Beratungsstelle hilft

Für einen sensibleren Umgang mit Kindern von Strafgefangenen

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Miriam Schaptke
Im Gespräch: (v.l.) Saraya Gomis, Staatssekretärin für Antidiskriminierung, Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend und Anja Seick, Projektleiterin der Koordinierungsstelle für Kinder von Strafgefangenen

Im Gespräch: (v.l.) Saraya Gomis, Staatssekretärin für Antidiskriminierung, Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend und Anja Seick, Projektleiterin der Koordinierungsstelle für Kinder von Strafgefangenen

Foto: Miriam Schaptke

Die Koordinierungsstelle für Kinder von Inhaftierten will Personal schulen sowie Justiz und Kinder- und Jugendhilfe stärker vernetzen.

Berlin.  Wenn ein Elternteil vom einen auf den anderen Tag nicht mehr nach Hause kommt, weil es im Gefängnis sitzt, ist das ein großer Einschnitt für Kinder. „Die Kinder sind quasi mitbestraft, mit dem Elternteil, das in Haft genommen ist“, sagt Anja Seick vom Verein Freie Hilfe Berlin. Häufig litten die Kinder unter Bauchschmerzen, Frustration, schulischem Leistungsabfall und Angstzuständen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass zwei Drittel der Kinder von Strafgefangenen unter negativen psychischen und physischen Folgen leiden.

Seit 2018 nimmt sich die Beratungsstelle „Auf-Gefangen“ von der Freien Hilfe Berlin den Bedürfnissen von Kindern Strafgefangener an. Sie fungiert als Ansprechpartner für Mütter und Kinder, erklärt und unterstützt, kämpft gegen Stigmatisierung. Und organisiert Vater-Kind-Gruppen in allen Berliner Haftanstalten, bei welchen Väter in kindgerechter Atmosphäre mit ihren Kindern Zeit verbringen können. „Wir versuchen, den schädlichen Wirkungen, die die Inhaftierungszeit mit sich bringt, entgegenzuwirken“, so Seick. Bis jetzt richte sich das Projekt hauptsächlich an Familien mit inhaftierten Vätern. In den letzten vier Jahren sei die Beratungsstelle stetig gewachsen, von anfangs zwei auf neun Personalstellen. Der Bedarf sei groß.

Koordinierungsstelle: Personal für den Umgang mit Kindern Inhaftierter schulen

Zusätzlich zu der Beratungsstelle wurde im Dezember 2022 die Koordinierungsstelle für Kinder von Inhaftierten Berlin (Kvl) gegründet, welche von Seick geleitet wird. Anders als „Auf-Gefangen“ agiert die Kvl auf struktureller Ebene. Ziel ist es, Schnittstellen zwischen Jugendhilfe und Justiz zu erkennen und weiter auszubauen. Fachpersonal der Jugendämter und Schulen, sowie der Justiz soll für den Umgang mit betroffenen Kindern und Eltern geschult und fortgebildet werden. Das Personal von Kvl will den Fachkräften beratend zur Seite stehen und für die Belange betroffener Familien sensibilisieren. Es sollen Handlungsleitfäden und Arbeitsmaterialien verfasst und Angebotsformate in Zusammenarbeit mit den Behörden, Institutionen und freien Trägern entwickelt werden.

Die Kvl ist ein Kooperationsprojekt der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Anti-Diskriminierung und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. „Es ist nicht selbstverständlich, dass Verwaltungen in Berlin zusammen arbeiten,“ betont Irina Meyer aus dem Referat der Straffälligen- und Opferhilfe. Saraya Gomis, Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung, pflichtet bei: „Es funktioniert nicht über eine zuständige Stelle allein, das ist zu kurz gedacht. Es ist wichtig, dass wir in Schnittmengen und im Querschnitt arbeiten und gemeinsam Verantwortung übernehmen.“ Nur so erreiche man Nachhaltigkeit. Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend, Familie und Schuldigitalisierung, betont die große Vulnerabilität der Betroffenen: „Wenn man den Spruch ‚Kein Kind zurücklassen‘ ernst meint, dann ist dieser Bereich ein sehr wichtiger.“

Finanziert durch Förderstiftung von Aldi Süd

Gefördert wird die Koordinierungsstelle von der Auridis Stiftung, die als Förderstiftung von der Unternehmensgruppe Aldi Süd finanziert wird. „Im Zentrum unseres Engagements stehen Kinder in belastenden Lebensphasen“, sagt Ben Schröder, Projektmanager bei der Auridis Stiftung. Der Förderzeitraum für das Projekt beträgt drei Jahre und es werden eineinhalb Stellen finanziert, so der Manager. „Der Förderbetrag für den gesamten Förderzeitraum befindet sich im mittleren sechsstelligen Euro-Bereich“, sagt Schröder.

In insgesamt sechs Bundesländern versucht die Stiftung, durch Finanzierung von Strukturprojekten, die Vernetzung der Akteure aus Jugend- und Kinderhilfe und der Justiz voranzutreiben. „Es gibt nicht viele Träger in Deutschland, die sich sowohl in der Straffälligen- als auch in der Jugendhilfe zuhause fühlen und Expertise mitbringen“, sagt der Auridis-Projektmanager mit Blick auf die in Berlin durch „Auf-Gefangen“ schon vorhandenen Strukturen.

Dank dieser Strukturen und der bereits bestehenden Räumlichkeiten ist das Projekt seit Dezember zügig angelaufen, so Seick. „Wir sind schneller in die Inhalte gekommen als erwartet“, sagt die Projektleiterin. Die nächsten drei Jahre setze die Koordinierungsstelle alles daran, so viel Fachpersonal wie möglich zu erreichen – um so möglichst vielen betroffenen Kindern das Leben zu erleichtern.

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