Berlin. Wenn bei Sozialwohnungen die Sozialbindung ausläuft, droht Verdrängung. Was können Mieter tun? Fragen und Antworten.
In diesem Jahr laufen in Berlin erneut bei Tausenden Wohnungen die Sozialbindungen aus, das heißt, sie sind dann von einem Tag auf den anderen keine Sozialwohnungen mehr. Doch was bedeutet das für die Mieterinnen und Mieter, welche Rechte haben sie und wie können sie ihre Verdrängung verhindern?
Warum hören Sozialwohnungen auf, Sozialwohnungen zu sein?
Das liegt an der Art, wie in Deutschland sozialer Wohnungsbau betrieben wird. Private Investoren bauen neue Wohnungen mithilfe von öffentlichen Fördergeldern. Solange sie die Fördergelder zurückzahlen, meist über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren, müssen sie die Wohnungen zu einer günstigeren Miete anbieten. Außerdem sind die Wohnungen in dieser Zeit auch belegungsgebunden, Mieter brauchen also einen Wohnberechtigungsschein, um dort wohnen zu können. Ist die Förderung zurückgezahlt, endet die sogenannte Sozialbindung und die Wohnung ist fortan eine normale Mietwohnung. Zahlt der Investor die öffentliche Förderung früher zurück als ursprünglich vereinbart, kommt eine sogenannte Nachwirkungsfrist zum Tragen, die zehn bis 15 Jahre beträgt. Ist diese auch abgelaufen, endet die Sozialbindung.
Was hat das mit der Sanierung von Häusern zu tun?
Insbesondere im Ostteil der Stadt wurden nach der Wiedervereinigung viele alte Häuser im Rahmen des Programms „Soziale Stadterneuerung“ saniert. Dabei passierte das gleiche wie beim sozialen Wohnungsbau. Investoren konnten öffentliche Förderungen erhalten und die Wohnungen waren 20 bis 30 Jahre sozialgebunden. Nun laufen auch diese in großer Zahl aus, sodass Bezirke wie Pankow besonders betroffen vom Wegfall von Sozialwohnungen sind.
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Was kann passieren, wenn die Sozialbindung ausläuft?
Schon bevor die Mietpreisbindung ausläuft, können Vermieter Mieterhöhungen für die Zeit danach ankündigen. Wenn sie darin allerdings nicht explizit das Ende der Preisbindung benennen, wird die Erhöhung ungültig. Seit der letzten Mieterhöhung müssen außerdem 12 Monate vergangen sein. Der Berliner Mieterverein rät davon ab, sogenannte einvernehmliche Mieterhöhungen zu akzeptieren, diese könnten oft zum Nachteil der Mieter ausfallen. Stattdessen soll auf die Einhaltung des üblichen Verfahrens bestanden werden. Der Vermieter darf die Miete dann innerhalb des gesetzlichen Rahmens und entsprechend des Mietspiegels erhöhen. Das kann einen sprunghaften Anstieg der Miete bedeuten.
Können Mieter sofort eine Eigenbedarfskündigung erhalten?
Das kommt darauf an. Wenn die Mietwohnungen erst nach Ende der Sozialbindung in Eigentum umgewandelt wurden, gilt eine zehnjährige Sperrfrist, bis die Eigentümer eine Eigenbedarfskündigung aussprechen dürfen. Bei den Häusern, deren Sanierung gefördert wurde ist die Umwandlung möglicherweise schon im Zuge der Sanierung erfolgt. In diesem Fall ist die Zehnjahresfrist dann zum Zeitpunkt des Wegfalls der Sozialbindung bereits abgelaufen und Eigenbedarfskündigungen sind ab sofort möglich. Die Fristen richten sich hierbei danach, wie lange der Mietvertrag schon besteht. Davon betroffen ist eine Mieterin des Hauses in der Lychener Straße 50 in Prenzlauer Berg: „Das Lebensgefühl, wenn eine Eigenbedarfskündigung jederzeit eintreffen kann, würde ich als beeinträchtigt beschreiben.“
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Was können Mieter juristisch unternehmen?
Das sei genau das Problem, so Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins: Juristisch kann nicht gegen den Wegfall der Sozialbindung vorgegangen werden. Bei Eigenbedarfskündigungen rät Hamann jedoch dazu, in jedem Fall eine Beratung, etwa beim Mieterverein aufzusuchen, da der Eigenbedarf der Eigentümer nicht immer gerechtfertigt sei. So wies ein Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg aus dem Jahr 2021 zu sogenanntem „gekauften Eigenbedarf“ in eine andere Richtung, als es bisher in der Rechtssprechung üblich. Kauft ein Eigentümer eine Wohnung und kündigt dem darin wohnenden langjährigen Mieter auf der Stelle, kann dies als Rechtsmissbrauch ausgelegt werden.
Was kann man noch tun, wenn die Sozialbindung der eigenen Wohnung endet?
Da es keine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten für Mieterinnen und Mieter gebe, sei es umso wichtiger, auf die Problematik der auslaufenden Sozialbindungen aufmerksam zu machen, so Hamann vom Mieterverein. Zunächst ist es dabei wichtig, sich im Haus zu vernetzen und die anderen Mieter kennenzulernen, um die gemeinsame Problemlage zu erkennen und eventuell auch Unterschiede festzustellen. Für das Gründen einer Hausgemeinschaft und die Vernetzung mit anderen Häusern bieten manche Organisationen Hilfe und Anleitung (siehe unten). Auf diese Weise agiert aktuell die Hausgemeinschaft der Lychener Straße 50 in Prenzlauer Berg. Kurz vor Ende der Sozialbindung verschickten sie ein Schreiben an Medien und Politiker, in der sie auf die ihnen drohende Verdrängung durch Mieterhöhung und Eigenbedarfskündigung aufmerksam machten. Außerdem kündigten sie an, sich fortan jeden Sonntag vor ihrem Haus für Kaffee und Kuchen zu treffen. Ziel sei es mit der Nachbarschaft ins Gespräch zu kommen. Der Helmholtzkiez wird in den nächsten Jahren besonderes von wegfallenden Sozialbindungen betroffen sein.
Was bringen Mietervereine?
Mietervereine sind Interessensgruppen, die versuchen die miet- und wohnungspolitischen Anliegen von Mieterinnen und Mietern zu vertreten und voranzubringen. Zugleich sind sie meist beratend tätig und bieten häufig eine Prozesskostenabsicherung für ihre Mitglieder. Berlin hat vier Mietervereine: Die Mietervereinigung Berlin, die Berliner Mietergemeinschaft, den Mieterschutzbund Berlin und den Berliner Mieterverein, der mit knapp 180.000 Mitgliedern der größte ist.
...und Mietergewerkschaften?
Mietergewerkschaften dagegen sind kollektive Zusammenschlüsse von Mietern, die zum Ziel haben, Konflikte zwischen einem einzelnen Mieter und Vermieter vermittelt über die Gewerkschaft auszutragen – ähnlich wie bei betrieblichen Gewerkschaften. Theoretisch kämen hier sogar Mietstreiks in Frage. In Deutschland ist das Konzept der Mietergewerkschaft nicht etabliert. In Berlin versucht die „Mieter:innengewerkschaft“ als Initiative eine solche Gewerkschaft aufzubauen. Die Initiative stellt auf ihrer Internetseite Leitfäden bereit und bietet Vernetzungsmöglichkeiten entlang von Themen oder auch ortsbezogen. Das „Kieztreffen Pankow“ ist ein Zusammenschluss von Mieterinnen und Mietern des Bezirks, die sich mit Eigentumsumwandlungen, Mietrecht oder insbesondere der Problematik der auslaufenden Sozialbindungen beschäftigt und in diesem Bereich Expertise erworben hat. Hausgemeinschaften und Mieter können sich zur Vernetzung an diese Organisationen wenden.
Welche Erfolge konnten Mieterinnen und Mieter in der Vergangenheit erzielen?
Ein Beispiel aktiver politischer Mitgestaltung durch Mieter und Mieterinnen von Sozialwohnungen ist die Initiative Kotti & Co aus Kreuzberg, die sich 2012 gründetet und erfolgreich gegen Mieterhöhungen protestierte. Zehn Jahre später sind ihre Wohnungen rekommunalisiert und Berlin hat im Zuge des Mietenvolksentscheids 2015 eine Deckelung von Sozialmieten beschlossen.
Die Politik müsse eine Lösung für die Problematik des sozialen Wohnungsbaus entwickeln, sagt Ulrike Hamann vom Berliner Mieterverein. Was die Partien in ihren Wahlprogrammen zu Berlin-Wahl 2023 vorschlagen, lesen Sie hier.