweise der Beihilfe dazu verantworten.

Dabei war es eigentlich Abou-Chaker, der gemeinsam mit zwei seiner Mitangeklagten aus dem Clanmilieu im Dezember 2020 auf einem Kreuzberger Hinterhof mit insgesamt 13 Kugeln niedergestreckt und lebensgefährlich verletzt wurde. Nach eigenen Angaben hat er aufgrund dieser Attacke bis heute eine Behinderung. Der Schütze Oliviero V. - in der Berliner Unterwelt nur als „Tony der Italiener“ bekannt - wurde für den Angriff im September 2021 zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Lesen Sie auch: Arafat muss an Bushido zahlen: So reagiert der Rapper

Der Verurteilte Oliviero V. tritt im Prozess als Kronzeuge auf

Allerdings hatte der Täter angegeben, damals nur aus „Notwehr“ gehandelt zu haben. Abou-Chaker und seine Spießgesellen seien zuvor in den Keller eines Flachbaus an der Stresemannstraße gekommen, wo zu diesem Zeitpunkt ein Pokerturnier stattfand. Mit Abou-Chaker angeklagt sind auch Abias C., Neffe des Bosses eines anderen Clans, sowie Intensivstraftäter Veysel Kilic, Spitzname: „Der Vollstrecker“, Abou-Chakers „Mann fürs Grobe“. Kilics enge Freundin Nathalie B. wiederum soll den Dreien geholfen und ihnen V.’s Aufenthaltsort übermittelt haben.

Abou-Chaker, der mittlerweile in U-Haft sitzt, sei damals mit einer einer Machete, Kilic mit einer Pistole und C. mit Pfefferspray bewaffnet gewesen, so V. Sie hätten ihn aufgefordert, angebliche Spielschulden in Höhe von 4000 Euro zu begleichen und ihm mit Folter und dem Tod gedroht, sollte er sie nicht herausrücken.

Zum Thema: Berliner Clans - So ticken Remmo, Abou-Chaker und Co.

Nur um sich zu verteidigen habe er dann geschossen, nicht aus einer Tötungsabsicht heraus, so die Erklärung von „Tony, dem Italiener“. Dafür müssen sich die Opfer von damals nun als die möglichen Täter von morgen gerichtlich verantworten. Der Inhaftierte V. wird am kommenden Montag als Kronzeuge im Prozess erwartet, die Staatsanwaltschaft folgt dabei weitestgehend seiner Darstellung.

Ali Abou-Chaker: „Wollte ihn weder bedrohen noch umbringen“

Aus Sicht der polizeibekannten Berliner Clan-Größe Abou-Chaker ist das alles jedoch eine einzige große Lüge. „Sie sehen sich selbst als Opfer und haben aus Ihrer Sicht nichts strafrechtlich Falsches getan an diesem Abend“, fasste die Vorsitzende Richterin seine Version der Geschehnisse zusammen.

Laut Abou-Chaker habe er in jener Winternacht zusammen mit Kilic gefeiert, Alkohol getrunken und Kokain zu sich genommen. Durch einen Anruf von Nathalie B. an Kilic habe er zufällig erfahren, dass diese sich gerade im selben Lokal wie „Tony der Italiener“ befand. B. bestritt derweil unter Tränen, diese Fährte bewusst gelegt und überhaupt von dem Streit gewusst zu haben.

Auch interessant: Strafprozess Bushido gegen Abou-Chaker läuft seit drei Jahren

Es stimme, so Abou-Chaker weiter, dass V. aus einem gemeinsam mit ihm organisierten Pokerturnier Spielschulden hatte, die Abou-Chaker für die Betroffenen eintreiben wollte. Er sei sauer gewesen, dass sich V. trotz dieser Schulden und seiner Beteuerungen, sie bald zurückzahlen zu wollen, bereits wieder am Zocken war. „Deswegen wollte ich ihn zur Rede stellen“, gab Abou-Chaker zu. „Aber ich wollte ihn weder bedrohen noch umbringen.“

Intensivstraftäter Veysel Kilic mittlerweile in die Türkei abgeschoben

Die Machete wiederum - ein Ausstellungsstück aus seiner Wohnung - habe er lediglich zur eigenen Verteidigung mitgenommen, da „jeder wisse“, dass „Tony“ immer mit einer Pistole bewaffnet gewesen sei. Auf dem Weg in den Spielkeller in der Kreuzberger Stresemannstraße habe sich auch Abias C. der Gruppe angeschlossen, da er einen gemeinsamen Bekannten mit V. habe und vermitteln wollte.

Im Keller selbst hätten er und „Tony“ sich indes schnell einig werden können, beteuerte Abou-Chaker. V. habe versprochen, das Geld zu zahlen. Dann habe man sich die Hand gegeben, sich umarmt und Small Talk gehalten. Doch müsse sich V. in Wahrheit in seiner Ehre verletzt gefühlt haben, vermutete Abou-Chaker. Später sei er nämlich mir den Dreien wieder hinauf in den Hof gegangen und habe unvermittelt und hinterrücks auf sie geschossen. Er selbst sei dabei unter anderem in den Rücken getroffen worden und nur knapp dem Tod entronnen.

Erschwert wird der Prozess aus Sicht der Verteidigung indes dadurch, dass der Angeklagte Kilic mittlerweile in die Türkei abgeschoben wurde und daher nicht vor Gericht auftreten kann, um diese Version Abou-Chakers zu bestätigen. Für den Prozess sind noch neun weitere Verhandlungstage bis in den Oktober hinein angesetzt.