Berlin. Vor der goldumrahmten Glasfront steht im Außenbereich ein Tisch mit vier Stühlen. Es regnet. Ein zusammengeklappter Sonnenschirm wartet auf schönere Tage. „Bei Mo“ steht in weißen Buchstaben über der Eingangstür. Daneben das Logo eines bekannten Bierherstellers. Für einen längeren Namen wäre wohl auch kein Platz gewesen. Durch die Fenster strahlt schummriges Licht und die beleuchtete Scheibe eines Dartautomaten. Wir betreten den Laden und zwei Frauen drehen ihre Köpfe gleichzeitig Richtung Eingang.
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Bei Mo ist eine der letzten verbliebenen Kneipen auf dem Kurfürstendamm. Unweit des Adenauerplatzes, der Gegend Westberlins mit den wohl teuersten Mieten. An den Wänden hängen Bilder amerikanischer und deutscher Filmstars. Die Deutschen sollen wirklich hier gewesen sein. Harald Juhnke, Horst Buchholz oder Frank Zander. Peter Alexander setzte sich manchmal an das Klavier. Das ist inzwischen verschwunden.
Wilmersdorfer Witwen, Loveparade und queere Community des Christopher-Street-Day
„Ich glaube, manchen wäre es lieb, wenn wir auch endlich verschwinden“, sagt Barfrau Nicole. Sie steht seit 22 Jahren im „Bei Mo“ hinter dem Tresen. Damals im Jahr 2001 war sie auf der Suche nach einem Aushilfsjob. „Es war die erste Kneipe in Berlin, die ich kennengelernt habe.“ Und es ist der Beginn einer Freundschaft. Zur Kneipe, zu den Gästen und dem Besitzerehepaar. Nachdem ihr alter Chef Mohammad 2006 verstirbt und dessen Frau den Laden übernimmt, wird aus der Aushilfe mehr und mehr das Gesicht des Ladens.
Nicole kennt sich gut aus, mit der Geschichte des Hauses. Nach dem Krieg soll hier die erste Schneiderei Westberlins wieder eröffnet haben. Irgendwann zieht die Gastronomie in das kleine Häuschen ein und lässt nicht mehr locker. Nicole kommt 1987 nach Berlin. Der Liebe wegen. „Der Kudamm lebte damals von seinen kleinen Boutiquen, Kneipen und Cafés mit Außenbereichen.“ Wilmersdorfer Witwen tanzen in den Discos. Später kommen die Raver der Loveparade, der Christopher-Street-Day führt über den Kudamm.
Vom Arbeitslosen bis zum Millionär
Aber der Kudamm wird mehr und mehr zur Luxusmeile. Kneipengänger, Raver und Queere zieht es in andere Bezirke. Zum Leidwesen des Mos. Es kommen immer weniger Gäste. Dennoch bleibt der Laden bestehen. Vielleicht auch aufgrund des schwindenden Angebotes an einfachen Kneipen. „Wir mixen hier keine schicken Cocktails. Aber wer liebt fragt, dem mache ich eine Jacky-Cola“, sagt Barfrau Nicole.
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Das Mos hat ein Stammpublikum. Touristen, Nachbarn, Automatenspieler, aber auch Geschäftsleute, die nach Feierabend ein Bier trinken. „Vom Arbeitslosen bis zum Millionär.“ Im Sommer können die Gäste draußen sitzen und auf den legendären Kudamm schauen. Dann kommt Corona – und etwas geht kaputt.
Sie habe den Eindruck, vielen Menschen sei das Gesellige abhanden gekommen. Nach Feierabend mit den Kollegen noch ein Bierchen trinken, das gebe es nach den Einschränkungen der Pandemie immer seltener. Immerhin hätte sich bei jungen Leuten zwischen 25 und 30 wieder ein gewisser Hang zur Kneipenkultur entwickelt. Wer dem Exzess und langen Clubabenden entwächst, wisse das gemütliche Zusammensein in der Kneipe wieder zu schätzen. Aber es gebe eben auch jene, denen diese Kultur ein Dorn im Auge sei, meint Nicole.
Nachbarn stören sich an Live-Musik und Lautstärke im Außenbereich
„Früher hatten wir mehrmals die Woche Live-Musik. Die Künstler spielten auf Spendenbasis“. Aber den Nachbarn wurde es irgendwann zu laut. Strafen seien angedroht worden. Auch die während Corona erlaubte Erweiterung des Außenbereiches sei unter Androhung von Strafen wieder rückgängig gemacht worden. Aber diese Entwicklung gebe es nicht nur hier. Sie sei früher immer in einer kubanischen Bar in einer Seitenstraße des Kudamms gewesen. Internationale Gäste feierten dort zu kubanischer Musik. „Ich habe mich jedes mal wie im Urlaub gefühlt“, sagt Nicole und blickt sehnsüchtig in den grauen Regentag.
Aber auch hier mehrten sich die Beschwerden von Anwohnern und Hotelgästen. Heute sei es ein Geschäft für Bio-Brot. Auch ihre Lieblingskneipe, das Freiluftlokal Loretta an der Lietzenburger Straße, gibt es nicht mehr. „Ich finde das so grausam“, sagt sie. Überall verschwinde das, was für sie Berlin einst ausmachte, als sie 1987 herkam. „Aber vor allem das Feeling vom Kudamm wurde uns kaputt gemacht“, sagt die Barfrau.
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Und natürlich ist da auch die immer weiter steigenden Miete. Mehr als doppelt so hoch sei diese inzwischen, wobei man noch Glück gehabt habe, dass der Vertrag den Laden bis Ende 2023 sicherte. Nun laufe dieser aus. Die Besitzerin wolle noch einmal mit dem Eigentümer verhandeln. Sollte es allerdings noch mal eine drastische Erhöhung geben, dann wäre es nicht mehr zu schaffen, das Lokal zu erhalten. Die Stammgäste hätten schon angekündigt, dann eine Petition zu starten. „Aber der Laden ist halt auch ziemlich klein“, sagt sie.
Ein Gast bestellt ein Weizenbier, das er ohne viel zu sprechen langsam austrinkt. Nicole zündet sich eine Zigarette an. „Wir sind auch eines der letzten Raucherlokale. Gibt's ja hier kaum noch.“ Ihre Kollegin nickt.
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