Sexuelle Gewalt

Neue Missbrauchsfälle beim Erzbistum Berlin

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Sexualisierte Gewalt: Das Erzbistum arbeitet Fälle aus Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf auf.

Sexualisierte Gewalt: Das Erzbistum arbeitet Fälle aus Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf auf.

Foto: Lein / dpa

Geplanter und gemeinsamer Missbrauch durch Priester und Ordensschwestern – das Erzbistum Berlin sucht weitere Betroffene und Zeugen.

Sie planten ihre Taten gemeinsam und führten sie mutmaßlich auch gemeinsam aus: Durch weitere Aussagen Betroffener von sexualisierter Gewalt geht das Erzbistum Berlin davon aus, dass in den 1960er-Jahren Priester und Ordensschwestern in Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf gemeinsam sexuellen Missbrauch an Kindern geplant und durchgeführt haben. Es bestehe mutmaßlich ein Zusammenhang zwischen bereits veröffentlichten Fällen. „Die Beschuldigten kannten sich untereinander und vernetzten sich“, heißt es in einer am Freitag vom Erzbistum Berlin veröffentlichten Mitteilung. „Beteiligt waren neben Priestern des Erzbistums Berlin Schwestern der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau und der Schwestern von der heiligen Elisabeth (graue Schwestern). Sie traten gegenüber den Kindern als Gruppe auf.“

Die Vorwürfe seien auf ihre Plausibilität geprüft und der zuständigen Staatsanwaltschaft gemeldet worden. Die Beschuldigten seien auch identifiziert, heißt es in der Mitteilung. „Sie sind verstorben beziehungsweise hochbetagt. Die noch lebenden werden oder wurden mit den Vorwürfen konfrontiert.“ Bislang sind laut Erzbistum sechs Priester und sechs Ordensschwestern identifiziert.

Weitere Betroffene sowie Zeugen werden gebeten, sich zu melden

Das Erzbistum Berlin arbeitet seit einigen Jahren Fälle sexualisierter Gewalt in seinem Verantwortungsbereich auf. Nach der Veröffentlichung des Gutachtens „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich des Erzbistums Berlin seit 1946“ habe es Veranstaltungen in einzelnen Pfarrgemeinden gegeben. Dadurch und durch die Aussagen Betroffener sei ein Zusammenhang zwischen den Gutachtenfällen Nr. 21, 26 und 27 erkannt worden.

Das Erzbistum würdige den Mut der Betroffenen, sich ihren schmerzlichen Erinnerungen zu öffnen und sie zu bezeugen, so Stefan Förner, Sprecher des Erzbistums Berlin. Gleichzeitig bitte man weitere Betroffene sowie Zeugen für diesen planvollen Missbrauch, sich bei den jeweiligen Ansprechpersonen für sexuellen Missbrauch oder bei der Interventionsbeauftragten des Erzbistums zu melden.

Staatsanwaltschaft: Verfahren wurden eröffnet

Erst im März hatte das Erzbistum 13 neue Vorwürfe gegen Kleriker, Ordensangehörige oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vermeldet. Fünf davon bezogen sich auf aktuelle Sachverhalte, ein Sachverhalt lag sechs Jahre zurück, die übrigen mehr als 20 Jahre. Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage, dass das Erzbischöfliche Ordinariat in Berlin im Oktober 2022 eine sogenannte Sachverhaltsanzeige gestellt habe. Darin sei mitgeteilt worden, dass ein Betroffener, ein ehemaliger Schüler an der Katholischen Schule St. Ludwig in Wilmersdorf, begangene Straftaten bis Mitte der 1960er-Jahre gegenüber der Missbrauchsbeauftragten des Ordinariats geschildert habe.

In einem beigefügten Schreiben vom 3. Juni 2022 und in Gesprächen, die daraufhin mit der Missbrauchsbeauftragten stattfanden, habe er mehrere Ordensträger, Lehrer und Schwestern beschuldigt, Missbrauchshandlungen und Vergewaltigungen an Grundschülerinnen und Grundschülern begangen zu haben. Auf ihm dabei vorgelegten Fotos habe er mögliche Täter identifiziert, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft. Daraufhin sei auch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, das jedoch eingestellt wurde, da die geschilderten Straftaten in jedem Fall verjährt waren. In der Anzeige des Ordinariats werde zudem auf weitere Vorkommnisse Bezug genommen, die der Staatsanwaltschaft schon früher zur Kenntnis gegeben wurden. Zumindest eines dieser Verfahren sei bei den neuen Meldungen auch identifiziert worden – es sei jedoch mittlerweile ebenfalls eingestellt, weil der Beschuldigte verstorben sei.

Am Beginn der Aufarbeitung systematischer und seit Jahrzehnten vertuschter Fälle sexualisierter Gewalt stand in Berlin die Aufdeckung des Missbrauchs-Skandals am katholischen Canisius-Kolleg im Jahr 2010.