Berlin. Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) will den Platz auf den Straßen neu aufteilen – nun gibt es die ersten Folgen.
Eigentlich sollte der Radweg an der Ollenhauerstraße in Reinickendorf am vergangenen Mittwoch offiziell eröffnet werden – die Planungen gehen bis ins Jahr 2016 zurück. Die Spur ist seit Monaten fertig markiert, es fehlte nur die amtliche Freigabe. Doch nichts in dieser Richtung ist passiert, die Radweg-Schilder sind noch immer in die falsche Richtung gedreht. Und seit Montag sind die weißen Radwegmarkierungen und Fahrradsymbole, die dort seit Monaten aufgemalt sind, sogar gelb durchgestrichen.
Vergangene Woche hatte die Verwaltung von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) in einer Mail an die Bezirke angekündigt: „Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen.“ Derzeit werde an den Kriterien gearbeitet. Solange werde es keine Stellungnahmen, Prüfungen oder Anhörungen von Radwegprojekten geben. Man bitte darum, angeordnete Projekte auszusetzen, wenn sie den Wegfall von mindestens einem Parkplatz oder Fahrstreifen zur Folge hätten. Für Reinickendorf sind die Waldstraße und die Markstraße in dem Verwaltungsschreiben genannt.
In ganz Berlin stehen bis zu 18 Fahrradstrecken zur Disposition
Es sind nicht die einzigen Radwege. Berlinweit sollen bis zu 18 Strecken auf der Kippe stehen. Pankows Stadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) empfiehlt Radfahrern, auf die Kollwitz-, Senefelder- und Dunkerstraße auszuweichen, dabei war eigentlich geplant, die stark genutzte Schönhauser Allee zwischen den Kreuzungen Eberswalder/Danziger sowie Gleim-/Stargarder Straße auf beiden Seiten mit Radfahrstreifen auszustatten. Dafür müssten 150 Autostellplätze wegfallen. Die Arbeiten auf dem 720 Meter langen Abschnitt sollten Mitte dieses Jahres beginnen.
Und auch in der Beusselstraße (Mitte) und in der Hermannstraße in Neukölln stehen Radwege zur Disposition. In den nächsten Wochen soll der Radweg in der Boelckestraße in der sogenannten Gartenstadt Neu-Tempelhof angelegt werden. „Eine Firma konnte bereits gebunden werden“, teilte Bezirksverkehrsstadträtin Saskia Ellenbeck mit. Ob die Planungen nun noch einmal angepasst werden oder der Radweg gar wegfällt, konnten weder Senatsmobilitätsverwaltung noch Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg beantworten.
Nach Bekanntwerden der Pläne von Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner ging man im Bezirksamt zunächst davon aus, dass die geplanten Radwege in der Hauptstraße und der Grunewaldstraße in Schöneberg potenziell betroffen sein könnten.
Wussten Bezirkspolitiker der CDU im Vorfeld Bescheid?

Es herrscht eine gewisse Verunsicherung. Aber wussten vor allem Bezirkspolitiker der CDU über parteiinterne Kanäle bereits im Vorfeld von diesem Plan und haben deshalb den Radstreifen gar nicht erst eröffnet? Die parteilose Bezirksverordnete Kai Bartosch glaubt, dass es so ist. Sie hatte in der BVV zeitlich parallel zur geplanten Radweg-Eröffnung eine mündliche Frage zur Ollenhauerstraße.
Doch aufgrund des überschrittenen Zeitlimits kam ihre Frage nicht mehr an die Reihe. Zuvor hatten zwei CDU-Stadträte ungewöhnlich ausführlich und lange auf Fragen geantwortet. „Dass hinter dieser Verschleppung Kalkül stand, ist ein Gedanke, der sich nicht nur mir aufdrängte“, sagt Bartosch. Ihre Vermutung: „Sollte verhindert werden, dass die Stadträtin (Julia Schrod-Thiel, CDU) im Rahmen der Beantwortung meiner Frage den Stopp oder sogar Rückbau der Radverkehrsanlagen verkünden muss?“
Radweg ist Chefinnensache
Auf Reinickendorfer Fluren heißt es, dass die Initiative zur Nicht-Freigabe der Ollenhauerstraße nicht auf den Senat sondern direkt auf Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) zurückgeht. Angeblich solle der fertiggestellte Radstreifen nun sogar wirklich wieder zurückgebaut werden.
Die Reinickendorfer Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel antwortet auf Morgenpost-Anfrage nur: „Ich bitte um Verständnis, dass wir zunächst erst einmal hier in die interne Prüfung und in Absprachen mit der zuständigen Senatsverwaltung gehen müssen, um aussagefähig zu sein.“ Und auch die Verkehrsverwaltung antwortet nur mit der Standard-Antwort „Zu einzelnen Projekten können wir zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Angaben machen.“

Der Radfahraktivist Matthias Adelhoefer von Changing Cities ist „entsetzt über diese Rückschrittspolitik“. Aber er glaubt, nicht, dass die Verkehrspolitik in Berlin so einfach eine 180-Grad-Wende in Richtung Auto hinlegen könne. „In den Innenstadtbezirken ganz sicher nicht – da stimmen die Bürger mit den Fahrradreifen ab. Aber es ist eine verschenkte Chance und es wird zu vielen Konflikten führen.“ Und nicht nur das, Adelhoefer ist sich sicher, dass es zu verletzten Radfahrern führt. „Und hoffentlich nicht zu Toten.“ Peggy Hochstätter von der SPD in Friedrichshain-Kreuzberg hat bereits eine Resolution gegen die Verkehrspolitik von Senatorin Schreiner gestartet. CDU und SPD hingegen wollen nicht über den umstrittenen Ausbaustopp der Radwege sprechen. Eine von Grünen und Linken beantragte Sondersitzung des Mobilitätsausschusses findet nicht statt, teilte das Ausschussbüro den Antragstellern am Dienstag mit.
Changing Cities lädt am 1. Juli zur Demonstration für mehr Sicherheit im Radverkehr und am 8. Juli zur Rundfahrt mit menschlichen Pollern auf der Ollenhauerstraße.
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