Berlin. Ab Dienstag ruft die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW) tarifbeschäftigte Lehrkräfte, Sozialpädagogen und Schulpsychologen erstmals zu einem dreitägigen Warnstreik auf - ähnliche Arbeitsniederlegungen in der Vergangenheit dauerten bislang einen oder zuletzt zwei Tage. Ziel ist der Abschluss eines Tarifvertrags zum Gesundheitsschutz, in dem die Klassengröße an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen verbindlich geregelt wird.
Bereits seit Juni 2021 fordert die GEW Berlin den „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ und ruft seither immer wieder zu Warnstreiks auf, um ihr Anliegen zu bekräftigen. Es ist bereits der 14. Warnstreik. „Mit einem Tarifvertrag hätten wir ein wirksames Instrument für eine nachhaltige Verbesserung der Personalsituation“, erklärte der GEW-Landesvorsitzende Tom Erdmann. Aktuell liegt die Klassengröße in Grundschulen bei maximal 26 Kindern. Die GEW fordert, sie auf 19 zu begrenzen.
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Senat lehnt Forderungen der GEW ab
Der neue schwarz-rote Senat sieht ebenso wie der alte rot-grün-rote keine Möglichkeit für die von der Gewerkschaft GEW geforderte tarifliche Regelung. Er verweist auf den aktuellen Lehrermangel und darauf, dass Berlin – wie alle anderen Bundesländer außer Hessen – der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) angehört. Ohne deren Zustimmung könne Berlin keine Tarifverhandlungen über die Klassengröße aufnehmen, und die TdL lehne solche Verhandlungen ab. Ein Berliner Alleingang sei nicht möglich, ohne den Rausschmiss aus der TdL zu riskieren.
Lehrer-Streik konnte nicht abgewendet werden
Trotzdem versuchten Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und Finanzsenator Stefan Evers (CDU) noch in der vergangenen Woche, den Streik abzuwenden. Sie luden die GEW-Landeschefs Tom Erdmann und Martina Regulin zum Gespräch ein. Das sei zwar „nett und konstruktiv gewesen“, so Regulin. Doch eine Aussicht auf die geforderten Tarifverhandlungen habe es leider nicht gegeben. Deshalb habe man sich entschieden, am Streik festzuhalten.
Das Argument des Senats, dass ein Sondertarifvertrag für Lehrer nicht möglich sei, lässt die GEW nicht gelten. „Das ist nicht schlüssig“, sagte Geschäftsführer Markus Hanisch. „Das Land Berlin kann handeln und hat das an anderer Stelle auch schon getan“, sagte er und verwies auf die sogenannte Berlin-Zulage, die Beschäftigte im Landesdienst bekommen.
Unterricht und Prüfungen fallen aus
Für den Schulbetrieb hat der Warnstreik Folgen. Wie heftig sie sind, hängt nicht zuletzt von der Streikbeteiligung ab. In Berlin gibt es rund 34.000 Lehrerinnen und Lehrer. Viele davon sind Angestellte und dürfen – anders als Beamte – streiken. An den bisherigen Warnstreiks beteiligten sich laut GEW zuletzt jeweils zwischen 2500 und 4000 Lehrkräfte. Von Dienstag bis Donnerstag rechnet Hanisch mit ähnlicher Resonanz.
In der Bildungsverwaltung geht man dennoch davon aus, dass der Unterricht weitgehend stattfinden werde und es „gegebenenfalls eine Notbetreuung der Schülerinnen und Schüler gibt“, sagte ein Sprecher. Andere Schulen baten die Eltern hingegen, ihr Kind nach Möglichkeit zu Hause zu behalten, damit die anwesenden Kollegen nicht zu stark belastet würden. Eine Grundschule in Friedrichshain teilte den Eltern mit: „Sollte Ihr Kind an diesen drei Tagen zu Hause bleiben, werden diese nicht als Fehltage gewertet.“
Kritik am Termin des Warnstreiks
Der Landesschülerausschuss unterstützt das Anliegen des Warnstreiks. „Es ist richtig, dass für gute Bildung auch gestreikt wird“, sagte Sprecher Paul Seidel. „Die Lehrkräfte machen das nicht nur für sich, sondern auch für die Schülerinnen und Schüler.“ Für Kritik bei den Schülervertretern sorge allerdings, dass die GEW zu dem Ausstand in der Prüfungszeit aufruft. „Wir finden problematisch, dass der Warnstreik an Prüfungstagen stattfindet. Das ist unsolidarisch“, sagte Seidel. Für Schülerinnen und Schüler sei es schwierig, wenn mündliche Abiturprüfungen verschoben oder von anderen Lehrkräften als geplant abgenommen würden.
Hierzu erklärte die GEW, sie habe bei der Ansetzung des Warnstreiks versucht, möglichst wenige zentrale Prüfungstermine zu beeinträchtigen. „Das ist uns mit Ausnahme zweier Nachschreibetermine in Biologie und Chemie auch gelungen“, hieß es in einer Erklärung. Allerdings seien in dieser Jahreszeit an fast jedem Tag Prüfungen. Dezentrale Prüfungstermine ließen sich verschieben.
Eltern stehen hinter den Forderungen
Hinter die GEW-Forderungen stellte sich auch der Landeselternausschuss. „Wir sehen im Moment keinen anderen Weg“, sagte der Vorsitzende Norman Heise. „Die Politik hat das Thema verschlafen.“ Aus Sicht Heises hätte sie längst das Schulgesetz ändern oder andere Regelungen für kleinere Klassen finden können. Auch die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus unterstützte die Forderung nach kleineren Klassen. „Uns ist zugleich bewusst, dass dieses Vorhaben unter den aktuellen Bedingungen des Lehrkräfte- und Schulplatzmangels nicht sofort umsetzbar ist“, erklärte die Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch. Gleichwohl arbeiteten viele Lehrkräfte an der Belastungsgrenze und brauchten rasch konkrete Entlastung.
Nach Angaben der GEW ist der Streik am Dienstag „dezentral organisiert“, es finden in allen Berliner Bezirken Streikversammlungen statt. Die zentrale Demonstration soll es am Mittwoch, 7. Juni, geben. Sie wird voraussichtlich von der Senatsbildungsverwaltung in Mitte zum Roten Rathaus führen. Los geht es um 10 Uhr. Am Donnerstag, 8. Juni, ist eine zentrale Streikversammlung im Freiluft-Amphitheater im Mauerpark geplant.