Traditionslokale

Zwei Jahrhundertkneipen in Charlottenburg schließen

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Norman Börner
Die Service-Kräfte Fatma und Diana vom Mommsen-Eck in Charlottenburg. 

Die Service-Kräfte Fatma und Diana vom Mommsen-Eck in Charlottenburg. 

Foto: Norman Börner

Das Gasthaus Wendel soll nach Brand nicht wieder öffnen. Auch das Mommsen-Eck stellt bald den Zapfhahn ab. Die Hintergründe.

Berlin.  Gleich zwei Jahrhundertkneipen in Charlottenburg schließen ihre Türen. Während das „Gasthaus Wendel“ nach einem Brand in der Küche bereits seit Oktober 2021 geschlossen hat und wohl nicht wieder öffnen wird, gibt es im Mommsen-Eck noch bis Ende April die Chance, Abschied zu nehmen. „Eine lange Tradition geht zu Ende. Eine Jahrhundertkneipe muss bald schließen, da es Menschen gibt, die den Wert dieses Restaurants nicht schätzen“, schreibt die Geschäftsführerin Dagmar Dagustany auf der Homepage. Lesen Sie auch: Diese Jahrhundertkneipen existieren noch in Berlin

Heißt im Klartext: Die Investorengruppe, denen das Gebäude gehört, habe sich gegen das Mommsen-Eck entschieden. „Uns wurde mitgeteilt, man wünsche sich lieber Moderne statt Tradition“, sagt Dagustany. Sie steht seit 24 Jahren im Mommsen-Eck hinter dem Tresen. In dieser Zeit sei die Traditionskneipe wieder zu einem Ort geworden, von dessen Besuch sich Touristen und Einheimische gerne erzählen. Darauf sei sie stolz. Deswegen sei es ihr auch eine Herzensangelegenheit gewesen, einen würdigen Nachfolger zu finden.

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Einen „Vollblutgastronom“ hätten sich die Besitzer gewünscht. Die gewissenhafte Suche nach einem neuen Wirt oder einer neuen Wirtin lief mehrere Jahre. Schließlich war sich die Chefin sicher, einen geeigneten Kandidaten gefunden zu haben. Mit 65 Jahren wollte sie in diesem Jahr guten Gewissens in den Ruhestand gehen. Nun aber scheint die 118-Jährige Tradition mit ihr zu enden. Sie habe gekämpft, aber das war es.

Ein Teil der originalen Wandtafeln ist bis heute erhalten

Am 29. April schließt die Traditionskneipe für immer die Bierhähne. Seit dem Jahr 1905 ist das Mommsen- Eck an diesem Ort verwurzelt und hat dabei viel Hauptstadt-Geschichte miterlebt. Es befindet sich seit seiner Gründung am selben Ort. Im Haus mit der Nummer 45, direkt am Hindemithplatz mit dem Bayernbrunnen, zwischen Mommsenstraße und Giesebrechtstraße. Lokal und Straße erhielten ihren Namen vom Charlottenburger Ehrenbürger Theodor Mommsen. Ein Jurist und Althistoriker, der 1902 den Nobelpreis für Literatur erhielt.

Noch heute ist der Geist des vergangenen Jahrhunderts greifbar. Ein Teil der Wandtäfelung von 1905 ist erhalten. Hildegard Knef soll hier gesessen haben. Auch Schriftsteller wie Else Lasker-Schüler und Erich Mühsam, Theaterleute wie Rudolf Nelson oder „Bazillendoktor“ Robert Koch sollen ein und ausgegangen sein. Auch heute treffe man hier noch viele Berühmtheiten und Prominente aus Berlin und anderswo. „Solche Kneipen sind in Berlin sehr selten geworden“, sagt Dagmar Dagustany. Und es werden weniger.

Gasthaus Wendel wird 2021 zerstört, Wiederöffnung bleibt wohl aus

Auch die Geschichte des Gasthaus Wendel am Richard-Wagner-Platz reicht bis weit in das vergangene Jahrhundert zurück. 1919 gründete der Koch Max Wendel das Lokal, sein Sohn Klaus führte es fort. Es folgten mehrere Pächter. Zuletzt führte Rüdiger Weidemann den Laden. Gerade hatte er die Corona-Zeit halbwegs überstanden, da kam es im Oktober 2021 in der Küche hinter dem Tresen zu einem Brand.

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Damals zeigte sich der Koch und Inhaber trotz der umfangreichen Schäden noch optimistisch. Er wolle so schnell wie möglich renovieren und wieder öffnen, sagte er im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. Nun soll es keine Wiedereröffnung geben, wie der Tagesspiegel im Newsletter für Charlottenburg-Wilmersdorf berichtet. Der Wirt habe aus wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen aufgegeben, heißt es weiter.

Noch zwei Jahrhundertkneipen in Charlottenburg verbleiben

Das Mommsen-Eck und das Gasthaus Wendel gelten als zwei der wenigen verbliebenen Berliner Jahrhundertkneipen. Mit dem Wegfall der beiden Lokale gibt es in Charlottenburg nur noch das Diener Tattersall und das Wilhelm Hoeck, die beide auf eine mehr als 100 Jahre lange Geschichte zurückblicken. In Wilmersdorf gibt es das Xantener Eck seit 116 Jahren.

Das Diener Tattersall liegt direkt direkt am S-Bahnhof Savignyplatz. Hier wird deftige Hausmannskost und traditionelle Kneipenkultur serviert. Im Jahr 1954 übernahm Franz Diener, der ehemalige „Deutsche Meister im Schwergewicht“ das Lokal, und gab ihm seinen neuen Namen und das Diener wurde zur Künstlerkneipe.

Das Wilhelm Hoeck 1892 hingegen liegt unweit der Deutschen Oper. Auch dieses Haus wirbt damit, dass es von Künstlern der Oper nach Proben und Aufführungen gerne besucht werde. Stars wie Brigitte Horney, Manfred Krug, Bud Spencer und Tom Hanks sollen begeisterte Gäste gewesen sein.

Dehoga: Öffnungen und Schließungen halten sich in Berlin die Waage

Laut Hotel- und Gastronomieverband Berlin (DEHOGA Berlin) gibt es aktuell rund 600 „echte Kneipen“ in Berlin. Allerdings würden sich Betriebsschließungen und Betriebseröffnungen „gut die Waage“ halten, sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Lengfelder. Dennoch sei es sehr traurig, wenn Traditionsunternehmen ihre Türen schließen müssten. Gerade während und nach der Corona-Pandemie hätten dies einige getan.

Eine Schließung erfolge überwiegend aus Altersgründen, da die Kinder oft nicht gewillt seien, den Betrieb fortzuführen. „Sie haben ja auch über viele Jahre erlebt, wie viel Arbeit und wie viel Zeit das Führen einer Kneipe bedeutet“, sagt DEHOGA-Chef Lengfelder. Proaktiv lasse sich wenig dafür tun, diese alten Kneipen in Berlin zu sichern. „Ein Stichpunkt sei aber immer: weniger Bürokratie“, so Lengfelder.

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