Berlin. Nach Martin Luther, Karl Marx und Richard Wagner oder Johann Wolfgang von Goethe sind in Anerkennung ihrer Verdienste bundesweit wie in Berlin unzählige Straßen benannt. Was jahrzehntelang kaum hinterfragt wurde, wird seit ein paar Jahren zumindest diskutiert. Denn auch in Berlin sind unzählige Straßen nach historischen Persönlichkeiten benannt, die nicht nur schrieben, komponierten oder philosophierten, sondern heute als Antisemiten gelten, sich antisemitisch äußerten oder entsprechende Ressentiments vertraten.
Eineinhalb Jahre, nachdem der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn, ein Dossier vorgelegt hatte, wurden nun die ersten beiden Straßen umbenannt. Der Maerckerweg in Lankwitz und der Elkartweg in Haselhorst heißen seit Februar Maria-Rimkus- und Erna-Koschwitz-Weg, wie Salzborn am Mittwoch sagte.
Generalmajor Georg Maercker (1865-1924) war Mitglied des antisemitischem Stahlhelm und in die Kolonialverbrechen der Reichswehr verstrickt, Karl Elkart (1880-1959) trat 1933 in die SS ein und als Hannoveraner Stadtbaurat maßgeblich für die „Arisierung“ jüdischen Vermögens verantwortlich.
Umbenennung von zwei weiteren Straßen in Buch und Steglitz beschlossen
In zwei weiteren Fällen ist die Umbenennung bereits beschlossen, jedoch noch nicht vollzogen. Welche Namen die Treitschkestraße in Steglitz und die Robert-Rössle-Straße in Buch künftig tragen sollen, war laut Salzborn jedoch unklar.
Bei Heinrich Gotthard von Treitschke (1834-1896) habe es sich um „einen der exponiertesten Fälle von Antisemitismus“ und eine klar „antisemitische Persönlichkeit gehandelt“, sagte Salzborn. Auf den Historiker, Staatswissenschaftler und Publizisten gehe unter anderem der Satz „Juden sind unser Unglück“ zurück.
Der Pathologe Robert Rössle (1876-1956) hingegen galt zwar nicht als Antisemit, soll während der NS-Zeit jedoch mittelbar an Menschenversuchen beteiligt gewesen sein. Für die Umbenennungen selbst sind die Bezirksverordnetenversammlungen zuständig.
Dossier listet 290 Straßen auf und empfiehlt bei rund 100 die Umbenennung
Das Dossier listet insgesamt 290 der mehr als 10.000 Berliner Straßen auf. Zur Friedrichstraße etwa heißt es: „Benannt nach Friedrich I., König von Preußen. Zielte mit seiner Politik auf Begrenzung und Ausbeutung von Juden.“ Empfohlen wird eine Kontextualisierung. Damit sind zusätzliche Informationen über den Namensgeber etwa in digitalen Straßenverzeichnissen oder auf einer Tafel vor Ort gemeint.
Neben weiterer Forschung wird in 100 Fällen auch die Umbenennung angeregt – etwa in denen der Straßen und Plätze, die nach Richard Wagner (1813-1883) und Martin Luther (1483-1546) benannt sind. An Luther zeigt sich jedoch auch, wie schwierig diese Debatten sein können. Denn der Reformator gilt weltweit und weit über die evangelische Kirche hinaus als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte.
„Ich halte Luther eindeutig für antijüdisch und antisemitisch“, sagte Salzborn. Was jedoch aus Sicht des Antisemitismusforschers ein klarer „Problemfall“ sei, werde in anderen Kontexten anders bewertet. „Dass Christen einen anderen Blick darauf haben, halte ich auch für selbstverständlich.“
Evangelischer Bischof wirbt für Kontextualisierung bei Martin Luther
Grundsätzlich sei es einfacher andere als antisemitisch zu bezeichnen als Selbstkritik zu üben. Entsprechend positiv sei es daher, dass auch Berlins evangelischer Bischof Christian Stäblein dies im Falle Luthers anerkenne und dafür werbe, entsprechende Straßen zu kontextualisieren.
Die Vorlage des Dossiers vor zwei Jahren löste eine intensive und teils kontroverse Debatte aus. Dies war laut Salzborn seit Jahren überfällig und „verschlafen“ worden. „Eine systematische Auseinandersetzung ist notwendig, und das wird auch in der Stadtgesellschaft so gesehen.“ Es werde allerdings Zeit und Geduld brauchen. In etlichen Stadtteilen gebe es mittlerweile unterschiedlichste Initiativen, Parlamentsausschüsse, Expertenkommissionen.
In Dahlem ist an der Pacelliallee ein Geschichtslehrpfad geplant, der sich kritisch mit seinem Namensgeber auseinandersetzt. Als Papst Pius XII. schwieg Eugenio Pacelli (1876-1958) in der Zeit des Nationalsozialismus zum Holocaust, obwohl er davon gewusst haben soll. In der Berlin History App, einer Art digitaler Stadtführer, werde den fraglichen Straßennamen demnächst ein eigener Teil gewidmet.
Debatten um „Turnvater Jahn“ und Schriftsteller Wilhelm Hauff
In Neukölln setzt man sich bereits länger mit dem Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) auseinander. Nach dem „Turnvater“ ist in Britz eine Straße benannt und im Volkspark Hasenheide, wo Jahn einst seine Turnerbewegung begründete, steht ein übermannsgroßes Denkmal.
In Lichtenberg stellte wird hingegen ein Umgang mit der Hauffstraße und dem Dichter Wilhelm Hauff (1802-1827). Der schrieb nicht nur beliebte Märchen wie „Der Zwerg Nase“ oder „Schneeweißchen und Rosenrot“, sondern veröffentlichte im Jahr seines Todes auch die Novelle „Jud Süß“. Reinickendorf hingegen kündigte an, alle neuen Straßen auf dem ehemaligen Flughafen Tegel nach jüdischen Frauen benennen zu wollen.
Debatten über die Umbenennungen von Straßen würden in der Hauptstadt seit jeher geführt, sagte Urte Evert, Leiterin des Stadtgeschichtlichen Museums Spandau. Mit der Gründung von Groß-Berlin 1920 stellte sich vielerorts die Frage, wer etwa seine „Breite Straße“ behalten dürfte. Die Nationalsozialisten benannten ab 1933 viele Straßen um, weitere erfolgten nach 1945 und 1990.
Berliner Museen wollen sich dem Thema widmen
Umbenennungen würde keinesfalls in Geschichtsvergessenheit resultieren, so Evert weiter. „Wir debattieren die Geschichte ja genau jetzt und es gibt uns Museen.“ Das Spandauer und die Museen der anderen Bezirke würden sich dem Thema ab diesem Jahr in Ausstellungen widmen. Denkbar seien auch Wanderausstellungen zu Straßennamen, bei denen die Schilder mitgeführt werden.
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