Grabflächen in Berlin

Kein Platz mehr für muslimische Gräber in Berlin

| Lesedauer: 6 Minuten
Joachim Fahrun
Eine Grabstelle  auf dem Friedhof der Sehitlik-Moschee in Neukölln. In Berlin droht ein  akuter Engpass an muslimischen Grabflächen (Archivbild).

Eine Grabstelle auf dem Friedhof der Sehitlik-Moschee in Neukölln. In Berlin droht ein akuter Engpass an muslimischen Grabflächen (Archivbild).

Foto: picture alliance / dpa | Stephanie Pilick

Seit Jahren fehlen in Berlin Flächen für Grabstätten nach islamischem Ritus. Nun ist der letzte Friedhof bald voll.

Berlin. Die Bestatter an der Sonnenallee erinnern sich mit Schrecken an die Tage um Weihnachten 2021. In ihren Kühlhäusern lagerten die Verstorbenen. Sie schnell zu bestatten, wie es im Islam vorgeschrieben ist, war nicht möglich. Es gab schlicht keine freien Grabflächen für die Verstorbenen unter den 300.000 Muslimen in der Stadt. „Wir mussten den Menschen sagen, dass wir ihre Verstorbenen nicht bestatten können“, berichtet eine Mitarbeiterin von Ada Bestattungen, einem der größten Anbieter für islamische Beerdigungen in Neukölln.

Jetzt droht wieder ein akuter Engpass. Denn die muslimischen Grabflächen auf dem Landschaftsfriedhof in Gatow füllen sich schnell. Spandaus Bau- und Umweltstadtrat Thorsten Schatz (CDU) warnt davor, die Bestattungen nach islamischem Ritus dort einstellen zu müssen. Letztmalig am 24. März könnten in Gatow Termine für Bestattungen nach muslimischem Ritus angenommen werden, schreibt Schatz in einem Brief an die Islamische Föderation, die als Dachverband 17 Moscheevereine mit verschiedenen Hintergründen vertritt.

Ende März gibt es im größten muslimischen Friedhof in Gatow keine Gräber mehr

Ab dem 7. April könne der Bezirk Spandau für „voraussichtlich ein Jahr keine weiteren Nutzungsrechte für Bestattungen auf dem Landschaftsfriedhof Gatow mehr erteilen“, so der Stadtrat: „Zu diesem Zeitpunkt sind voraussichtlich alle Grabstellen belegt.“ Dies werde zu einem „unerträglichen Zustand“ führen, da dies faktisch zu einem Stopp für Bestattungen nach islamischem Ritus im Land Berlin führen werde, sofern keine alternativen Flächen zur Verfügung gestellt werden, schreibt Schatz.

Der Friedhof am westlichen Stadtrand ist seit Jahren fast der einzige Ort für muslimische Beerdigungen in Berlin. 2020 wurde Platz für 2000 neue Gräber geschaffen. Nur jeder zehnte der dort bestatteten Muslime komme aus Spandau, so Schatz. Sein Bezirk übernehme in Gatow, wo seit 1988 Muslime die letzte Ruhe finden, eine Aufgabe für das gesamte Land Berlin. Um den dortigen Friedhof jedoch zu erweitern, dazu fehle das Geld vom Senat, auch stünde der Artenschutz einer Vergrößerung entgegen.

Islamische Föderation mahnt: „Wir brauchen dringend eine Lösung“

Das Problem mangelnder Grabflächen für die wachsende muslimische Bevölkerung der Stadt ist schon lange bekannt. Seit zehn Jahren warnt Spandau, dass Gatow nicht unbegrenzt erweiterbar sei, schreibt Schatz. Gleich nach seinem Amtsantritt im Herbst 2021 habe er der zuständigen Senatsumweltverwaltung von Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) dazu einen „Brandbrief“ geschrieben, so der Christdemokrat. Die Warnungen seien aber ungehört geblieben, weshalb jetzt der akute Engpass drohe.

Bei der Islamischen Föderation ist man alarmiert. „Wir brauchen auf jeden Fall eine Lösung“, hieß es am Montag auf Nachfrage von dem Verband, der eine Sitzung aller Mitglieder zu dem drohenden Notstand angesetzt hatte. Dass die Menschen aus Neukölln, Wedding oder Kreuzberg, wo viele Muslime leben, ihre Angehörigen im fernen Gatow bestatten mussten, sei zwar nicht gut, aber man habe sich arrangiert. „Besser Gatow als gar nichts“, so ein Mitarbeiter. Bei Ada an der Sonnenallee heißt es, in Gatow erfolgten mittlerweile die Hälfte der 25 Beerdigungen pro Woche nach islamischem Ritus.

Immer weniger Berliner Muslime überführen ihre Verstorbenen in die alte Heimat

Der Gräber-Notstand wird dadurch verschärft, dass viele Muslime in Deutschland wirklich heimisch geworden sind. Immer weniger Familien lassen ihre Verstorbenen in die alten Heimatländer überführen, wie das früher üblich war. Heute haben sich viele Verbindungen gelockert. „Viele werden hier begraben“, heißt es von der Islamischen Föderation.

Berlin hat darauf reagiert und 2010 früher als andere Bundesländer die Sargpflicht aufgehoben, Menschen dürfen nur in ein Leichentuch gehüllt beerdigt werden, wie es der Islam vorschreibt. Außerdem müssen Verstorbene sehr viel schneller begraben werden als in Deutschland üblich. Urnenbestattungen sind für gläubige Muslime nicht erlaubt, was den Flächenbedarf erhöht. Die Gräber müssen Richtung Mekka ausgerichtet sein.

Senatsumweltverwaltung kündigt für 2023 neue Grabfelder auf drei Friedhöfen an

Die Grabflächen in der Innenstadt sind belegt. Auf dem Friedhof neben der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm, wo 1866 auf dem sogenannten „Türkischen Friedhof“ erstmals Muslime in Berlin bestattet wurden, dürfen nur noch Angehörige beigesetzt werden oder Menschen, die ein Grab reserviert haben. Auch zwei andere einst für Muslime genutzte Friedhöfe in der Innenstadt sind voll.

Die Senatsumweltverwaltung bestätigt die Dringlichkeit. Es sei „unbedingt erforderlich, zeitnah neue Flächen zu erschließen, so Behördensprecher Jan Thomsen. Drei Friedhöfe würden 2023 neue Grabfelder für Muslime öffnen. Die Friedhofsträger würden zu gegebener Zeit darüber informieren. Nur sie oder eben die Bezirke für die städtischen Friedhöfe könnten entscheiden, ob sie Grabflächen für Muslime anbieten wollten.

Prognose: Der Flächenbedarf für muslimische Gräber wird sich bis 2040 verfünffachen

Derzeit lässt das Erzbistum auf dem katholischen Alten St. Michael-Friedhof an der Hermannstraße zusätzliche Flächen für Muslime herrichten. In der Gegend gibt es inzwischen deutlich mehr verstorbene Muslime als Katholiken. Lange dürften die Flächen in Neukölln nicht reichen.

Wie groß der Bedarf nach muslimischen Grabstätten noch werden wird, hat die Senatsverwaltung letztmals vor 13 Jahren abgeschätzt. Seinerzeit rechneten die Planer mit einem Anstieg der Sterbefälle unter Muslimen auf bis zu 2400 im Jahr 2030 und 3100 zehn Jahre später. Der Flächenbedarf für die Gräber würde sich gegenüber der aktuellen Lage in weniger als 20 Jahren verfünffachen.