Berlin. Es waren harte Diskussionen, die die Grünen am Wochenende, Montag und Dienstag intern führten. Es ging um die Frage, welche Rolle Bettina Jarasch künftig in der Fraktion der Grünen übernimmt. Die Spitzenkandidatin und Mobilitätssenatorin steht ohne herausgehobenes Amt da, nachdem CDU und SPD gemeinsame Koalitionsgespräche verabredet haben.
Jarasch beanspruchte den Posten der Fraktionschefin, Silke Gebel wollte den Platz nicht kampflos räumen. Der Streit drohte „unwürdig“ zu enden, wie es hieß. Am Ende setzte sich Jarasch durch. Sie wird künftig die Fraktion zusammen mit Werner Graf führen.
Die Besetzung der Fraktionsspitze ist neben den beiden Ämtern zum Landesvorsitz von Bedeutung, weil es die vier am meisten herausgehobenen Ämter sind, die die Partei nach sechseinhalb Jahren in der Regierung nun noch zu vergeben hat. Die Stimme der vier Vorsitzenden hat ein höheres Gewicht in der Partei – die vier Spitzenkräfte sitzen außerdem in der Pole-Position für eine mögliche Spitzenkandidatur 2026.
Die Partei hat nur noch vier Posten zu vergeben
Die Posten werden streng paritätisch besetzt. Jeweils zwei Männer und Frauen werden vom Realo- und vom Linken-Flügel der Partei gestellt. Über den Landesvorsitz entscheidet die Partei im Oktober. Nach der Klärung der wichtigsten Personalien, geht es für die Grünen nun in die Aufarbeitung der Wiederholungswahl. Schon am Dienstagabend begann es mit einem Kleinen Parteitag, auf dem die Sondierungsgruppe den Delegierten einen Bericht über die vergangenen zwei Wochen erstattete und warum es am Ende für keine der beiden Regierungsoptionen – Rot-Grün-Rot und Schwarz-Grün – gereicht hat.
Die Wahlanalyse wird entsprechend nüchtern ausfallen, denn die Grünen haben keines ihrer Wahlziele erreicht: Sie regieren nicht mehr, sollten CDU und SPD zueinanderfinden – was als ausgemacht gilt. Und sie sind nicht stärkste Kraft geworden. Im Gegenteil, wenn auch nur mit 53 Stimmen denkbar knapp, rangieren sie nur auf Rang drei hinter CDU und SPD. Immerhin verloren sie von den drei gegenwärtigen Regierungsparteien am wenigsten an Zuspruch. Das Ergebnis von 18,4 Prozent liegt nur einen halben Prozentpunkt hinter dem Ergebnis von 2021.
Die Stimmung wechselt in diesen Tagen zwischen Schockstarre, Enttäuschung, Wut über die SPD und einem „Jetzt-erst-recht“-Gefühl. Die Ursachen für den Ausgang der Wahl und das Aus in den Sondierungsgesprächen sind vielfältig,
Den Grünen wurde „Kriegstreiberei“ vorgeworfen
Alle Wahlkämpfer berichten davon, dass ihnen an den Wahlständen der Vorwurf der „Kriegstreiberei“ entgegenschlug. Die Forderung nach umfangreichen Waffenlieferungen für die Ukraine auf Bundesebene wurde den Grünen zum Vorwurf gemacht. Dazu passte der Satz von Außenministerin Annalena Baerbock, wonach Deutschland sich im Krieg mit Russland befinde, der bei den Grünen-Wählerinnen und -wählern nicht gut ankam.
Einige Grüne halten das frühe Festlegen auf die Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition für einen Fehler, andere monieren, dass das Projekt Schwarz-Grün nicht entschlossen genug angegangen wurde.
Kaum Kritik wird an der glücklosen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch laut. Bei den Grünen genießt sie ein hohes Ansehen, in seltener Einheit zwischen den Parteiflügeln wurde sie im Wahlkampf unterstützt. Dieser Zuspruch steht in einem merkwürdigen Widerspruch zur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit jenseits der grünen Hemisphäre. Bei den Sympathiewerten war Jarasch bis zum Schluss unter den drei aussichtsreichen Spitzenkandidaten die am wenigsten beliebte Politikerin.
Die Schließung der Friedrichstraße kostete Stimmen
Auch, dass sie die endgültige Schließung der Friedrichstraße noch kurz vor der Wahl durchgezogen hatte, kostete der Partei Stimmen. Das stand im Widerspruch zu dem offenen Verfahren zur Gestaltung der historischen Mitte, das Jarasch stets betonte.
Die Lehren aus der verkorksten Wahl will die Partei in den kommenden Wochen nun in verschiedenen Gremien und auf verschiedenen Ebenen vornehmen. Und dann?
Einig sind sich die Grünen darin, von der ersten Minute an harte Opposition gegen die Neuauflage der GroKo, die nicht mehr ganz so groß ist, zu führen, um dann 2026 neu anzugreifen. „Giffey und Saleh wollen Berlin gemeinsam mit der CDU zurück ins letzte Jahrtausend führen und die Zukunft unserer Stadt unter einer Betonschicht begraben“, sagte Grünen-Landeschef Philmon Ghirmai am Dienstag. „Unser Widerstand dagegen ist sicher.“
Die Grünen wollen sich die Option Rot-Grün-Rot offenhalten
Zwar ist die Partei verärgert auf die SPD und wie sie die rot-grün-rote Koalition beendet hat. Andererseits will sie sich die Option des Dreierbündnisses auch nicht verbauen. In vielen Zielen stimmen die drei Parteien überein. Andererseits haben die Grünen die Avancen der CDU wohlwollend aufgenommen. Bis zuletzt habe man ernsthafte Gespräche geführt.
Womöglich hat CDU-Spitzenmann Kai Wegner sich am Ende nur für die SPD entschieden, weil mit den Sozialdemokraten schneller eine Einigung erzielt werden kann. Da nur dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Wahl anstehen, wollte Wegner das Risiko eines schwarz-grünen Projekts nicht eingehen. Zu tief sind noch die Gräben zwischen beiden Parteien in vielen Fragen.
Einen Dämpfer haben die schwarz-grünen Annäherungen allerdings bereits am Wochenende erfahren. CDU-Spitzenmann Wegner sprach sich in einem Interview mit der Berliner Morgenpost für die Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof und die Verlängerung der A 100 aus - beides sind Vorhaben, die mit den Grünen nicht zu machen sind, auch nicht in der Zukunft.