Berliner Museen

Berlin: Hier kann man Kunst für sein Wohnzimmer ausleihen

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Katrin Starke
Marcus Webers nur „A“ betitelte Lithographie ist eine Neuerwerbung.

Marcus Webers nur „A“ betitelte Lithographie ist eine Neuerwerbung.

Foto: Marcus Weber, Graphothek Berlin

Die Graphothek Berlin hat mehr als 6000 Werke zum Ausleihen. Hier präsentiert sie Neuerwerbungen aus ihrer Sammlung.

Berlin. Eine stählerne Konstruktion, ein breitkrempiger Abschluss an der oberen Kante, fotografiert von schräg unten. Im Vordergrund ein Spitzdachvorsprung, überzogen mit grüner Patina. Welches Gebäude könnte das sein? Einige Gäste stehen bei der Vernissage der aktuellen Ausstellung in der Reinickendorfer Rathaus-Galerie grübelnd vor dem Foto. Erst der Blick auf die kleine Texttafel unter dem Bild liefert die Aufklärung.

Das Foto mit dem Titel „Metropolis // Berlin # 12 2020“ zeigt die Spitze des Borsigturms in Tegel. Aufgenommen hat es die Reinickendorfer Künstlerin Petra Lehnardt-Olm. Im Rahmen des Projekts „Arbeitsspuren – Lebensspuren“ hat sie 2020 eine ganze Reihe von Fotos zur Reinickendorfer Industriekultur geschossen. Vier davon sind jetzt in der Rathaus-Galerie zu sehen. Aus gutem Grund: Denn die Grapho­thek, die Kunstsammlung des Bezirks Reinickendorf, hat die vier Fotos im vorigen Jahr angekauft. In der Rathaus-Galerie sind derzeit alle Neuerwerbungen der Graphothek aus dem Jahr 2022 zu sehen.

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Kunst ausleihen: Eine Grafik gibt es schon für fünf Euro

Die jährlich aufgelegte Schau mit dem schlichten Titel „Neue Kunstwerke der Graphothek Berlin“ bietet einen guten Überblick über vielfältige künstlerische Positionen. Denn sowohl Werke aus den Bereichen Zeichnung und Malerei als auch Druckgrafiken und Fotografien bereichern die Sammlung der Grapho­thek Berlin.

Deren Bestand umfasst mittlerweile nahezu 6000 Werke mit den Schwerpunkten Klassische Moderne sowie zeitgenössische Kunst. Darunter befinden sich Arbeiten von Berliner Kunstschaffenden ebenso wie Werke international bekannter Künstler wie Marc Chagall oder Wassily Kandinsky. Die Besonderheit der Sammlung: Dort können Privatleute und Firmen, Arztpraxen und Anwaltskanzleien originale Kunstwerke ausleihen – für drei Monate oder ein ganzes Jahr, auf jeden Fall aber für kleines Geld.

So ist eine Grafik, die für drei Monate die heimischen vier Wände schmücken soll, schon für eine Leihgebühr von fünf Euro zu haben. „Kunstinteressierte suchen sich bei uns vor Ort aus den bereits gerahmten Arbeiten ihre ­Wunschbilder aus“, erläutert Ricarda Vinzing, die Leiterin der Graphothek, das Procedere. „Zusätzlich kann man im Handkatalog oder in unserer Bilddatenbank recherchieren.“

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Der Trend geht zum Leihen statt Kaufen

Die Ausleihzahlen seien „enorm“, hob Reinickendorfs Bürgermeister Uwe Brockhausen bei der Vernissage hervor. Leihen statt kaufen – ein Trend, der sich in vielen Bereichen immer mehr durchsetzt. Da werden Autos oder E-Roller nur dann geliehen oder gemietet, wenn sie wirklich gebraucht werden. Oder es werden Werkzeuge für die Wohnungsrenovierung im Baumarkt abgeholt und wieder dorthin zurückgebracht, wenn die Dielen frisch abgezogen und die Fensterrahmen fertig geschliffen sind.

Doch so jung, wie der Trend auf den ersten Blick erscheint, ist er eigentlich gar nicht. Die Graphothek ist dafür das beste Beispiel. Denn sie verleiht bereits seit 1968 Kunstwerke. In jüngerer Zeit baue man gezielt den foto­grafischen Bereich stärker aus, sagt Ricarda Vinzing.

An den Fotos von Petra Lehnardt-Olm faszinierten sie insbesondere die „präzise gewählten Momente des Lichteinfalls“, erklärt die Graphothek-Chefin. Dadurch würden die abgebildeten verlassenen oder ungenutzten Fabrikhallen viel Lebendigkeit ausstrahlen. Beeindruckend seien auch die Perspektiven der Fotografin. So sei die Spitze des Borsigturms wahrlich nicht sofort ­erkennbar, obwohl der Turm doch ein allseits bekanntes Wahrzeichen Tegels ist.

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Diese Werke sind neu in der Kunstsammlung

Ein echter Hingucker sind auch die Fotos von Annette Frick – einfühlsame Schwarz-Weiß-Porträts, die um die Jahrtausendwende in der queeren Szene Berlins entstanden sind. Drei der Fotos kaufte die Graphothek an, das vierte Foto („Wigstöckel“ von 1996) ist eine Schenkung des Vereins „Freunde der Graphothek Berlin“.

Neu im Bestand der Kunstsammlung sind auch farbintensive Gemälde von Agathe de Bailliencourt sowie Bildkompositionen von Pedro Boese. Der abstrakt malende Wahl-Berliner arbeitet vorzugsweise mit geometrischen Formen, wobei er farblich mit Kalt-Warm-Kontrasten experimentiert. Bei den in Reinickendorf ausgestellten Bildern sind es sich überschneidende Kreise in Komplementärfarben, die Formen aufgebrochen, dazwischen weiße Leerstellen. Angekauft wurden zudem filigrane Zeichnungen von Beate Spitzmüller, die sich in umfangreichen Serien mit den Themen Bewegung, Rhythmus und Zeit auseinandersetzt.

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Darüber hinaus ist eine ganze Reihe von neu erworbenen grafischen Arbeiten in der Rathaus-Galerie ausgestellt – Lithografien ebenso wie Radierungen und Siebdrucke. Dabei sind unter anderem Lithografien des Malers und Zeichners Marcus Weber, die mit einem gewissen Witz daherkommen. Wie beispielsweise das Bild mit den zwei in bester Comic-Manier dargestellten Hunden, die sich unter einer Infosäule treffen.

Wer für eine der Neuerwerbungen schon einen Platz in seinem heimischen Wohnzimmer auserkoren hat, muss sich allerdings noch ein wenig gedulden: Die Werke stehen natürlich erst nach dem Ende der Ausstellung zum Ausleihen zur Verfügung.

Museums-Info

Neue Kunstwerke der Graphothek Berlin Ausstellung bis zum 14. Mai 2023, Rathaus-Galerie Reinickendorf, Eichborndamm 215, weitere Informationen unter Telefon 902 94–38 60, Mo.–Fr. 9–18 Uhr, Eintritt frei, www.graphothek-berlin.de

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