Auszeichnung

Urs Fischer ist der Berliner des Jahres

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Urs Fischer, Trainer von Union Berlin, führte den Fußball-Bundesligisten in die K.o.-Runde der Europa League.

Urs Fischer, Trainer von Union Berlin, führte den Fußball-Bundesligisten in die K.o.-Runde der Europa League.

Foto: imago sport / imago/Jan Huebner

Urs Fischer, Trainer des Fußball-Bundesligisten Union, wird für sein Streben nach Zusammenhalt als Berliner des Jahres geehrt.

Im Moment des größten Erfolges, den er gerade mit dem 1. FC Union feierte, dokumentierte Urs Fischer mit einer einfachen, aber nicht zu übersehenden Geste, was wirklich wichtig ist. Also nahm er sich einen Augenblick raus aus der Ekstase, die die Alte Försterei nach dem gerade geglückten Aufstieg in die Fußball-Bundesliga überschwemmt hatte, und suchte seine „drei Frauen“. Sein Glück an jenem Mai-Abend im Jahr 2019 war erst vollkommen, als er seine Frau Sandra und die beiden Töchter Riana und Chiara erblickte.

Urs Fischer, 56 Jahre alt, geboren in Triengen im Schweizer Kanton Luzern, ist Berliner des Jahres 2022. Ein Trainer im Millionen-Geschäft Profifußball? Es sind die Werte, für die Fischer steht und die ihn zu einer Leitfigur in der Hauptstadt machen in Zeiten von Kriegsängsten und Klimakrisen. Sein Credo für jede neue Herausforderung lautet: „Es gilt, die Dinge anzunehmen und bestmöglich damit umzugehen.“ Loyal, solidarisch und stets mit einer guten Portion Optimismus, wie es in Familien – oder allgemein formuliert: in Gesellschaften – sein sollte.

Der Schweizer vermittelt allen, dass sie gebraucht werden

Fischer hebt sich dabei sympathisch von der Gilde der zu oft selbstdarstellerischen, erfolgsbesessenen und zuweilen auch selbstverliebten Trainer ab. Weil er etwas kultiviert hat, wofür er in seiner Heimat kritisiert wurde: Bodenständigkeit. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Aber nicht zu viel, denn es wartet als nächstes schon wieder Arbeit. Das heißt nicht, dass Fischer nicht auch zu genießen weiß, bei einem guten Glas Wein zum Beispiel.

Doch sich in den Vordergrund zu spielen, ist Fischers Sache nicht. Auch wenn seine Vita dies durchaus zuließe. 549 Spiele als Profi in der ersten Schweizer Liga, nur neun Spieler haben mehr, als Trainer Meister und Schweizer Pokalsieger mit dem FC Basel – das kann sich durchaus sehen lassen. Für den Familienvater dennoch kein Grund, den Patriarchen zu geben, weder zu Hause noch bei Union.

„Die Mentalität“ zwischen Schweizern und Köpenickern, so hatte es Union-Präsident Dirk Zingler einst formuliert, „ist nicht so unterschiedlich. Bodenständig, aber ambitioniert, das passt perfekt zu uns.“ Auf diese Art führte Fischer Union im Jahr 2022 bis in das Achtelfinal-Play-off der Europa League und in der Bundesliga sogar an die Tabellenspitze. Sieben Spieltage grüßten die Köpenicker in dieser Saison von ganz oben, selbst dem FC Bayern gelang dies nicht öfter. Und alles mit finanziellen Mitteln, die maximal im unteren Liga-Drittel anzusiedeln sind. Jener sportliche Glanz, der durch die Erfolge von Köpenick ausgeht, strahlt auf ganz Berlin ab. In der Ära nur mühselig fertiggestellter Flughäfen und peinlicher Wahlpannen kann dies der Hauptstadt nur guttun.

Urs Fischer war immer ein Kämpfer

Fischer war irgendwo immer ein Kämpfer. In seinem Elternhaus zum Beispiel, wo er seinem Vater abrang, dass er Fußball spielen darf, wenn er seine Lehre als Bankkaufmann beendet. Jene Zeit hat ihn geformt, weil er gelernt habe, dass er etwas zurückbekommt, wenn er etwas gibt.

Als knallharter Verteidiger musste Fischer kämpfen, das lag in der Natur eines Abwehrspielers in den 1980ern und 1990ern. Und auch beim FC Basel musste er kämpfen, um als ehemaliger und langjähriger Profi des FC Zürich die Baseler Fans hinter sich zu bringen. Begrüßt wurde er mit einem „Urs Fischer: Niemals einer von uns“-Plakat. Nach zwei Jahren und drei Titeln hieß es zum Abschied „Urs: Einer von uns“.

Es gelingt ihm, die Menschen auf seine Seite zu ziehen. Auch jene, die mit dem Fußball nichts zu tun haben. Weil er nie etwas sagt, was er nicht auch ernst meint. Das schafft Vertrauen und wirkt authentisch. Fischer ist nahbar, was sich darin dokumentiert, dass er seine Spieler, auch die Mitarbeiter bei Union, selbst Journalisten nach einer Pressekonferenz per Handschlag begrüßt. Bei ihm steht der Mensch im Vordergrund.

Damit gelingt es ihm zu vermitteln, dass im Verein jeder ein wichtiger Teil der Gemeinschaft ist. Jeder wird gebraucht, selbst wenn er, wie im Falle seiner Spieler, nur auf der Bank sitzt oder gar der Tribüne. Er hat der Mannschaft, den Fans, dem gesamten Vereinsumfeld vermitteln können, dass die Erfolge nicht nur im vergangenen Jahr kein Zufall oder ein Versehen waren, sondern auf einem soliden Fundament fußen. Fischer sagt über Union: „Das Bemerkenswerte ist, dass alle an einem Strang ziehen, in eine Richtung arbeiten. Hier ist sich niemand zu schade, etwas zu tun, auch wenn es nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört.“

Urs Fischer lobt vor allem sein Team

Wenn Trainer, Spieler oder gar Präsidenten anderer Klubs diesen enormen Teamgeist loben, den Union Woche für Woche in der Bundesliga und auch in Europa zeigt, so ist dies auf Urs Fischer zurückzuführen. Der Schweizer wiederum versucht gar nicht erst, sich in der Anerkennung zu sonnen, sondern verweist nach einem kurzen Wort des Dankes sofort auf sein Trainerteam, auf die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet. Was nicht heißt, dass er diese Würdigung nicht auch genießt. Nur eben auf seine ganz eigene Art. „Ich glaube schon, dass ich etwas beitragen konnte“, ist dann zu hören. Ein wenig Understatement ist ohne Zweifel dabei. Doch anders als viele andere ist der Schweizer weit davon entfernt, mit dieser Aussage nach weiteren Komplimenten zu fischen.

Entsprechend ist auch die Reaktion Fischers auf die Wahl zum Berliner des Jahres durch die Berliner Morgenpost. „Ich freue mich über die Auszeichnung und fühle mich geehrt. Die letzten zwölf Monate waren auch für mein Team und mich etwas ganz Besonderes. Was mein Team, die Mannschaft und der gesamte Verein im vergangenen Jahr geleistet haben, verdient für jeden einzelnen eine solche Auszeichnung“, sagte Fischer. Ein solcher Erfolg, wie ihn Union im Jahr 2022 erlebt hat, „wird von vielen Menschen getragen. Auch unsere Fans haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir nicht nur im Halbfinale des DFB-Pokals standen, sondern neben dem frühzeitigen Klassenerhalt in der Bundesliga auch in dieser Saison an einem internationalen Wettbewerb teilnehmen konnten.“

Erfolge nimmt der 56-Jährige nie als selbstverständlich hin

Bei allen Privilegien, die man als Trainer im Profifußball genießen darf, hat Fischer nie die Demut vor dem Erreichten verloren. Den Aufstieg bezeichnete er seinerzeit als „einfach geil“, nur um sich gleich darauf für die Wortwahl zu entschuldigen, „ich kann es anders nicht beschreiben“. Als nun Anfang November beim belgischen Klub Royale Union Saint Gilloise das vierte 1:0 in der Europa League in Folge vollbracht war, sagte er: „Mehr geht nicht. Wir befinden uns im vierten Jahr in der Bundesliga und überwintern in der Europa League. Was soll man da sagen? Da könnt ihr euch ein Wort aussuchen, das übernehme ich dann.“

Es passt ins Bild, dass der Trainer sich auch hier nicht lang mit dem Erreichten aufhält. Denn, so der 56-Jährige: „Nun heißt es, sich darauf nicht auszuruhen, sondern auch in diesem Jahr an die Leistungen anzuknüpfen und weiter gemeinsam hart zu arbeiten.“

Dass die „Union-Familie“ ihm dabei folgen wird, steht außer Frage. Ebenso ist sicher, dass sich der passionierte Fliegenfischer und von den Berliner Sportmedien bereits zum Trainer des Jahres gekürte Fischer auch in jedem freien Moment wieder seiner Familie zuwenden wird. Dort, im Kreise seiner Liebsten, weiß er abzuschalten, auch den Blick mal auf andere Dinge als den Fußball zu richten. Und er wird stetes eine klare Meinung haben, so wie zum Weltgeschehen im vergangenen Jahr. Oder wie Fischer es in der „Süddeutschen“ bezeichnete: „2022. Und wir haben nichts gelernt.“

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