Berlin. Nach dem Femizid von Pankow fördert der Senat ein psycho-soziales Hilfsprojekt, das sich nicht nur an aggressive Männer wendet.
Der gewalttätige Mann war behördlich von seiner Frau getrennt. Aber auch dieses Eingreifen hat der 31 Jahre alten Afghanin Zhora Gul nicht geholfen. Vor knapp einem Jahr wurde die Mutter von sechs Kindern mitten auf der Straße in Pankow von ihrem Mann erstochen. Er wisse nicht, ob sich diese Tat hätte vermeiden lassen, sagt Lothar Dunkel, Psychologe bei der Hilfsorganisation Ipso. Aber grundsätzlich sei es möglich, solche Vorfälle zu verhindern, in dem Fachleute rechtzeitig Kontakt aufnehmen und ihnen Hilfe anbieten.
Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) und das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) haben als Reaktion auf diesen und einen weiteren Femizid begonnen, speziell in Arbeit mit Männern zu investieren. In den Unterkünften des LAF mit 32.000 Bewohnern ist häusliche Gewalt im Alltag präsent. Jeden Monat werden in sieben bis acht Fällen Männer von ihren Familien getrennt, um sie von weiteren Schlägen und andere Gewalttaten abzuhalten.
Die Hilfsorganisation Ipso kümmert sich um die psychosoziale Lage von Geflüchteten
Ipso hatte schon zuvor begonnen, Frauen und Männer aus den wichtigsten Herkunftsstaaten zu sogenannten psycho-sozialen Counsellors (Beratern) auszubilden. Mit 125.000 Euro im Jahr wird seit September das „Gentle Projekt“ hochfahren. Der englische Begriff für „sanft, sacht oder behutsam“ wird genutzt, weil kaum jemand das Stigma auf sich sitzen lassen möchte, in einem „Antigewalt-Projekt“ dabei zu sein.
Die Counsellers berichteten am Montag von den Effekten ihrer Arbeit und wie die Menschen es nach anfänglichen Widerständen zu schätzen wüssten, wenn ihnen jemand zuhöre und helfe, ihre inneren Konflikte zu überwinden. Die Gespräche laufen in den Muttersprachen, vor allem Arabisch und Farsi. Gerade Männer hätten mit der Migration ihre klassische Rolle als Ernährer der Familie eingebüßt und ein Stückweit die Kontrolle verloren, sagte Ahmad Chahabi. Viele kanalisierten ihre Hilflosigkeit in Wut. In Einzelgesprächen und acht Gruppensitzungen würden sich viele über die Mechanismen klar. Die meisten Teilnehmer kämen über Empfehlung, einzelne würden auch von Sozialarbeitern zu Ipso geschickt.
Viele Geflüchtete setzen ihre Kinder stark unter Druck, in Deutschland erfolgreich zu sein
„Dir bleibt die Vaterrolle, rede mit deinen Kindern“, laute häufig der Rat, so der Palästinenser, der die gleiche Fluchtgeschichte durchgemacht hat wie die meisten seiner Klienten. Gerade Familien mit hohem Bildungsabschluss setzten ihre Kinder stark unter Druck, damit sie in Deutschland jenes Leben führen könnten, was den eingewanderten Eltern oft verwehrt bleibt.
Die Psychologin Mina Orang erzählte von einem Paar, dass behördlich getrennt wurde. Nach einem halben Jahr hatte sich an deren Lage nichts geändert, weil niemand mit den beiden gearbeitet und die Konflikte aufgelöst habe. „Wir füllen hier die Lücke“, sagte Orang, die selber aus dem Iran zum Studium nach Deutschland kam, sich inzwischen wegen der Lage in der Heimat als Flüchtling empfindet. Die scheidende Sozialsenatorin Kipping hatte vor, das Projekt schrittweise auszuweiten. „Was Ipso anbietet, ist nachhaltiger und effektiver als es jeder Law-and-Order-Ansatz sein kann“, warb Kipping bei ihren Nachfolgern für eine Fortsetzung des Projekts.