Berlin. In langwierigen Verhandlungen haben Vertreter der Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und Linken im Abgeordnetenhaus am Dienstag eine gemeinsame Lösung für eines der gravierendsten Folgeprobleme der Wiederholungswahlen vom 12. Februar gefunden. Nun soll es möglich werden, dass sich die neuen Mehrheiten in den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) auch in den Posten abbilden, die den jeweiligen Parteien in den Bezirksämtern zustehen.
Nach der Wahl darf die CDU mehr Posten besetzen, ausschieden müssten Vertreter von SPD, Grünen und Linken. Der Preis für diese Lösung: Die ausgeschiedenen Kommunalpolitiker werden über Jahre zu hoch bezahlten Spaziergängern.
Das Beamtenrecht schützt die 2021 gewählten Bürgermeister und Stadträte
Das Beamtenrecht schützt die nach dem ersten Wahlversuch im Herbst 2021 gewählten Bezirksbürgermeister und Stadträte jedoch. Sie sind bis zum Ende der regulären Wahlperiode 2026 als Beamte auf Zeit bestellt. Um sie abzuwählen, ist eine kaum zu beschaffende Zwei-Drittel-Mehrheit in der BVV nötig. Ein freiwilliger Rücktritt kommt für die Politiker nur zum Preis gravierender persönlicher Nachteile in Frage, weil sie dann sämtliche bisweilen über Jahre erworbenen Ansprüche auf Altersversorgung einbüßen würden.
Die vier Fraktionsmanager Torsten Schneider (SPD), Heiko Melzer (CDU), Sebastian Walter (Grüne) und Steffen Zillich (Linke) haben in den vergangenen Tagen viele Stunden auch mit Vertretern der Senatsinnenverwaltung verhandelt, um dem Demokratieprinzip auch in den Bezirken zur Wirkung zu verhelfen. Die Senatsverwaltung hatte sich dem Vernehmen nach für eine Verfassungsänderung ausgesprochen. Das Abgeordnetenhaus hätte mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit festlegen können, dass Bezirksamtsmitglieder in einer bestimmten Sondersituation auch mit einfacher Mehrheit aus dem Amt zu wählen sein sollen.
Ohne 100-Prozent-Gehaltsfortzahlung wäre das Risiko von Klagen sehr groß, heißt es
Weil aber die CDU da nicht mitgehen wollte, musste eine niedrigschwelligere Lösung gesucht werden. Man kam auf die Idee, dass das knappe Dutzend in Frage kommender Politiker im Moment der Neuwahl eines Nachfolgers automatisch freigestellt würden. Weil Wahlbeamte auf Zeit nicht wie reguläre Beamte gegenüber dem Dienstherren einen Anspruch auf adäquate Verwendung haben, könnten sie nicht gegen die verordnete Untätigkeit vor Gericht ziehen.
Indem man ihnen bis 2026 das volle Gehalt weiter zahlen will, hätte man Anreize für eine Klage wegen persönlicher finanzieller Nachteile auch ausgeräumt, hieß es. Der ursprüngliche Plan, die Politiker mit 71 Prozent ihrer regulären Bezüge zu entschädigen, ließ sich ohne Verfassungsänderung nicht mehr halten, berichteten mehrere Beteiligte der Morgenpost.
Lösung von SPD, CDU, Grünen und Linken kostet Berlin bis 2026 rund drei Millionen Euro
Die Lösung wird kostspielig für das Land. Man rechnet mit zehn bis zwölf freigestellten Politikern. Stadträte werden nach B4 mit 9142 Euro brutto im Monat besoldet, Bürgermeister nach B6 mit 10.274 Euro. Im Abgeordnetenhaus wird mit rund drei Millionen Euro Mehrkosten für das Land bis 2026 kalkuliert..
Insgesamt wird die SPD wegen des schlechten Wahlergebnisses sechs der im Proporz nach Stärke der Parteien eingesetzten Bezirksamtsmitglieder einbüßen. In Charlottenburg-Wilmersdorf, Marzahn-Hellersdorf, Neukölln, Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg und Treptow-Köpenick steht den Sozialdemokraten ein Posten weniger zu. Hinzu kommt ein Stadtratsamt in Mitte, was die SPD kurzzeitig nach einem Mandatswechsel und der Abwahl des grünen Bürgermeisters Stephan von Dassel in Mitte innehatte. Kurzzeit-Stadträtin Maja Lasic ist aber ins Abgeordnetenhaus gewählt worden.
Die CDU gewann in elf Bezirken einen Bezirksamtsposten hinzu und will sie besetzen
Die Grünen verlieren einen Dezernenten-Posten in Mitte und Spandau, die Linken je einen in Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg. Wahlsieger CDU gewinnt elf Bezirksamtsposten hinzu. Überall gibt es einen Job mehr, nur in ihrer Hochburg Reinickendorf bleibt es bei drei CDU-Leuten im Bezirksamt. In welchem Bezirk Bürgermeister wechseln, ist noch nicht klar, solange die Parteien nicht ihre in den Bezirken Zählgemeinschaften genannten Koalitionen ausgehandelt haben.
Die Linke hatte Druck gemacht, weil einige ihrer bisherigen Bezirksamtsmitglieder wie Pankows Bürgermeister Sören Benn ihre gewonnen BVV-Mandate annehmen müssen. Die Frist für diesen Schritt läuft in Kürze ab. Um solche Fälle abzusichern, sollen die Politiker auch aus dem Bezirksamt zurücktreten können, würden aber wie die komplett freigestellten Kollegen behandelt, solange sie in der Bezirksverordnetenversammlung mitwirken. Wenn eine Partei in einem Bezirk einen von zwei oder drei Bezirksamtsposten verliert, soll die BVV-Fraktion entscheiden, wen es treffen und wer seinen Job verlieren soll. Verweigern die Parteifreunde diese Auswahl, wird nach der Stimmenzahl bei der Stadtratswahl in der BVV entschieden.
AfD und FDP kritisieren Lösung als Selbstbedienungsmentalität
Dass Ex-Bürgermeister und Stadträte für hohe Gehälter spazieren gehen sollen, kritisierte die Fraktionschefin der oppositionellen AfD Kristin Brinker als „erschütternde Selbstbedienungsmentalität aller Parteien von CDU bis ganz Linksaußen“. Der Generalsekretär der an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten FDP Lars Lindemann nannte die „Freistellung bei vollem Lohnausgleich bis zum Ende der Legislaturperiode“ einen „Schlag ins Gesicht jedes hart arbeitenden Bürgers dieser Stadt“. Stattdessen müsse es einen Konsens geben, dass die Stadträte abgewählt würden. Die FDP-Fraktion in Charlottenburg-Wilmersdorf kündigte an, sich den „Rechtsweg“ gegen das Gesetz offen zu halten.