Gesundheitswesen

„Ein Verbot der Leiharbeit ist keine gute Idee“

| Lesedauer: 4 Minuten
Joachim Fahrun
Mia Krause (links) ist Leasingkraft bei Medwing, Nicole Quackratz hat über die Plattform einen neuen festen Job gefunden. Beide sind als so genannte "Kandidatinnen" bei Medwing registriert.

Mia Krause (links) ist Leasingkraft bei Medwing, Nicole Quackratz hat über die Plattform einen neuen festen Job gefunden. Beide sind als so genannte "Kandidatinnen" bei Medwing registriert.

Foto: MEDWING GmbH, 2019 / Medwing

Der große Erfolg des Berliner Med-Tech-Unternehmens Medwing macht die Ausmaße des Pflegenotstands deutlich.

Berlin.  Die Leiharbeit in der Pflege in Krankenhäusern und Altenheimen ist vielen in der Branche ein Dorn im Auge. In Kliniken fordern viele ein Verbot von Leasingkräften. Die Berliner Krankenhausgesellschaft will wenigstens die Zusammenarbeit mit einem Vertrag regeln, um Auswüchse wie zu hohe Honorare oder unqualifizierte Leasing-Beschäftigte abzuschaffen. In Berlin ist der Anteil der Leasingkräfte an allen Pflegenden mit rund sieben Prozent deutlich höher als im bundesweiten Durchschnitt. Es gibt Wissenschaftler und Klinik-Manager, die deshalb die Qualität der Versorgung gefährdet sehen.

Johannes Roggendorf versichert, nichts gegen eine strengere Regulierung der boomenden Branche zu haben, die sich auch als Reaktion auf den Mangel an Pflegekräften und die harten Arbeitsbedingungen in vielen Häusern stark entwickelt hat. Er ist Gründer und Chef des sehr erfolgreichen Berliner Med-Tech-Unternehmens Medwing. Es vermittelt Gesundheits-Profis in feste Jobs oder als Leasing-Kräfte und betreibt zudem Deutschlands größten digitalen Marktplatz, wo Menschen aus Gesundheitsberufen mit Arbeitgebern zusammenkommen.

Jedes Krankenhaus sei auf Leasingkräfte angewiesen, darum dürfe es kein Verbot geben

Ein Verbot der Leiharbeit in der Pflege hält er für keine gute Idee. Jedes Haus sei darauf angewiesen, bei kurzfristigen Personalausfällen flexibel Kräfte heranziehen zu können. Es gehe darum, mehr Pflegeprofis in den Beruf zurückzuholen oder es ihnen zu ermöglichen, nach eigenen Wünschen ihre Teilzeitarbeit auszuweiten.

Investoren glauben an die Idee, gerade hat Roggendorfs Firma in einer neuen Finanzierungsrunde 44 Millionen Euro eingesammelt. Mit dem frischen Geld soll die Expansion und Deutschland und England vorangehen.

Auf der Plattform von Medwing sind eine halbe Million Gesundheitsprofis registriert

„Unser Ziel die größte Vermittlungsplattform im Gesundheitswesen zu werden“, sagt Roggendorf. Und bezieht das nicht nur auf Deutschland, sondern mittelfristig auf die ganze Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass es auf dem Globus demnächst 18 Millionen offene Stellen im Gesundheitswesen geben werde.

550.000 so genannte „Kandidaten“ sind bei Medwing registriert. Das sind mehr, als bisher vermittelt werden können. Denn die 2017 gegründete Firma ist bisher neben Berlin nur in München, Hamburg und in Nordrhein-Westfalen sowie in London aktiv. Jeder zehnte Kandidat kommt laut Medwing aus Berlin, darunter sind 31.000 Kranken- und Altenpflegekräfte. Sie werden über allerlei Angebote der Firma an die Community bei der Stange gehalten.

Alle großen Berliner Kliniken lassen sich von Medwing Leiharbeitskräfte vermitteln

Alle großen Berliner Kliniken arbeiten mit Medwings Vermittlungsplattform zusammen und buchen darüber ihre Leasingkräfte, im Durchschnitt für drei Tage, manchmal aber auch nur für eine Schicht oder auch für einen mehrere Monate langen Dauereinsatz. Dabei gehe es keineswegs nur um „Rosinenschichten“ an Wochentagen, wie Kritiker den Leasing-Kräften gerne vorhalten. „Der Anteil der gebuchten Nachtschichten ist höher als der der Tagschichten“, sagt Gründer Roggendorf: „Das geht nicht auf Kosten der Stammbelegschaft.“

Nicole Quackatz bestätigt das. Sie hat über Medwing ihren neuen festen Job gefunden. Durch die Hilfe der Karriereberater gelang es ihr sogar, einen besseren Job als pflegerische Leitung in der Rettungsstelle der Parkklinik Weißensee zu bekommen. In dieser Funktion bucht sie nun selber Zeitarbeiter: „Wir könnten nicht ohne Leasingkräfte“, sagt Quackatz. Man müsse sich rechtzeitig kümmern, weil gute Kräfte vor allem für Operationssäle, Anästhesie oder Intensivstationen oft langfristig gebucht würden.

Finanziell macht es keinen großen Unterschied, ob Leute fest oder als Leihkräfte arbeiten

Mia Krause ist bei Medwing angestellt und wird als Leasingkraft verliehen. Derzeit ist sie in einem Dauereinsatz in der Psychiatrie des Auguste-Viktoria-Krankenhauses von Vivantes. Sie sei in die Zeitarbeit gegangen, weil sie zwei kleine Kinder habe und nur noch maximal ein Wochenende im Monat arbeiten wollte. Zudem wolle sie zu Weihnachten frei haben, weil um das Fest auch noch zwei familiäre Geburtstage lägen. Für Medwing ist es kein Problem, solche Wünsche zu berücksichtigen.

Früher habe sie bisweilen täglich den Einsatzort gewechselt. Das sei spannend und lehrreich, aber auch hart gewesen. Anfeindungen von fest angestellten Kolleginnen und Kollegen habe sie nie erlebt, berichtet Krause. Nicht jeder wolle im Leasing arbeiten, denn auch eine Festanstellung habe ihre Vorteile. Zumal es finanziell für sie kaum einen Unterschied mache, ob sie nun fest an einem Haus arbeite oder über Leasing einspringe.