Berlin. Berlins früherer Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärt, was in der Hauptstadt schiefläuft. Es liege an den Bezirken.
Schleppender Wohnungsbau, mangelnde Digitalisierung der Verwaltung, stagnierender Ausbau der Infrastruktur und eine Pannenwahl, wegen der die Berliner am Sonntag erneut wählen müssen. Bei einer Diskussion zum Thema „Zukunft der Stadt, Stadt der Zukunft“ in der 6. Etage des KaDeWe am Donnerstagabend fand Berlins Ex-Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf die Frage, warum Berlin so viel schlechter regiert wird als andere Metropolen, deutliche Worte. „Wir haben ein Problem, das andere Städte nicht haben: Wir haben mächtige Bezirke“, sagte Müller, der nach den Wahlen 2021 aus dem Roten Rathaus als Abgeordneter in den Bundestag wechselte.
In der gesellschaftspolitischen Veranstaltungsreihe, die im September 2022 in anderer lokaler Besetzung im Hamburger Alsterhaus stattfand, hatte das Podium – neben Michael Müller mit Christine Richter, Chefredakteurin der Berliner Morgenpost, Jörg Franzen, Chef der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau und KaDeWe-Chef Timo Weber besetzt – vor rund 100 Gästen darüber diskutiert, warum es in Berlin bei den großen städtebaulichen Entwicklungsgebieten nur so so schleppend vorangehe, warum etwa Bebauungspläne im Durchschnitt 7,4 Jahre bis zur Festsetzung benötigen – in vier Bezirken sogar mehr als zehn Jahre.
„Berlin ist toll – wird bloß schlecht regiert“
In Hamburg, so Timo Weber, der das Alsterhaus leitete, bevor er 2018 das KaDeWe übernahm, habe man mehr das Gefühl gehabt, dass Verwaltung und Stadtgesellschaft an einem Strang ziehen. So sei ihm in der für den Einzelhandel sehr schwierigen Corona-Zeit, als er versuchte, die Besucherströme an den Ein- und Ausgängen mit Schildern auf der Tauentzienstraße zu regulieren, vom zuständigen Bezirksamt eine Strafzahlung und ein Punkt in Flensburg angedroht worden – „wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“, so der Kaufhaus-Direktor kopfschüttelnd. An sich aber sei Berlin eine tolle Stadt mit unglaublichem Potenzial.
„Das finde ich auch“, bekräftigte Chefredakteurin Christine Richter. „Berlin hat tolle Entwicklungschancen und gute Ideen, gute Investoren und gute Architekten. Berlin wird bloß schlecht regiert.“ Es fehle ein Masterplan für die Entwicklung der Stadt, eine Vision davon, wo man in Zukunft hinwolle.

Gesobau-Vorstand Jörg Franzen attestierte der Berliner rot-grün-roten Koalition, dass der „Neubauwille bei fast allen Koalitionären“ vorhanden gewesen sei – „was fehlte, war der Umsetzungswille“.
Das wollte der frühere Berliner Regierungschef nur zum Teil gelten lassen. Das Grundproblem in Berlin sei nicht, „dass da einer im Senat nicht will und dass wir keinen Plan haben“, sagte Michael Müller. Der Hauptgrund, dass es an der Elbe schneller und entschiedener gehandelt werde, liege an der Landesverfassung.
Hamburg hat im Gegensatz zu Berlin eine „glückliche Verfassungslage“
Hamburg habe anders als Berlin eine glückliche Verfassungslage. „Die Bezirke können dort alles rauf und runter diskutieren, aber sie können nichts entscheiden. Und das ist gut so. In Berlin ist es genau andersherum. wir haben mächtige Bezirke“, so Müller, der von 2014 bis 2021 Regierender Bürgermeister und von 2011 bis 2014 Senator für Stadtentwicklung und Umwelt war.
Dass es die kommunale Ebene in Berlin gebe, sei gut und richtig. Ein Bezirk mit 350.000 Einwohnern sei eine Großstadt, da müsse es Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger geben und auch Entscheidungskompetenzen für kommunale Themen. „Das muss auch so bleiben“, bekräftigte Müller. Bei größeren Projekten, besonders bei den großen Bauvorhaben, dürfe es aber keine Entscheidungskompetenz auf Bezirksebene geben.
Zustimmung der Bezirke zu Verfassungsreform „teuer erkauft“
Müller gab auch gleich noch die Erklärung, warum die Landesverfassung so ist, wie sie eben ist. Berlin habe vor gut 20 Jahren eine Bezirks- und Verfassungsreform umgesetzt, bei der aus 23 Bezirken zwölf wurden. Elf Bezirke wurden abgeschafft, die Bezirksämter wurden verkleinert, weniger Stadträte, weniger Bezirksverordnete. Auch der Senat wurde verkleinert. Fünf Senatsposten gestrichen, das Parlament um 100 Abgeordnete reduziert.
Entscheidungsmacht liegt nicht beim Senat – sondern den Bezirken
Doch um für diese Verfassungsänderung eine Mehrheit zu bekommen, habe man einen hohen Preis zahlen müssen. Denn die Bezirke, so Müller, hätten sich ihre Zustimmung teuer bezahlen lassen: „Mit mehr Machtbefugnissen in diesen Entscheidungsfragen, etwa in der Baupolitik.“ Und jetzt sei das Problem, dass es niemand mehr zurückholen könne. Denn die Entscheidungsmacht und auch die politische Macht liege in den Bezirken. Das könne jeder Regierende Bürgermeister bestätigen – unabhängig vom Parteibuch. „Wir haben eine Verfassungslage mit einer Zweistufigkeit der Verwaltung, die dringend reformiert werden müsste“, sagte Müller. Doch dazu fehle leider die politische Kraft.