Berlin (dpa/bb). Mit Blick auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus ist nach Einschätzung des Berliner Wahlforschers Prof. Thorsten Faas noch nichts entschieden. Bei Wahlen zu den Landesparlamenten gebe es häufig erhebliche Verschiebungen auf der Zielgeraden, sagte der Politikwissenschaftler, der an der Freien Universität lehrt, in der „Abendschau“ (Rundfunk Berlin-Brandenburg) am Mittwoch. „Insofern lohnt es sich jetzt für alle Parteien, wirklich intensiv Wahlkampf zu führen.“
Häufig sei zu beobachten, dass dabei die Amtsinhaber am Schluss noch einmal zulegten. „Aber zugleich muss man sehen: Franziska Giffey hat ein eher polarisierendes Image, anders als das bei anderen Amtsinhabern und -inhaberinnen der Fall ist.“ Hier gebe es daher nicht unbedingt einen Automatismus, sagte Faas. „Es bleibt einfach spannend, fürchte ich.“
Auswirkungen auf das Ergebnis erwartet der Politikwissenschaftler auch von der Wahlbeteiligung am 12. Februar: „Typischerweise profitieren eher bürgerliche, rechte Parteien von hoher Wahlbeteiligung, auch die Grünen“, sagte Faas. „Während, Linke und SPD darunter eher leiden. Aber auch da weiß man nicht genau, wie der Amtsinhaberbonus sich auswirkt.“ Klar sei aber: „Die Beteiligung wird niedriger sein.“ Denn diesmal gebe es anders als im September 2021 nicht gleichzeitig eine Bundestagswahl. „Und auch das alleine zeigt: Es wird eine gänzlich andere Wahl sein.“
Sollte das Bundesverfassungsgericht, vor dem 43 Berlinerinnen und Berliner gegen die komplette Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl geklagt haben, den Wahltermin am 12. Februar kippen, wäre das aus Sicht des Politikwissenschaftlers „natürlich ein krasser Schnitt“.
„Denn wir erwarten jetzt alle in Berlin eine Wahl“, sagte Faas. „Und die jetzt nochmal abzusagen, das würde dem Ganzen, was wir ohnehin schon erlebt haben, tatsächlich nochmal ein Krönchen aufsetzen.“
Und könnte die abgesagte Wiederholungswahl dann später neu aufgelegt werden? „Ich glaube, das ist genau das Dilemma, vor dem das Bundesverfassungsgericht steht. Was ist am Ende schlimmer: Jetzt eine Wahl auszusetzen, um dann später zu sagen „Na ja, sie hätte eigentlich doch stattfinden können“ oder sie eben jetzt nicht auszusetzen und später zu sagen „Das hätte alles so nie stattfinden dürfen““, erklärte Faas. „Was es zeigt, ist wirklich, dass diese Situation, in der wir sind, sehr, sehr unschön ist, dass es wirklich ein Dilemma ist, in dem man steckt.“
Man könne die Uhr aber nicht einfach zurückdrehen und sagen: „Jetzt fangen wir mal von vorne an, und dann ist alles gut.“ „Sondern es geht wirklich jetzt nur darum, die beste der schlechten Lösungen zu finden. Aber schön ist das alles nicht.“