Einwanderung

27.000 Berliner warten auf einen deutschen Pass

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Joachim Fahrun und Jens Anker
Mit der Einbürgerung ist der Prozess der Integration ab geschlossen. Oft wird bei Einbürgerungszeremonien das Grundgesetz verteilt.

Mit der Einbürgerung ist der Prozess der Integration ab geschlossen. Oft wird bei Einbürgerungszeremonien das Grundgesetz verteilt.

Foto: Julian Stratenschulte / picture alliance / dpa

Der Antragsstau ist über die Jahre stark gewachsen, die Bearbeitung dauert bis zu drei Jahren. Nun wird Einbürgerung zentralisiert.

Berlin. Wer als Ausländer in Berlin lebt, sich in Deutschland einbürgern lassen möchte und in Pankow wohnt, hat Pech. Mehr als zwei Jahre dauert es dort, bis der Schritt zum deutschen Pass erfolgreich gegangen ist. In anderen Bezirken ist die Lage ähnlich.

Im Durchschnitt warten Einbürgerungswillige in Berlin 2,4 Jahre auf die Staatsbürgerschaft. Weil die Zahl der Anträge von gut 9000 im Jahr 2010 auf 17.600 im Jahr 2022 gestiegen ist, hat sich ein beträchtlicher Berg unbearbeiteter Vorgänge aufgetürmt. Ende vergangenen Jahres waren fast 27.000 Anträge nicht abgearbeitet.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) setzt nun mit dem neuen Koalitionspartner CDU den Weg fort, den schon der rot-grün-rote Vorgängersenat beschritten hat. Die Einbürgerung wird in Berlin zentralisiert. Ab 2024 soll eine Außenstelle des Landesamtes für Einwanderung (LEA) diese Aufgabe übernehmen und deutlich schneller werden.

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Einbürgerung: Es geht vor allem um Menschen, die schon lange in Berlin leben

Ihr gehe es vor allem um die vielen Menschen in der türkischstämmigen Community, die zum Teil seit Jahrzehnten in der Stadt leben. „Wir wollen deutlich mehr Menschen einbürgern, die schon lange darauf warten“, sagte Spranger. Statt zuletzt nur 8000 sollen künftig pro Jahr mindestens 20.000 Menschen in Berlin die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.

Bisher gehen die Bezirksämter sehr unterschiedlich mit dem Begehren der Einbürgerungswilligen um. Viele besetzten freie Stellen nicht nach oder stellten von vorneherein zu wenige Ressourcen bereit. So seien in Steglitz-Zehendorf von vier Stellen im Einbürgerungsamt zwei vakant, in Reinickendorf drei von achteinhalb Stellen. Mitte leistet sich für diese Aufgabe 25 Beschäftigte, vier Stellen sind aber nicht besetzt. Seit hier personell aufgerüstet wurde, warten Antragsteller maximal sechs Monate.

Insgesamt haben die Bezirke 90 Stellen für Einbürgerung, 12,5 davon sind unbesetzt.

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Neue zentrales Einbürgerungsamt entsteht in Wedding

Spranger will ab dem kommenden Jahr rund 200 Beschäftigte in einem angemieteten Gebäude an der Sellerstraße 16 in Wedding zusammen ziehen. Die 90 Stellen aus den Bezirksämtern wandern mit auf die Landesebene, hin zu kommen 120 neu zu besetzende Positionen. Aus den Bezirken hätten 40 Mitarbeitende ihre Bereitschaft zum Wechsel erklärt.

Dass die Innenverwaltung Mitarbeiter unlauter abgeworben habe, ist ein Vorwurf aus manchen Bezirken. Aus Sicht der Bezirke hat sich die Situation in den Einbürgerungsämtern noch verschärft. Da mehrere Mitarbeiter sich vor dem Hintergrund des Wechsels der Zuständigkeit bereits auf andere Stellen beworben haben, oder in das neue Einbürgerungsamt wechseln, stehen noch weniger Mitarbeiter für die Bearbeitung der Anträge zur Verfügung.

„Wir befinden uns in einer schwierigen, misslichen Lage“, sagte Pankows Stadtrat für Bürgerdienste, Cornelius Bechtler. „Das Kind ist in den Brunnen gefallen und lässt sich nicht mehr retten.“

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Bezirke melden Kapitulation der eigenen Einbürgerungsämter

In seinem Bezirk seien nur noch drei Mitarbeiter mit Einbürgerungsfragen befasst, die vollkommen überfordert seien. „Sie haben inhaltlich kapituliert und versuchen nur, bis zum Ende des Jahres durchzuhalten.“Das Problem ist allerdings hausgemacht. Der Bearbeitungsstau hat sich bereits in früheren Jahren angehäuft. In Pankow waren 2016 noch 779 Anträge unbeantwortet, drei Jahre später waren es bereits doppelt so viel, im vergangenen Jahr betrug der Antragsstau 2922 Anträge.

Mehrere Bezirke, darunter auch Spandau, haben die Bearbeitung neuer Fälle seit dem 1. Januar dieses Jahres komplett eingestellt. Die Bezirke klagen darüber, von der Innenverwaltung nicht ausreichend über den Fahrplan der Einrichtung des neuen Landesamtes informiert worden zu sein. Aus dem Hause Spranger hieß es, Anträge könnten weiter abgegeben werden, zuerst würden aber die schon länger vorliegenden Fälle bearbeitet.

Im Landeseinwohneramt sollen die Verfahren effektiver digital geführt werden

Spranger verwies darauf, dass die Bezirke im März im Rat der Bürgermeister dem Konzept des Senats zugestimmt hätten. Dass es für den Übergang weitere Verzögerungen geben könne, räumt die Senatorin ein. Aber durch eine Digitalisierung der Prozesse und eine Verzahnung mit dem Landeseinwohneramt, das die meisten Daten der Einbürgerungs-Kandidaten ohnehin vorliegen habe, werde es mittelfristig deutlich schneller gehen.

Die Rede ist von drei bis sechs Monaten Wartezeit, die sich auch daraus ergeben, als wegen Sicherheitsabfragen und der Prüfung, ob ein Kandidat seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft sichern kann, auch Zulieferungen anderer Behörden nötig seien. Das LEA sei aber in der Digitalisierung ziemlich weit, habe in einem dreiviertel Jahr digital Aufenthaltstitel für 51.000 Ukrainer ausgestellt.

Mit den genannten 20.000 Einbürgerungen pro Jahr wären die 200 LEA-Beschäftigten aber kaum effizienter als bisher die Bezirke. Jeder müsste demnach 100 Anträge im Jahr schaffen, bisher sind es knapp 90 pro Mitarbeiter. Insgeheim rechnet Spranger aber mit schnelleren Verfahren. In Hamburg, heißt es aus ihrem Haus, schaffe die zentrale Einbürgerungsbehörde pro Kopf zwei- bis dreimal so viele Anträge zu bearbeiten.

250.000 Ausländer in Berlin erfüllen Voraussetzungen für deutschen Pass

Ein solches Tempo dürfte auch nötig sein. Denn die Experten rechnen mit einer steigenden Zahl von Anträgen über die zuletzt 17.000 pro Jahr hinaus. von den 800.000 Berlinerinnen und Berlinern ohne deutschen Pass erfüllen nach Schätzungen der Innenverwaltung bis zu 250.000 die Voraussetzungen, um Deutsche zu werden. Unter anderem müssen sich sich bisher acht Jahre legal im Land aufhalten, Sprachkenntnisse besitzen, weitgehend straffrei durchs Leben gekommen sein und eigenes Geld verdienen.

Die Ampel-Koalition im Bund plant Erleichterungen, so sollen künftig fünf Jahre Aufenthalt reichen. Auch sollen doppelte Staatsangehörigkeiten eher toleriert werden. Außerdem bekommen viele Geflüchtete aus den Jahren 2015/16 nun die Gelegenheit, Deutsche zu werden.

Unter den Einbürgerungswilligen liegen Syrer inzwischen auf Platz zwei hinter den Türken, dahinter folgen Iraner und Polen. „Mit der zentralen Einbürgerung im Landesamt für Einwanderung wird ein wichtiger Schritt zur Integration und Partizipation gegangen“, sagte Spranger.