Techniker Krankenkasse

Behandlungsfehler in Berlin: Zahl möglicher Fehler steigt

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Unter vermeidbare medizinische Behandlungsfehler fallen zum Beispiel bei Operationen zurückgelassene Fremdkörper oder verwechselte Körperteile.

Unter vermeidbare medizinische Behandlungsfehler fallen zum Beispiel bei Operationen zurückgelassene Fremdkörper oder verwechselte Körperteile.

Foto: picture-alliance | Kitty Kleist-Heinrich TSP

Die Techniker Krankenkasse zeigt auf, in welchen Bereichen es die meisten Verdachtsfälle gibt - und was Patienten tun können.

Berlin.  Die Zahl möglicher Behandlungsfehler in Berlin und Brandenburg steigt. Wie die Techniker Krankenkasse (TK) mitteilte, meldeten sich im vergangenen Jahr 600 Versicherte aus der Hauptstadt, weil sie Zweifel an der korrekten medizinischen Versorgung hatten. Im Vorjahr registrierte die Krankenkasse 581 derartiger Fälle. In Brandenburg stieg die Zahl von 147 auf 179 Fälle an.

Bei der TK sind in Berlin 945.000 Menschen und in Brandenburg 326.000 Menschen versichert. Die Techniker Krankenkasse hat für ihre Versicherten unter anderem eine telefonische Beratungshotline eingerichtet.

TK Berlin: „Wir brauchen eine neue Fehlerkultur"

„Nur wenn man offen, transparent und selbstkritisch mit Fehlern umgeht, können diese in Zukunft vermieden werden“, beurteilte Susanne Hertzer, Leiterin der TK in Berlin und Brandenburg, die Lage. „Wir brauchen deshalb eine neue Fehlerkultur. Dazu gehört, dass Falschbehandlungen erkannt, registriert und ordentlich aufgearbeitet werden.“

Wichtig sei ihr zufolge ein Härtefallfonds der Bundesregierung, mit dem betroffene Patienten während der oft langen Prozesse unterstützt werden sollten, denn: „Viel zu oft kommt zu den gesundheitlichen Folgen nach einem Behandlungsfehler auch noch finanzielle Not.“ Komplett vermeiden lassen sich Behandlungsfehler wohl nicht. Umso entscheidender daher die Frage, wie mit Fehlern umgegangen wird.

Bundesweit 6000 Anfragen an Krankenkasse

Insgesamt wandten sich 2022 fast 6000 Versicherte wegen des Verdachts auf einen Behandlungsfehler an die TK. Bundesweit bezogen sich die meisten der vermuteten Fehler auf chirurgische Behandlungen, die 30 Prozent der Verdachtsfälle ausmachten, danach folgten Zahnheilkunde, Allgemeinmedizin und Geburtshilfe sowie Gynäkologie.

Jedoch spiegeln die Zahlen nach Ansicht der Krankenkasse nicht die ganze Realität wider: Nach Angaben des TK-Medizinrechtsexperten Christian Soltau ist die Dunkelziffer hoch. Gleichzeitig erhärte sich jeder dritte Verdachtsfall im Lauf der Untersuchungen.

Laut aktuellem Tätigkeitsbericht der Berliner Ärztekammer wurden in Berlins Behandlungsfehlerstatistik 2021 zuletzt weniger Fälle verzeichnet, nämlich 426. In den Vorjahren waren es 519 (2020) und 557 (2019). Im Fall eines vermuteten Behandlungsfehlers bietet die Ärztekammer Berlin für Patienten, Ärzte und medizinische Einrichtungen die Möglichkeit einer außergerichtlichen Klärung an – über ein Internetportal für Schlichtungsverfahren.

Härtefallfonds für Behandlungsfehleropfer: Noch kein Zeitplan

Unter vermeidbare medizinische Behandlungsfehler fallen etwa bei Operationen zurückgelassene Fremdkörper oder verwechselte Körperteile. Um zu prüfen, ob tatsächlich ein ärztlicher Fehler vorliegt, können die Krankenkassen beim Medizinischen Dienst (MD) ein Gutachten in Auftrag geben. Dieses ist für die Versicherten in vielen Fällen kostenlos. Klagt die Krankenkasse selbst, können Betroffene das Urteil abwarten und danach mit einer persönlichen Klage auf Schmerzensgeld tätig werden. Für diese erfahrungsgemäß oft jahrelangen Prozesse fordert auch das Aktionsbündnis Patientensicherheit mit Sitz in Berlin seit Jahren besagten Härtefallfonds von der Bundesregierung zur Unterstützung von Behandlungsfehleropfern.

Ministerium will „zeitnah“ Eckpunktepapier vorlegen

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP will das auch umsetzen: Im Koalitionsvertrag wurde die Stärkung der Stellung der Patienten bei Behandlungsfehlern im bestehenden Haftungssystem und die Einführung eines Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen vereinbart. Das Bundesministerium für Gesundheit beabsichtige, so der letzte Stand, „zeitnah“ ein Eckpunktepapier als Grundlage für die weiteren Schritte zu erarbeiten. Einen näheren Zeitplan gibt es nicht.

Die Einrichtung des Härtefallfonds ist unter Experten für Medizinrecht umstritten. Der Rechtsprofessor Gerhard Wagner von der Berliner Humboldt-Universität etwa riet im „Ärzteblatt“ davon ab. Schadenverhütung sei laut Wagner besser als Schadenvergütung – und ein Anreiz zur Schadenverhütung bestehe nur, wenn Fehler aufgeklärt und Schäden zu­ge­rechnet würden. Ein aus Steuermitteln finanzierter Fonds sei dazu nicht in der Lage. Ein großzügig ausgestatteter Fonds könne zudem, so Wagner, viele Anspruchsteller anziehen. Die inter­na­tionalen Erfahrungen mit Fonds zur Kompensation von Personenschäden hätten gezeigt, dass ein vollumfänglicher Schadenersatz nicht finanzierbar sei.

Beweislast liegt fast vollständig beim Patienten

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit beklagt indes „eine erhebliche Gerechtigkeitslücke“ bei der juristischen Aufarbeitung von Behandlungsfehlern, die geschlossen werden müsse. So liege die Beweislast größtenteils oder vollständig bei den Patienten, die Beweismittel hingegen bei den Behandelnden. Von 100 geschädigten Patienten erhielten nur zwischen einem und fünf Prozent eine finanzielle Entschädigung, so die Initiative.